Forscher Ludescher zur Berichterstattung über den Globalen Süden

Von Richard Solder · ·
Grafik der Anzahl der ZIB 1 Berichte aus den jeweiligen Staaten
Grafik der Anzahl der ZIB 1 Berichte aus den jeweiligen Staaten © Ladislaus Ludescher

Der deutsche Wissenschaftler Ladislaus Ludescher kritisiert nach einer Studie eine mediale Vernachlässigung u. a. im ORF. Ukraine-Krieg & Co lässt er als „Ausrede“ nicht gelten.

Was sagt Ihre Studie über ZIB 1 und orf.at konkret aus?
Sie zeigt, dass der Globale Süden in beiden Medien stark vernachlässigt wird. In den Untersuchungszeiträumen, 2022 bzw. Juni 2022, wurden dem Globalen Süden in beiden Formaten weniger als 10 Prozent der zur Verfügung stehenden Sendezeit bzw. der Berichte gewidmet. Obwohl dort etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung leben.

Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Einerseits ja, weil ich für Österreich einen etwas kosmopolitischeren Blick erwartet hätte. Immerhin haben verschiedene Organisationen der Vereinten Nationen ihren Sitz in Wien. Andererseits hatte ich zuvor schon eine ganze Reihe von deutschen und ausländischen Medien untersucht. Leider zeigte sich das Ergebnis der medialen Vernachlässigung des Globalen Südens bisher in allen ausgewerteten Nachrichten der sogenannten Leitmedien.

Forscher Ladislaus Ludescher.

Redaktionen verweisen auf große Themen wie den Krieg in der Ukraine oder jetzt Nahost. Ist eine „Konkurrenz“ zu News aus dem Globalen Süden verständlich oder sehen Sie das als Ausreden?
Einerseits ist es verständlich bzw. auch menschlich, dass man sich für das, was einem geografisch oder kulturell näher liegt, eher interessiert als für das, was vielleicht weiter weg ist. Das darf aber nicht dazu führen, dass Themen des Globalen Südens ausgeklammert oder völlig an den Rand gedrückt werden.

An welche Themen denken Sie etwa?
Der Bürgerkrieg in Tigray in Äthiopien gilt als tödlichster Konflikt des 21. Jahrhunderts. Schätzungen zufolge sind in diesem bis zu 600.000 Menschen gestorben. Dem Ukraine-Krieg wurden im Jahr 2022 in der ZIB 1 über 1.500 Sendeminuten gewidmet, dem Krieg in Tigray aber lediglich etwa eine einzige Minute. Das Missverhältnis, in welchem Umfang über beide Kriege berichtet wurde, ist einfach eklatant evident und erschütternd.
Durch Themen wie Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg hat die Marginalisierung des Globalen Südens in der Tat zugenommen. Es ist aber nicht so, dass es vorher ausgewogen gewesen wäre. Ich habe, zum Beispiel, die Berichterstattung der deutschen Tagesschau für die vergangenen 16 Jahre ausgewertet. Der Globale Süden wurde da immer schon drastisch vernachlässigt. Und wenn sogenannte Leitmedien berichten, dann vorwiegend negativ.

Wie könnte man die Situation aus Ihrer Sicht verbessern?
Zunächst einmal sollte in den Redaktionen eine höhere Sensibilität für dieses Missverhältnis aufgebracht werden. Das wäre ein erster Schritt. Natürlich müssen auch genügend finanzielle Möglichkeiten zur Verfügung stehen, damit Journalistinnen und Journalisten aus dem Globalen Süden berichten und Beiträge mit hoher Qualität liefern können.
Durch den Ausbau der Zusammenarbeit von deutschsprachigen Medien wie dem ZDF und ORF mit Medien im Globalen Süden könnten Ressourcen gebündelt und die Berichterstattung kostengünstiger und effizienter gemachen werden. Die Schweizer Tagesschau griff im vergangenen Jahr zum Beispiel wiederholt auch auf Reporterinnen und Reporter von deutschen Medienhäusern zurück, die über den Ukraine-Krieg berichteten.

Was sollen Konsument:innen machen, die das Missverhältnis in der Medienberichterstattung stört?
Sie sollten mit Redaktionen Kontakt aufnehmen und ihnen mitteilen, dass sie sich einen höheren Anteil an Nachrichten aus dem Globalen Süden wünschen. Sie können auch eine Petition unterzeichnen, in der genau dies gefordert wird. Eine Radikalforderung wäre es, eine Quote für Nachrichten aus dem Globalen Süden einzuführen.

