„Es braucht heilende Beziehungen“

Von Redaktion · · 2013/10

Hemayat betreut Flüchtlinge nach traumatischen Belastungen. Die Arbeit mit Menschen, die von furchtbaren Folter- und Fluchterlebnissen geplagt sind, ist nicht leicht. Zudem mangelt es an einer Basisfinanzierung. Südwind-Mitarbeiterin Brigitte Pilz sprach mit Cecilia Heiss und Barbara Preitler.

Südwind-Magazin: Wie finden Flüchtlinge den Weg zu Hemayat?
Preitler:
Wir hatten im Laufe der Vereinsgeschichte, also seit 1995, an allem Mangel, nie an Menschen, die unsere Hilfe suchten. Was sich wirklich gebessert hat ist die Tatsache, dass es die Grundversorgung für Asylwerber und -werberinnen gibt. Deshalb sind die meisten der Betroffenen sozialversichert. Sie kommen über Rechts- und Sozialberatung, Mundpropaganda unter den Flüchtlingen, über Schulen, Ambulanzen und Ärzte, weil Kopf-, Rücken- oder Knieschmerzen oft psychosomatisch sind.
Heiss: Mit unserem Bekanntheitsgrad steigen auch die Zuweisungen. Das hatte leider zur  Folge, dass wir derzeit den traurigen Höchststand von 312 Leuten auf der Warteliste haben, die bis zu einem Jahr auf einen Therapieplatz warten müssen. Und das ist schrecklich. Menschen melden sich, wenn sie eine Krise haben, dann wäre sofortige Hilfe nötig. Das Asylverfahren stellt zusätzlich eine unglaubliche Belastung dar. Und das löst auch häufig Krisen aus. Manchmal treten Ängste, Schlafstörungen usw. erst viel später auf. Kürzlich hatten wir einen Mann aus Ex-Jugoslawien, der nach einer Gedenkfeier in Bosnien wieder jede Nacht von der erlittenen Folter träumt.

In einem Jahr Wartezeit kann viel passieren.
Heiss:
Ja natürlich. Viele Traumatisierungen verfestigen sich, werden chronisch. Häufig treten bei Flüchtlingen psychosomatische Erkrankungen auf. Manche Betroffene wollen oder können nicht mehr, wenn ein Platz frei wird. Da haben wir noch nicht die richtige Lösung gefunden. Diese Explosion der Wartezeit ist auch ziemlich neu, früher waren es drei, vier Monate.

Was erwartet Flüchtlinge bei Hemayat?
Heiss:
Zuerst gibt es ein Abklärungsgespräch, in dem wir feststellen, ob der Betroffene überhaupt zu uns passt oder vielleicht eine Wohnung, eine Sozialberatung, medizinische Betreuung usw. braucht, dann vermitteln wir diesen Kontakt. Obwohl unsere Aufgabe im speziellen die psychotherapeutische Betreuung ist, sind wir auch ein wenig Sozialarbeiter. Als Therapeutin ist man ja sonst nicht damit konfrontiert, dass etwa eine  Klientin  fünf Kinder hat und im Winter die Heizkosten nicht bezahlen kann oder Gefahr läuft, die Wohnung zu verlieren. Handelt es sich um ein Traumaopfer, wird überlegt, welche Art von Therapie gebraucht wird.
Preitler: Bei Hemayat haben wir ein großes Team von 27 Therapeutinnen und Therapeuten, alle sind auch in einem anderen Arbeitsfeld tätig. Alle haben eine solide Therapieausbildung mit verschiedenen Ansätzen. Eine Therapie dauert oft Jahre, der Klient bestimmt das Tempo.
Heiss: Im Sommer hatten wir ein sehr schönes Projekt,  Kunsttherapie für Kinder. Bei ihnen kann es ja oft sehr schnell wieder bergauf gehen. Deshalb wäre sofortige Hilfe nötig, wenn entsprechende Symptome auftreten.
Preitler: Die Forderung wäre: Psychotherapie für Flüchtlinge sollte ganze normal in unserem Gesundheitssystem angeboten werden. Wenn der Wunsch da ist, mit jemanden zu reden, sollte dies unverzüglich möglich sein. Nun ist „reden können“ noch nicht die Therapie, aber es ist ein ganz wesentlicher Schritt. Schwer traumatisierte Menschen fühlen sich unverstanden und abgeschnitten von der Welt. Erzählen können schafft wieder eine Verbindung.
Heiss: Oft ist schon beim Erstgespräch eine gewisse Erleichterung zu spüren: Jemand anerkennt meine Situation. Diese Menschen gehen häufig mit einer anderen Körperhaltung bei der Türe hinaus, als sie hereingekommen sind.

Können Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen Heilung erwarten?
Preitler:
Ich wäre sehr vorsichtig damit, Heilung zu versprechen. Es braucht heilende Beziehungen. Psychotherapie ist eine mögliche Form. Es bräuchte auch einfach viele normale Sozialkontakte im täglichen Leben. Und die fehlen häufig. Das Arbeitsverbot für Asylwerber trägt dazu bei. Sie fühlen sich nutzlos und abgeschottet von ihrer Umwelt.
Das Problem der Traumatisierung ist ja, dass ich die Vergangenheit nicht als solche erlebe, sondern als Gegenwart. Wenn ich eine Zukunftsperspektive habe und in der Gegenwart herausgefordert bin, kann ich das Geschehen in seine Zeit rücken. Und damit Sicherheit herstellen.

