Folgsam und katholisch

Von Ralf Leonhard · · 2007/04

Rund 400 Krankenschwestern aus den Philippinen wurden Mitte der 1970er Jahre auf Kosten der Stadt in Wien eingeflogen. Die ersten wurden vom Bürgermeister am Flughafen begrüßt. Was ist aus ihnen geworden?

Violeta Cardenas war nicht bei der allerersten Gruppe dabei. Sie wurde 1975 gemeinsam mit 24 Kolleginnen nicht vom Bürgermeister persönlich, sondern nur von einem Magistratsbeamten empfangen. „Dann bekamen wir ein halbes Grillhendl“, das als viel zu groß für eine Person betrachtet wurde: „Bei uns hätte davon eine ganze Familie gegessen.“ Damit waren die positiven Eindrücke von der österreichischen Küche auch schon erschöpft. Das Schwarzbrot, das als Beilage serviert wurde, schmeckte für den asiatischen Gaumen scheußlich. Ein Essen ohne Reis ist auf den Philippinen kein Essen. Inzwischen hat sich Violeta, mittlerweile verheiratete Frau Cetl, an die hiesige Kost gewöhnt und kocht zu Hause teilweise selbst österreichisch. Damals habe sie „kübelvoll geheult“, erinnert sich die Frau, die sich zur stellvertretenden Stationsschwester emporgearbeitet hat. Sie fand sich in der fremden Welt nicht gleich zurecht und wurde im Spital zunächst für Putzdienste herangezogen: „Jeden Morgen hat man mir einen Kübel, einen Fetzen und eine Flasche Putzmittel gegeben.“ Auf den Philippinen ist Krankenpflege ein hoch geachteter Beruf, dem eine solide Ausbildung vorausgeht. Die Abwertung, die sie am Allgemeinen Krankenhaus in Wien erfuhr, war kränkend und demütigend. Bald plante Violeta mit ihren Kolleginnen, möglichst schnell wieder nach Hause zu fliegen. Doch sie hatten einen Vertrag für drei Jahre unterschrieben. Wollten sie vorher weg, hätten sie die Flugkosten ersetzen müssen.
Heimweh hat Angelina Banke keines mehr. „Ich habe meine Leute und mein Essen.“ An das raue Klima hat sie sich gewöhnt. Sie wurde nicht angeworben, sondern kam vor 30 Jahren in Begleitung ihres Mannes, der an der La Salle-Universität in Manila als Elektroingenieur lehrte, entsandt vom Institut für Internationale Zusammenarbeit, das inzwischen in Horizont 3000 aufgegangen ist. Die heute 63-Jährige hatte am Goethe-Institut in Manila bereits Deutsch gelernt. Ihr Plan war, in Europa eine Ausbildung zur Kindergärtnerin zu machen: „Bei uns gibt es so etwas nicht.“ Sie hatte also keine Sprachprobleme und gleich Familienanschluss, als sie nach vier gemeinsamen Jahren in Afrika ihrem Mann Manfred folgte.

Auf 30.000 Menschen schätzt Botschafterin Linglingay Lacanlale die Stärke der philippinischen Community in Österreich. Sie war erstaunt, in den offiziellen Unterlagen nur 2.500 philippinische StaatsbürgerInnen zu finden, die in Österreich gemeldet sind. Das liegt wohl daran, dass die meisten längst eingebürgert oder hier geboren sind. In den 1970er Jahren war der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft noch nicht mit so vielen Schikanen verbunden wie heute. Von den Kolleginnen von Violeta Cardenas wanderten viele weiter in die USA oder nach Kanada aus. Einige kehrten nach Ablauf des Vertrages auch wieder nach Hause zurück.
Ihnen ging es nicht so schlecht wie vielen, die von Maria Corazon Bantog in Davao, der Hauptstadt der Insel Mindanao, betreut werden. Sie kommen von einem Auslandseinsatz krank nach Hause, misshandelt von den ArbeitgeberInnen und oft ohne einen Peso in der Tasche. Das von der Katholischen Frauenbewegung Österreichs unterstützte Center for Overseas Workers hilft mit psychologischer Beratung, Starthilfe für Rückkehrerinnen und auch Beratung jenen, die einen Job im Ausland annehmen wollen. Maria Corazon selbst wurde im Libanon wie eine Sklavin gehalten. In Österreich muss man solche Extremfälle nicht fürchten. Doch wurden aus zwei nahöstlichen Botschaften in Wien Fälle von Misshandlung philippinischer Hausangestellter bekannt. Und so manche Filipina, die meinte, in Österreich die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben, landete verprügelt im Frauenhaus.

