Freies Wort unter Druck

Von Jan Marot · · 2010/09

In Lateinamerika unterliegt die Freiheit der Medien nicht nur dem Gutdünken politischer Machthaber. Auch die Dominanz der Meinungsmonopole, ökonomischer Druck und die Gewalt seitens der Drogenkartelle leisten das Ihrige für deren Verlust.

59 JournalistInnen kamen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bei der Ausübung ihres Berufes gewaltsam ums Leben, 24 von ihnen in Lateinamerika und 14 in Asien. Mittel- und Südamerika sind zu den weltweit gefährlichsten Regionen für JournalistInnen geworden. Die meisten Opfer waren in Mexiko, Honduras und Kolumbien zu beklagen, wie die unabhängige, von Medienleuten gegründete „Press Emblem Campaign“ kürzlich in Genf bekannt gab.

Auch das in Wien ansässige „International Press Institute“ (IPI) und „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) nennen Mexiko als das gefährlichste Land für den Journalismus. Trotz der 2006 etablierten „Sonderstaatsanwaltschaft für Gewaltdelikte gegen Journalisten“ bleiben über 80 Prozent der Morde an Medienleuten ungeklärt. Laut der mexikanischen „Stiftung für Meinungsfreiheit“ (Fundalex) sind MitarbeiterInnen von Lokalzeitungen das häufigste Ziel der Mordanschläge von Drogenkartellen.

Als Enrique Villacaña Palomares, Kolumnist von „La Voz de Michoacán“, Anfang April mit durchschnittener Kehle in der Provinzhauptstadt Morelia aufgefunden wurde, forderte Fundalex-Präsident Armando Prida Huerta: „Der Staat ist verpflichtet, dem Terror, der durch institutionelle oder andere Mächte gesät wird, Einhalt zu gebieten.“ Mitunter eine selbst für die Justiz riskante Aufgabe, wie der Fall Armando Rodríguez von 2008 zeigt. Seine Recherchen belegten die Nähe eines Neffen eines Gouverneurs zum organisierten Verbrechen. Der Aufdecker wurde erschossen, und nach ihm ebenso zwei Staatsanwälte, die der Causa Rodríguez zugeteilt wurden.

Acht Journalisten kamen in Honduras zwischen Februar und April gewaltsam ums Leben. Der zentralamerikanische Staat bleibt ein Jahr nach dem Militärputsch vom 28. Juni 2009 für die ROG Grund tiefer Besorgnis. „Das Land wurde zu einem der unsichersten für Journalisten“, konstatiert der ROG-Länderbericht von 2009. Da für die Täter quasi Straffreiheit herrscht, schalteten sich auf Wunsch der Regierung US-Ermittler vom FBI ein. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) kritisierte in ihrem zweiten Bericht Mitte Mai 2010 neben der politisch motivierten Entlassung von Richtern ein „zunehmendes Klima der Angst“, das die Medien erfasse: „Der Putsch wird toleriert, Widerstand dagegen wird kriminalisiert.“ Wie Anfang Juni, als rund 300 Soldaten die Büros der Rundfunkstation „La Voz de Zacate Grande“ auf der gleichnamigen Halbinsel stürmten. Repression drohe auch durch die Ernennung von General Romeo Vásquez zum Chef der staatlichen Telekom. Er ist ein enger Vertrauter des an die Macht geputschten Staatschefs Porfirio Lobo, für den die Medienkontrolle eine vorrangige Aufgabe darstellt.

In Venezuela werden Medienleute zwar nicht umgebracht, doch die von Präsident Hugo Chávez verfolgte Doktrin, Venezuela bolivarisch dauerberieseln zu lassen, führt immer mehr zu einer Gleichschaltung der Medien. Kritische oder oppositionelle JournalistInnen werden laut amnesty international „eingeschüchtert“. Wer nicht mittut, dem wird der Prozess gemacht, wie dem Präsidenten von „Globovisión“, Guillermo Zuloaga. Als die Behörden ihn und seinen Sohn im Juni wegen eines vermutlichen Delikts in ihrer Eigenschaft als Autohändler festnehmen wollten, war niemand zuhause. Kurze Zeit später meldete sich Zuloaga aus Washington und teilte mit, er überlege sich, in den USA um Asyl anzusuchen. Bis 2004 gehörte der Konzern mit Venevisión, RCTV (Radio Caracas Televisión) und Televen zum Vierergespann, das für die bürgerliche Opposition und gegen Chavéz Stimmung machte. Im Mai 2007 musste RCTV den Sendebetrieb einstellen, da die Regierung die Lizenz nicht verlängerte, nahm das Programm aber bald unter einem geänderten Namen wieder auf. Der Rechtsstreit um die Fortsetzung des Betriebs läuft gegenwärtig noch weiter.

Ein mit ungleichen Mitteln geführter Kampf der Titanen tobt in Argentinien zwischen dem Mediengiganten „Clarín“ und Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Ein neues Mediengesetz, das im Dezember des Vorjahres beschlossen wurde, will die Monopolstellung des ihr bis zum Agrarstreik von 2008 wohlgesinnten Clarín-Konglomerates (u.a. die auflagenstärkste Tageszeitung, TV-Kanäle, Kabelsender) brechen. In Buenos Aires liegt der TV-Marktanteil des Konzerns bei rund 80 Prozent und soll durch das neue Mediengesetz auf 35% beschränkt werden. Die Reform trifft auch internationale Konzerne wie Spaniens „Telefónica“, an dem auch Clarín beteiligt ist. Unternehmen dürfen nun nicht mehr als zehn Rundfunklizenzen besitzen – die Clarín-Gruppe hält rund 270.
 

