Es geht auch anders

Von Martin-Peter Houscht · · 2010/12

Nach der Vision des Grameen Bank-Gründers Muhammad Yunus sollte die Armut in seiner Heimat Bangladesch bald schon Geschichte sein. Doch ohne Einbettung in ein entwicklungspolitisches Maßnahmenpaket haben Mikrokredite auch schädliche Auswirkungen.

Bangladesch ist so etwas wie die Heimat des Mikrokreditwesens. Doch ein Großteil der 160 Millionen EinwohnerInnen lebt von weniger als zwei Dollar am Tag. Millionen von ihnen sind unterernährt. Jedes zweite Kind ist untergewichtig. Viele dieser Menschen haben einen Kredit von der Grameen Bank (GB) oder einer anderen Organisation erhalten, die nach der Vergabepraxis der Bank verfährt. Neben den Problemen, die sie früher hatten, kommt jetzt die Verschuldung hinzu. Kredite können nicht mehr beglichen werden. Nicht wenige Entwicklungspraktiker und -forscherinnen wünschen sich mittlerweile die GB ins Museum.

Studien bringen es ans Tageslicht: Immer mehr KreditnehmerInnen sind überschuldet. Den Kreditinstitutionen geht es offenkundig um eine hohe Rückzahlungsquote, nicht um Entwicklung. Bezeichnend sind die Erfahrungen in Jobra, dem ersten Dorf, wo Yunus 1976 Haushalte mit Krediten ausstattete. Die erste Darlehensnehmerin starb 1998 bettelarm. Vielen anderen erging es nicht anders. In Jobra selbst wurde mittlerweile jegliche Forschung eingestellt. Es passt nicht in das PR-Konzept der Bank. Yunus selbst reduziert das Scheitern rhetorisch gerne auf die Dimension des Hinfallens. Doch nicht alle stehen hinterher wieder auf.

(Mikro-) Kredite, die vom „Banker der Armen“ gerne als das entwicklungspolitische Instrument per se gesehen werden, wirken tendenziell apolitisch, indem sie Ausbeutungsstrukturen unberührt lassen, die Ursache und Motor von Armut sind. Sie sind asozial, indem nicht auf Solidarität abgestellt wird, um gemeinsam gegen die Mitgiftpraxis, Frühverheiratungen oder Kindes- und Frauenmisshandlungen vorzugehen. Statt sich zu solidarisieren, beschleunigt die Arbeitsweise der GB die Entsolidarisierung. Frauen, die Schwierigkeiten mit der Rückzahlung haben, werden aus der Kreditgruppe geworfen. Yunus’ Aussage, Kredit sei „der Schlüssel zur Menschlichkeit“, mutet da zynisch an.

Viel zu viele KreditnehmerInnen bieten die gleichen Produkte auf kleinster Fläche an und treten so in einen zerstörerischen Wettbewerb. ZwischenhändlerInnen haben leichtes Spiel und drücken die Preise nach Belieben. Probleme treten oft schon vor dem Verkauf auf. Die Bank bietet keine Fortbildungen an. Zu teuer! Die Ratenzahlung beginnt bereits eine Woche nach Erhalt des Kredits. Wer mit dem Darlehen in die landwirtschaftliche Produktion investiert, muss die Zeit bis zur Ernte mit einem weiteren Kredit abdecken, um den ersten zu finanzieren.

Ein unschöner Effekt der kräftig fließenden Kreditquellen sind gestiegene Mitgiftforderungen. Wer über Zugang zu (geliehenem) Geld verfügt, dem unterstellt man, dass er auch mehr Mitgift aufbringen kann. Statt ein soziales Übel zu bekämpfen, wird es durch Mikrokredite gestärkt.

Sind Mikrokredite also an und für sich schlecht? Sie sind es nicht, wenn die Analyse von Armut stimmt und ein stringentes Maßnahmenpaket geschnürt wird. In diesem Paket dürfen dann auch Kredite enthalten sein.

Arbeitslosigkeit und Krankheit, fehlende Chancengleichheit und Diskriminierung führen zu Armut. Machtstrukturen zementieren den Status quo. Die lokalen Eliten fungieren als Händler, Geldverleiher und Politiker. Dadurch nehmen sie Einfluss auf die Verteilung von Ressourcen: Boden, Arbeit und Kapital werden von ihnen kontrolliert. Auf der anderen Seite stehen die Einflusslosen. Das über Generationen weitergegebene Minderwertigkeitsgefühl in Kombination mit Aberglauben und Alkoholismus, v.a. bei den ethnischen Minderheiten, bildet den Hintergrund für fortgesetzte Ausbeutung und Demütigung. Strukturen werden nicht in Frage gestellt, geschweige denn aktiv bekämpft. Wie hier gegensteuern?