Hemayat heißt Schutz

Das Wort Hemayat kommt aus dem persischen und arabischen Sprachraum. Psychische Betreuung für Folteropfer bietet die private Organisation Hemayat seit 1995. Menschen flüchten aus vielen Krisengebieten. Von den 2012 betreuten rund 700 KlientInnen kamen jedoch über 300 aus Tschetschenien und über 100 aus Afghanistan. In der Statistik folgen Iran, Länder im Kaukasus, die Türkei und Ex-Jugoslawien. Im Grunde stellt die Herkunft der Flüchtlinge etwas zeitversetzt ein Abbild des Weltgeschehens dar. Derzeit erreichen die ersten syrischen Flüchtlinge Österreich. 2012 wurden 17.500 Asylanträge gestellt. Die Asylkoordination geht davon aus, dass zirka 30 Prozent von ihnen, also 5.000 Menschen, an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden und zirka 1.300 psychotherapeutisch betreut werden.

Hilfe wird nicht nur bei Hemayat angeboten. Über die Vermittlung der Asylkoordination hat sich das Netzwerk nipe (Netzwerk für Interkulturelle Psychotherapie nach Traumatisierung) gebildet. Es gibt jetzt in jedem Bundesland außer Vorarlberg größere und kleinere Betreuungsstellen, die von der Diakonie, der Caritas oder privaten Initiativen getragen werden. bp

www.hemayat.org
www.asyl.at
nipe.or.at

Das Ziel wäre also äußere und innere Sicherheit zu erlangen?
Preitler:
Genau. Wir sind für die innere zuständig. Ein Mann hat sich gewünscht: Einmal möchte ich in Wien einen Kaffee trinken gehen. Das Ambiente in einem Kaffeehaus schien ihm wohl typisch dafür zu sein, ganz im Hier und Jetzt zu leben. Er ist in die USA weitergewandert, hat uns kürzlich besucht und erzählt: Gestern war ich in Wien in einem Kaffeehaus.

Solche Erfolgsgeschichten helfen sicher dabei, eine so schwierige Arbeit zu schaffen.
Heiss:
Sie sind natürlich wichtig. Die Arbeit wird seit einem Jahr auch dadurch erleichtert, dass wir hier an unserem neuen Standort eine sehr gute Infrastruktur haben. Was unsere Arbeit zusätzlich zu den schrecklichen Erlebnissen, die uns erzählt werden, allerdings schwer macht ist die Tatsache, dass den Flüchtlingen bei der sozialen Integration nicht besser geholfen wird. Missstände in einem fernen Land sind leichter auszuhalten als ungerechte und unmenschliche Behandlung hier bei uns. Da fühlen wir uns dann mitverantwortlich.
Ich finde das Vorgehen der Behörden auch sehr kurzsichtig, denn die meisten Flüchtlinge bleiben ja in Österreich und sind für so lange Zeit zum Nichtstun verurteilt. Wir haben Extremfälle, bei denen das Asylverfahren jetzt 15 oder 18 Jahre dauert.

Wie wird in der Therapie auf den unterschiedlichen kulturellen Hintergrund der Flüchtlinge Rücksicht genommen?
Preitler:
Nachdem unsere Hauptgruppen seit Jahren tschetschenische und afghanische Flüchtlinge sind, wissen wir über diese Länder und Kulturen inzwischen ziemlich viel. Und unsere Übersetzer interpretieren nicht nur Sprache, sondern immer auch Kultur. Oft bitte ich etwa eine Klientin, mir etwas zu erklären, das ich nicht verstehe. Sie ist die Expertin ihrer Kultur.

Hemayat finanziert sich zum Teil aus öffentlichen Mitteln und zu zirka 20 Prozent aus privaten Spenden. Was sind die Erfahrungen bei der Geldbeschaffung?
Heiss:
Österreich hat die Genfer Konvention unterschrieben und sich damit verpflichtet, für Flüchtlinge zu sorgen. Der Staat erfüllt hier seine Aufgabe nicht. Eine Basisfinanzierung für private Vereine, die diese übernehmen, wäre das Mindeste. Es handelt sich ja  nicht um ein Projekt, sondern um die Reaktion auf einen konstanten Bedarf. Es ist sehr mühsam, aus den verschiedensten öffentlichen Töpfen oft nur kleine Beträge zu kriegen mit einem sehr großen bürokratischen Aufwand.

Ist die Motivierung privater Spender und Spenderinnen ebenso schwierig?
Heiss:
Schön ist die Unterstützung von privater Seite. Wir schnorren überall. Es gibt auch Sachspenden bei Papier, Druck, Grafik etc. Die Öffentlichkeitsarbeit an sich ist nicht schwer: Viele Leute sind fassungslos, wenn sie erfahren, wie viele Menschen es in Österreich gibt, die einfach für ihr nacktes Überleben flüchten mussten.  

Cecilia Heiss ist klinische Psychologin und seit 2008 Geschäftsführerin von Hemayat. Zuvor arbeitete sie für Ärzte ohne Grenzen.
Barbara Preitler, Psychologin und Psychotherapeutin, ist Mitbegründerin von Hemayat und  Lektorin an der Universität Klagenfurt. Sie hat viel berufliche Erfahrung in außereuropäischen Kulturen wie etwa in Südasien gesammelt sowie etliche Entwicklungsprogramme und -projekte, auch in Krisengebieten, mitgestaltet.

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