Menschliche Arbeitskraft ist einer der wichtigsten Exportartikel der Philippinen. Die IBON Foundation, einer der wichtigsten Think Tanks der Philippinen, schätzt die Geldsendungen der AuslandsarbeiterInnen im Jahr 2006 auf über zehn Milliarden Euro. Rund elf der etwa 90 Millionen EinwohnerInnen arbeiten im Ausland. Täglich verlassen 3.000 weitere das Land, so eine Studie der IBON Foundation. Die wichtigste Ursache ist nach wie vor der Mangel an guten Arbeitsplätzen für die besser Qualifizierten und die Flucht vor der Armut für die wenig Gebildeten. Private Agenturen, die beim Arbeitsministerium registriert sein müssen, machen mit der Jobvermittlung glänzende Geschäfte. Manchmal wird die Unerfahrenheit der Vermittelten brutal ausgenützt. Maria Corazon Bantog unterschrieb in Manila einen Vertrag, der ihr 200 US-Dollar Monatslohn und einen freien Tag pro Woche zusicherte. Kaum in Beirut angekommen, bekam sie einen neuen Vertrag über nur mehr 150 Dollar vorgelegt. Der freie Sonntag war gestrichen.
Krankenpflege und Hausarbeit zählen zu den beliebtesten Beschäftigungen für Frauen. Violeta Cardenas entschied sich einst für die Krankenschwesternschule, weil sie einen Posten in den USA anstrebte. Der Zufall wollte es, dass die Stadt Wien damals den Bedarf an Krankenschwestern für ihre 14 Spitäler nicht decken konnte. Vor der schweren und unterbezahlten Arbeit schreckten die einheimischen Kräfte zurück.

Für Österreich hat sich der Import gelohnt. Filipinas sind allgemein beliebt. „Sie kümmern sich um die Patienten wie um eigene Angehörige“, meint Botschafterin Lacanlale. Und Angelina Banke kennt noch andere Gründe: „Wir sind klein, wirken daher nicht bedrohlich, wir sind folgsam und katholisch.“ Rassistische Beschimpfungen sind daher relativ selten. „Ein Patient hat mir einmal gewünscht, dass der nächste Tsunami die Philippinen vernichtet“, erinnert sich Violeta Cetl. Sonst seien ihre PatientInnen eher dankbar und freundlich.
Anschluss fanden die meisten leicht. Den gut aussehenden, schlanken Asiatinnen liefen die einheimischen jungen und weniger jungen Männer bald nach. Auch Violeta, die sonst kaum ausging, lernte ihren Mann bei einem Disco-Besuch mit Freundinnen kennen.
Der 30. Dezember, an dem man der Hinrichtung des philippinischen Unabhängigkeitshelden José Rizal 1896 gedenkt, ist, neben dem Unabhängigkeitstag am 12. Juni, eine der Gelegenheiten, bei der sich die Community trifft. Filipinos und Filipinas in Österreich sind in mindestens 64 Vereinen und Gruppen organisiert: mehrere Schwesternvereinigungen, regionale Klubs in den Bundesländern und eine Anzahl von religiösen Gruppen.
In Wien gibt es zwei Kirchen mit phi-lippinischen Priestern, wo eigene Filipino-Messen gelesen werden. Anschließend wird gegessen, denn jeder bringt etwas mit. Wo immer Filipinos zusammenkommen, wird musiziert und gegessen. Der 1989 geborene Patrick Ferolino Anastacio wurde bei den Sängerknaben aufgenommen. „Leider kennt die zweite Generation unsere Lieder und Tänze nicht mehr“, klagt Angelina Banke. So wurde letzten Sommer auf ihre Initiative ein Lehrgang an der Botschaft angeboten, wo Freiwillige jeden Samstag versuchten, den Söhnen und Töchtern der EinwandererInnen Geschichte und Brauchtum der Philippinen nahezubringen. „Es war ein großer Erfolg“, sagt Botschafterin Lacanlale. Nächsten Sommer soll es wieder einen Kurs geben. Weil nicht nur die Kinder, sondern auch viele österreichische Ehemänner sich interessieren, wird ein größeres Lokal gesucht.
Krankenschwestern werden schon lange nicht mehr importiert. Der Bedarf wird heute im Wesentlichen aus den östlichen Nachbarländern gedeckt. Eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung zu bekommen wird immer schwieriger. Dennoch ist die Anzahl von Filipinas und Filipinos, die abgeschoben wurden, gering, weiß Konsul Josel Francisco Ignacio.

Die zweite Generation lebt mit einer doppelten Identität. Kristina Cetl, die heuer in Wien maturiert, sagt immer, sie sei halbe Filipina. Aber mit der Oma, die sie mehrmals besucht hat, kann sie sich nur via Dolmetsch verständigen. Mia Banke, 23, studierte Medieninformatikerin und passionierte Pianistin, wollte nach dem letzten Urlaub auf den Philippinen gar nicht mehr nach Österreich zurück kommen. Die Menschen seien so freundlich, das Wetter immer schön und die Strände herrlich und fast menschenleer. „Leider kennen das unsere Landsleute nicht, weil sie zu arm sind“, sagt Angelina Banke. Auch sie will zurück: Für die Pension hat sie mit ihrem Mann bereits ein Häuschen am Strand gekauft. Auch Violeta Cetl will früher oder später zurück. Und ihr Mann? „Wenn es nach ihm ginge, würden wir schon morgen fahren.“

Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins und lebt in Wien.

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