Wie würde eine solche aussehen?
Je nach Beschluss würde das bedeuten, dass zum Beispiel ein Viertel der Berichterstattung dem Globalen Süden gewidmet sein müsste. Ich persönlich sehe diesen Schritt aber sehr kritisch. Wir sind in Deutschland wie auch in Österreich völlig zu Recht darauf stolz, dass Medien frei und unabhängig arbeiten können. Eine „Vorgabe von oben“, auch wenn sie sehr gut gemeint wäre, wäre ein Eingriff in die Pressefreiheit. Ich denke, dass ein Wandel hier aus Einsicht, auf freiwilliger Basis erfolgen sollte.

Wieso ist Ihnen das Thema so ein Anliegen?
Das Thema Globaler Süden bzw. soziale Gerechtigkeit hat mich schon immer interessiert. Pointiert gesagt verletzt es mein Gerechtigkeitsempfinden sehr stark, wenn ich sehe, dass einem so großen Teil der Welt so wenig mediale Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Es gibt den für manche Menschen vielleicht trivial klingenden, deswegen aber nicht weniger wahren Satz: „Mit großer Macht geht große Verantwortung einher.“ Als Bewohner:innen des Globalen Nordens, also der Länder mit großer ökonomischer und politischer Macht, liegt es, so sehe ich das zumindest, in unserer Verantwortung, diese Einflussmöglichkeiten zum Positiven zu nutzen. Man könnte auch pointiert fragen: Wer auf der Welt, wenn nicht wir?

Gibt es einen Austausch zu diesem Thema mit Medien oder Forscher:innen im Globalen Süden?
Bisher leider noch nicht.

Welches Medium in Deutschland oder Österreich ist für Sie ein gutes Beispiel, dass es auch ausgeglichener geht?
Einen deutlich höheren Anteil des Globalen Südens weisen zum Beispiel die deutsche Tageszeitung Taz oder das ARTE Journal auf.
Dann gibt es natürlich noch Medien, die allgemein global orientiert sind, wie zum Beispiel der Weltspiegel (ARD) und das Auslandsjournal (ZDF) in Deutschland oder das „Weltjournal“ (ORF) und das Südwind-Magazin in Österreich. In diesen Medien gibt es auch Beiträge über den Globalen Süden abseits der sogenannten drei „Ks“, Kriege, Katastrophen, Krankheiten; das liegt einfach auch daran, dass sie dem Globalen Süden genügend Platz einräumen, um auch über positive Entwicklungen zu berichten. Positive Beispiele sind aber sehr wichtig, damit die Medienrezipierenden in Anbetracht von Negativnachrichten nicht fatalistisch werden.

Welche Medien konsumieren Sie persönlich?
Aus beruflichen Gründen verfolge ich natürlich die sogenannten Leitmedien. Daneben informiere ich mich aber zum Teil auch über die genannten Medien mit Blick auf den Globalen Süden. Gerne höre ich außerdem Deutschlandfunk, der teilweise sehr gut gemachte Beiträge hat.
Leider verfolge ich Medien aus dem Globalen Süden selbst nicht regelmäßig. Ich hatte schon die Idee, eine Analyse der Berichterstattung von Medien aus dem Globalen Süden durchzuführen. Bedauerlicherweise ist es nicht immer so leicht, an die entsprechenden Medien zu gelangen, gerade an Printausgaben. Es wäre aber sicherlich sehr spannend zu sehen, wie die Nachrichtenwelt im Globalen Süden medial vermittelt bzw. wahrgenommen wird.

Interview: Richard Solder

Ladislaus Ludescher hat Germanistik, Geschichte und Europäische Kunstgeschichte in Heidelberg studiert. Aktuell habilitiert er an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die deutsch-amerikanischen Literatur- und Kulturbeziehungen und insbesondere die in- und ausländische Medienanalyse.

Tipp: Das Forschungsprojekt von Ladislaus Ludescher bietet die Möglichkeit, das Thema mittels einer Ausstellung zu veranschaulichen. Die Ausstellung „Vergessene Welten und blinde Flecken“ ist als Wanderausstellung konzipiert und kann an die Gegebenheiten der Ausstellungsorte adaptiert werden. Eine Ausleihgebühr fällt nicht an.

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