Evolution der Samenpflanzen

Von Redaktion · · 2010/10

AM ANFANG
Grünalgen im Meer gehörten zu den ersten Pflanzen. Sie vermehrten sich sexuell über schwimmende Sporen. Wie es den Pflanzen vor etwa 450 Millionen Jahren gelang, vom Wasser aufs Land zu kommen, ist unbekannt. Auch die ersten Landpflanzen, hauptsächlich Moose und Farne, trugen Sporen, und sie benötigten zur Fortpflanzung noch eine feuchte Umgebung.

Im Devon (vor 417-354 Millionen Jahren) und im Karbon (vor 354-290 Millionen Jahren) war das Klima der Erde wärmer und feuchter als heute. Sporenpflanzen in Sümpfen erreichten enorme Größen und dominierten die Flora – aus ihren Überresten entstanden unsere Kohlevorkommen.

KLIMAWANDEL
Die ersten samenproduzierenden Landpflanzen tauchten vor etwa 360 Millionen Jahren auf. Wegen der Lückenhaftigkeit der fossilen Funde ist es schwierig, ihre Evolution von ihren sporentragenden Vorfahren zu rekonstruieren.

Bei Samen wird der befruchtete Embryo anders als bei Sporen durch einen Nahrungsvorrat ernährt und kann inaktiv bleiben, ein Vorteil unter den veränderlichen Bedingungen auf dem Land. Männliche Pollenkörner, oft durch den Wind verbreitet, brauchen für die Befruchtung kein Wasser. Im Perm (vor 290-248 Mio. Jahren) vereinten sich die Landmassen der Erde zu einem Superkontinent. Dadurch entstand ein trockeneres Klima. Sümpfe verschwanden genauso wie 70 Prozent der Landwirbeltiere und 85 Prozent der Meeresarten – das größte Massenaussterben der Erdgeschichte.

Die anpassungsfähigeren und weniger von Feuchtigkeit abhängigen Samenpflanzen waren dadurch begünstigt. Sie verdrängten einen Großteil ihrer sporentragenden Zeitgenossen, u.a. entstanden große Bäume. Heute sind 97 Prozent aller Landpflanzen Samenpflanzen.

Nacktsamer Koniferen

NACKTSAMER
Die Eizellen früher Samenpflanzen befanden sich „nackt“ auf Zweigen oder am Rande der Blätter. Sie werden als Nacktsamer oder „Gymnosporen“ bezeichnet, vom griechischen Wort für nackt. Bei einigen unter ihnen, etwa bei Palmfarnen (immergrüne Pflanzen, die wie Palmen aussehen, sich aber deutlich von ihnen unterscheiden) oder Nadelhölzern (Koniferen), sind die reproduktiven Organe als Zapfen ausgebildet. Palmfarne produzieren noch immer bewegliche Sporen, die die letzten paar Millimeter durch eine wässrige Flüssigkeit schwimmen, die von der Eizelle produziert wird. Ein Palmfarn in Kolumbien – Zamia roezlii – erzeugt den größten bekannten männlichen Samen, der von bis zu 40.000 Flimmerhärchen (Zilien) bewegt wird.

Nacktsamer und Farne waren die Nahrung der Dinosaurier. Die meisten Arten sind ausgestorben, nur etwas mehr als 1.000 haben überlebt. Die Populationen einiger von ihnen wie etwa der Nadelhölzer bedecken aber große Teile der Landmasse.

BEDECKTSAMER
Etwa vor 140 Mio. Jahren wurden die Nacktsamer nach und nach von Bedecktsamern verdrängt (Angiospermen). Ihr Samen ist von einer harten Fruchtwand umschlossen, die den Samen nicht nur schützt, sondern auch unterschiedlichste Verbreitungswege und eine längere Keimruhe ermöglicht. Die Eizelle ist in einem Fruchtknoten eingeschlossen, der einer Gebärmutter ähnelt. Auf seiner Oberfläche befindet sich nasses, aufnahmefähiges Gewebe, die so genannte Narbe (Stigma). Hier werden Pollenkörner eingefangen und durch einen Kanal geschleust, um die Eizelle zu befruchten. Pollen werden von männlichen Staubblättern (Stamina) erzeugt.

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Wind ein Pollenkorn geradewegs zu einer Eizelle der selben Art trägt. Daher müssen enorme Mengen von Pollen produziert werden, um eine Windbestäubung sicherzustellen.