Die zehn Herausforderungen

Es bleiben zehn Herausforderungen für diese Dekade, wie SprecherInnen der „Regionalen Allianz der lateinamerikanischen und karibischen Gruppierungen“ der NGO IFEX (International Freedom and Expression eXchange) Ende März d. J. bei einer Tagung in Lima auflisteten. Sie warnten vor dem (1) Ansteigen der Übergriffe, steigendem Druck seitens der Regierungen gegen JournalistInnen, (2) Diskriminierung beim Zugang zu Kommunikationsmedien, dem (3) wirtschaftlichen Druck, der die Unabhängigkeit der Medien gefährde, (4) wie auch den Versuchen staatlicher Kontrolle, die es Regierungen ermögliche, Inhalte zu manipulieren. Zudem kritisieren sie (5) willkürlich angewendete Gesetze (bei den Punkten Verleumdung und Beleidigung) und die (6) Diskriminierung von Frauen oder der Indígena-Bevölkerungen in ihrem Kampf, medial wahrgenommen zu werden. (7) Weiters führe die zunehmende Monopolisierung des Medienmarkts zu einem (8) Verlust der Vielfalt, welcher sich durch die Gefährdung Freier Radios mangels Förderung oder Legalität verschärfe. Dazu käme, dass viele Staaten die nationale Sicherheit zur (9) Kontrolle des Internets missbrauchten. Wegen der hochgehaltenen Kosten des Zugangs hat die Mehrheit der Bevölkerung (10) auch noch keinen oder nur beschränkten Zugang zum weltweiten Web.
J.M.

Der Kampf erlebte einen Höhepunkt, als im September des Vorjahres etwa 200 SteuerfahnderInnen die Büros von Clarín stürmten. Der hauseigene News-Kanal „Todo Noticias“ berichtete live. „Wir befinden uns im Krieg mit der Regierung“, schrieb Ricardo Kirschbaum, Chefredakteur der Tageszeitung Clarín. Er war überzeugt, die Regierung habe die Razzia angeordnet. „Es begann mit einer Karikatur Kirchners mit zugeklebtem Mund“, erinnerte er sich. Kirchner, die zwar der Clarín’schen Negativ-Berichterstattung wiederholt Schuld an ihren niedrigen Umfragewerten gibt, stritt jegliche Weisung ab. „73 Prozent der Lizenzen für Radio, Kabel- und terrestrisches TV, sowie Magazine und Zeitungen besitzt ein einziges Unternehmen“, rechtfertigte die Präsidentin das neue „Gesetz über audiovisuelle Kommunikationsdienste“. Das Inkrafttreten verzögert derweil noch eine Klage beim Höchstgericht. „Das gefährlichste Monopol ist der Staat“, ist Gustavo Vittori, Präsident der Presseverbände Argentiniens, überzeugt: „Regierungen lernen mehr von denen, die sie kritisieren, als jenen, die ihnen hörig sind.“

Nach Ansicht von KritikerInnen bergen auch Boliviens Verfassungsänderungen ein Gefahrenpotenzial für die freie Presse in sich, während BefürworterInnen deutliche Verbesserungen orten. Die einen fürchten die schärferen Sanktionen bei Manipulation, die anderen freuen sich über die Verankerung der Informations- und Meinungsfreiheit sowie das Verbot der Vorzensur und eine Gewissenklausel. Beim Nachbarn Peru brachte die Ära nach Alberto Fujimori eine „Verbesserung der Situation der Medien“ mit sich, doch angestrebte Reformen würden diese „in beunruhigender Weise rückgängig machen“, fürchtet die Interamerikanische Menschenrechtskommission. Das neue Mediengesetz von Alan García, das wie auch Ecuadors Paket „Falschinformationen“ schärfer sanktionieren will, sieht Verfassungsexperte César Valega „als einen Schritt in Richtung Internetzensur, wie in China“. Artikel 132 (Diffamierung) des Strafgesetzbuches soll demnach auf Blogs und Webseiten hin novelliert werden. Die Verkürzung der Klarstellungsfrist von sieben auf drei Erscheinungstage erachtet Valega als Versuch, „Presse und Internetplattformen“ einzuschüchtern.

Organisationen wie „Freedom House“ (USA) und das „Centro Derecho y Sociedad“ in Ecuador äußerten Besorgnis um die Medienfreiheit in den Andenstaaten, so auch in Ecuador. Orlando Gómez León, Herausgeber der Tageszeitung „La Hora de Quito“ kritisiert: „Wenn wir unsere Quellen preisgeben müssen, öffnen wir der Selbstzensur Tür und Tor.“ Eine Entwicklung, die nicht nur in Ecuador für Debatten sorgt. Präsident Rafael Correa beharrt darauf, dass sein Reformpaket „die Meinungsfreiheit respektiert“. Das „Kommunikationsgesetz“ bringt auch den studierten Nachwuchs in Rage, denn das Studium soll nicht mehr Voraussetzung für den Beruf sein. Diana Martín, Vorsitzende der Studierendenversammlung an der Universität von Cuenca: „Den Abschluss als unwichtig zu erachten bedeutet, dass es keiner Professionalisierung mehr bedarf.“

Jan Marot lebt und arbeitet als freier Journalist für deutschsprachige Tageszeitungen und Magazine in Granada in Südspanien.

Reporter ohne Grenzen, ROG: www.rsf.org
International Press Institute, IPI: www.freemedia.at
Press Emblem Campaign, PEC: www.pressemblem.ch
Sociedad Interamericana de Prensa,SIP: www.sipiapa.com/v4/
Committee to Protect Journalists,CPJ: www.cpj.org

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