„Das Wichtigste ist, die Menschen in entwicklungspolitischen Aktionsgruppen zu organisieren, sie aufzuklären und ihr Selbstbewusstsein zu stärken“, sagt der Direktor der Entwicklungsorganisation BDO (Barendra Development Organisation), Akhtar Masud. Und: „Eine Mikrokreditvergabe, die ohne flankierende Maßnahmen auskommt, wie Fort- und Ausbildung der Geld leihenden Haushalte, gesundheitliche Aufklärung oder Rechtsaufklärung, reduziert nicht, sondern erhöht die Verwundbarkeit armer Haushalte hinsichtlich Ausbeutung, Krankheiten und anderen Notfällen.“

Wie bei der GB sind es zumeist Frauen, die Mitglieder werden. Doch im Gegensatz zur GB geht es hier um Gegenmachtbildung, um den friedlichen Aufstand der Habenichtse. Während Yunus beim Thema Menschenrechte „Kredit“ einfällt, geht es in der Arbeit der Gruppen um grundlegende Menschenrechte: um das Recht auf politische Teilhabe, Gesundheit, Wohnung, Nahrung, Wasser oder Bildung.

Säureattentate, Vergewaltigungen, Übervorteilung beim Erbe, geringe Wertschätzung in der Familie und der Gesellschaft – viele Frauen in Bangladesch erleben Menschenrechtsverletzungen hautnah. Daran ändert ein Kredit nichts, denn er verändert die Machtverhältnisse nicht. Die Aktionsgruppen bringen die Themen auf den Tisch und vereinbaren Pläne. Und dann geht alles sehr schnell. Entwicklungsorganisationen wie BDO ermutigen die Aktionsgruppen, sich miteinander zu vernetzen. Tausende von Frauen begehren gegen korrupte und undemokratische Politikeliten auf. Sie gehen gemeinsam gegen Mitgiftmorde und Säureattentate vor, gegen Diskriminierung von Mädchen, Landraub durch die Mächtigen und Versickern von Regierungsgeldern, die für die Ärmsten bestimmt sind. Mittlerweile lobt in einigen Landkreisen bereits die lokale Elite die Arbeit der Gruppen. Noch vor kurzem hatte man alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Gruppen zu zerschlagen.

Integrierte Projekte bieten noch mehr: Zusammen mit den betroffenen Familien werden Latrinen und Brunnen gebaut. Außerdem werden Fortbildungen organisiert. Küchengärten entstehen, die auf kleinster Fläche das ganze Jahr über den Eigenbedarf an Gemüse decken.

Fortbildungskurse in Milchkuhhaltung, Ziegenhaltung, Kompostherstellung oder biologischer Schädlingsbekämpfung sind ein weiterer Baustein solcher Projekte. Die Menschen lernen, wie sie Einkommen schaffende Maßnahmen setzen. Vielen gelingt es dadurch, ein Zubrot zu erwirtschaften. Die Einkommensbasis wird erweitert und die Gefahr des Totalverlusts verringert, da man mehrere Eisen im Feuer hat. Wenn ein Kredit benötigt wird, dann werden die Rückzahlungsmodalitäten an das Vorhaben angepasst. Auch werden die Familien zur Zusammenarbeit ermutigt. Kleine Kooperativen bilden sich, die den Ein- und Verkauf gemeinsam regeln. So steigen die Profite der Haushalte – nicht der Zwischenhändlerinnen und (institutionellen) Geldverleiher.

Überall in Bangladesch entstehen solche Aktionsgruppen. Aus ihnen gehen starke, dynamische, ausdauernde Führungspersönlichkeiten hervor. Vor allem sind es Frauen, die noch vor kurzem unterdrückt, unterschätzt und unterworfen wurden. „Gute Regierungsführung“ an der Basis ist hier kein theoretisches Konzept, sondern gelebte Wirklichkeit. Aus den Gruppen heraus werden weitere Maßnahmen organisiert, die die Verwundbarkeit verringern und das Selbstbewusstsein steigern. Die Gruppen stehen für „horizontale Solidarität“. Dem vom Neoliberalismus ausgegebenen Dogma, ein jeder solle in seinem Handeln auf den eigenen Vorteil bedacht sein, wird die positive Kraft des Kollektivs entgegengehalten.

Martin Peter Houscht ist Projektreferent einer deutschen Entwicklungsorganisation, Journalist und Buchautor und bereist häufig Bangladesch, wo er sich auch derzeit aufhält.

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