NATÜRLICHE AUSLESE
In einem als Koevolution bekannten Prozess entwickeln sich Bedecktsamer so, dass sie nur bestimmte Bestäuber anziehen und andere ausschließen. Etwa kann nur eine einzige Wespenart eine Feigenart befruchten, und diese Wespenart besucht auch nur diese Feigenart. Ohne ihn jemals beobachtet zu haben, sagte Charles Darwin voraus, wie der Bestäuber der Orchidee „Stern von Madagaskar“ (Angraecum sesquipedale) beschaffen sein muss. Diese Orchidee hat eine ca. 30cm lange Nektarröhre. Darwin meinte, es müsse „Schmetterlinge mit Saugrüsseln geben, die bis zu einer Länge von 10 bis 11 Zoll ausgestreckt werden können. Diese meine Ansicht wurde von manchen Entomologen verspottet“. Die Bestäubung durch einen solchen Schmetterling konnte erst 1997 fotografisch dokumentiert werden.

„Coco de mer“, der größte Samen der Welt.

Orchideen haben die kleinsten Samen der Welt; ein Gramm kann mehr als eine Million beinhalten. Sie haben keinen nennenswerten Nahrungsvorrat und brauchen spezialisierte Pilze, um keimen zu können. Der größte Samen der Welt ist die Nuss der Seychellenpalme, auch bekannt als Meereskokosnuss („Coco de mer“), obwohl sie eine Verbreitung über das Meer nicht überlebt. Ihre suggestive Form hat unter anderem die Tochter von Anita Roddick, der Gründerin von „Body Shop“, dazu bewogen, ihre Erotikshop-Kette nach ihr zu benennen.

Im Vergleich zu Nacktsamern bilden Bedecktsamer eher kleinere Populationen von Arten, die sich an eine größere Vielfalt von Umgebungen anpassen können. Letzten Schätzungen zufolge gibt es weltweit 422.000 Arten von Bedecktsamern, wobei es sich wahrscheinlich um eine Unterschätzung handelt. Das Öl und die Stärke ihrer Samen sind die reichhaltigste und wichtigste Nahrungsquelle der Menschen.

DIE GROSSE FLUCHT
Befruchtete Samen können nur keimen, wenn sie sich von der Mutterpflanze entfernen können. Viele nutzen dazu den Wind. Sie bilden wabenartige Strukturen, die sie widerstandsfähiger machen und ihr Gewicht reduzieren. Sie können Flügel haben und gleiten, rotieren wie Helikopter, wirbeln wie Frisbees oder wie Ballone durch die Luft schweben. Samenschalen können explodieren wie Bomben, schießen wie Kanonen und Samen bis zu 60 Meter weit katapultieren. Manche Samen haben klebrige Oberflächen oder Widerhaken und benutzen Vorbeigehende als Transportmittel (wie George de Mestral, den Schweizer Ingenieur, der sich davon zur Erfindung des Klettverschlusses inspirieren ließ).

Widerhaken an Samen inspirierten zur Erfindung des Klettverschlusses.

Samen mit Auftriebshilfen werden von Flüssen und Meeren verbreitet, wobei sie auch auf Irrwege geraten. Der Golfstrom etwa transportiert regelmäßig tropische Samen in gemäßigte Klimazonen, wo sie nicht keimen können – obwohl sie angeblich europäische Eroberer wie Kolumbus zu Entdeckungsreisen anspornten.

Viele Pflanzen entwickeln Früchte, Nüsse oder Beeren. Sie dienen dazu, Vögel und andere Tiere anzuziehen, die ihre Samen verbreiten, unter anderem über den Umweg durch ihren Verdauungstrakt.

AUFWACHEN
Der Keimvorgang wird durch exakte Kombinationen von Feuchtigkeit, Licht und Wärme ausgelöst, die von den Samen mit hoher Präzision festgestellt werden können. Samen der selben Mutterpflanze keimen manchmal zu verschiedenen Zeiten, womit die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass eine ganze Generation einer Dürre, Räubern oder Krankheiten zum Opfer fällt. Viele Samen keimen niemals – jeder Kubikmeter Ackererde enthält Abertausende in so genannten „Bodensamenbanken“.

Der älteste, nachweislich keimfähige Samen stammt von einer Lotosblume. Er wurde 1995 in einem ausgetrockneten See in der Mandschurei im Nordosten Chinas gefunden; eine Kohlenstoffdatierung ergab ein Alter von 1.288 Jahren (+/- 250 Jahre). Eine solche Langlebigkeit ist selten. Die meisten Samen sterben innerhalb eines Jahres.

GESCHLOSSENER KREISLAUF
Verläuft der Keimvorgang erfolgreich, entsteht aus dem Samen eine Pflanze. Wurzeln sammeln Nährstoffe und Feuchtigkeit aus dem Boden, Blätter entziehen der Luft Kohlenstoff und verwandeln Sonnenlicht mittels Photosynthese in Energie, bis neue Samen gebildet werden und der Lebenskreislauf von Neuem beginnt. Fast das ganze Leben an Land beruht auf die eine oder andere Art auf diesem unendlich vielfältigen und erstaunlichen Prozess.

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