Freiwillige Verantwortung

Von Stefan Kerl · · 2008/04

Soziale Unternehmensverantwortung oder Corporate Social Responsibility (CSR) ist in aller Firmen Munde. Man spricht von Sozialer Verantwortung, Verhaltenskodizes und Menschenrechten. Sind die Unternehmen gar die besseren Nichtregierungsorganisationen (NGOs) geworden? Was aber genau ist CSR eigentlich, woher kommt der aktuelle Medienrummel und wie ernst ist es den Unternehmen wirklich?

So neu und modern wie es auf den ersten Blick scheint, ist CSR nicht. Im Gegenteil: Sie ist mindestens so alt wie die Industrialisierung selbst. Schon von deren Beginn an gab es Unternehmer, die Unterkünfte und Kantinen für ihre ArbeiterInnen bauten ebenso wie Unternehmer, die als Mäzene und Stifter im Kunst- und Sozialbereich auftraten. Uneigennützig war das schon damals nicht. Mit Unterkünften und Kantinen für die ArbeiterInnen wollte man sie stärker ans Unternehmen binden und Teile ihres Lohnes als Miete oder Kostgeld einbehalten, und Kunstsponsoring hatte immer schon mit Marketing zu tun.
Seit den 1980ern trat der Begriff CSR – zuerst in den USA – auf. Er war einerseits eine Gegenreaktion auf den reinen Shareholder-Value-Gedanken, bei dem das Aktionärsvermögen im Mittelpunkt steht, und andererseits die Möglichkeit der Unternehmen, auf Umweltschutz und Nachhaltigkeitsforderungen zu reagieren. Die europäische Diskussion wurde 2001 durch das Grünbuch der Europäischen Kommission „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“ offiziell gestartet.

In Österreich arbeiten NGOs wie zum Beispiel die Clean Clothes Kampagne schon seit 1997 mit CSR-Prozessen wie Verhaltenskodizes und deren unabhängiger Kontrolle. Die CSR-Diskussion in größerem Rahmen und unter dem Namen CSR hat aber erst mit der Gründung von CSR-Austria 2003 auf Initiative der Industriellenvereinigung und mit Unterstützung von Wirtschaftskammer und Wirtschaftsministerium begonnen. Es wurde zu diversen großen Dialogrunden mit Stakeholdern (wie Interessenvertretungen und zivilgesellschaftliche Organisationen in der CSR-Diskussion heißen) zur Erstellung eines CSR-Austria Leitbilds geladen und alle sind gekommen: Die Wirtschaft, die Gewerkschaften, die entwicklungspolitischen, umweltpolitischen, sozialen und fast alle anderen NGOs. Sie alle beteiligten sich und brachten ihre Anliegen ein. Was herauskam, war ein Leitbild von der Wirtschaft für die Wirtschaft – „Das CSR-Leitbild der österreichischen Wirtschaft“, wie es offiziell heißt. Die Anliegen der anderen Stakeholder wurden zwar gehört, aber nur sehr begrenzt berücksichtigt.

Die Reaktion folgte auf dem Fuße. Im Dezember 2003 wurde bei einer gemeinsamen Pressekonferenz die zivilgesellschaftliche Stellungnahme zum CSR-Leitbild unter dem Titel „Die soziale Verantwortung von Unternehmen aus zivilgesellschaftlicher Perspektive“ vorgestellt. Die UnterzeichnerInnen waren amnesty international, die Arbeitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit (AGEZ), das Ökobüro, die Bundesarbeitskammer (AK) und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB).
Bei dieser Polarisierung oder diesem Gegenüberstehen von Wirtschaft und Zivilgesellschaft ist es bis heute geblieben. Die Initiative der Wirtschaft trägt seit 2006 den neuen Namen respACT und ist die Unternehmensplattform zu CSR. Auf zivilgesellschaftlicher Seite konstituierte sich 2006 ausgehend von den Organisationen der gemeinsamen Stellungnahme, aber mit wesentlich breiterer Mitgliedschaft aus NGOs, Gewerkschaften und Betriebsräten, der Verein „Netzwerk Soziale Verantwortung“.
Die Politik unterstützt mittlerweile beide Initiativen. respACT wird vom Wirtschaftsministerium, dem Lebensministerium und dem Sozialministerium unterstützt und das Netzwerk Soziale Verantwortung bis dato durch einen außerordentlichen Mitgliedsbeitrag des Sozialministeriums.

Was sind aber nun die unterschiedlichen Positionen? Alle AkteurInnen in der CSR-Diskussion beziehen sich immer noch auf die Definition des Grünbuchs der Europäischen Kommission von 2001. Demnach ist CSR ein integriertes Unternehmenskonzept, das „alle sozialen, ökologischen und ökonomischen Beiträge eines Unternehmens zur freiwilligen Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, die über die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen hinausgehen“, beinhaltet.
Jeder Akteur und jede Akteurin in der CSR-Diskussion wird unterschreiben, dass CSR freiwillig und ganzheitlich ist, über Gesetze hinausgehen muss und darüber ein Stakeholder-Dialog geführt werden soll. Unterschiedliche Positionen lassen sich nicht in Statuten oder Erklärungen finden, sehr wohl aber zwischen den Zeilen und in Betonungen unterschiedlicher Aspekte.
Laut Marie Löwy-Harmer von der Industriellenvereinigung ist „soziale und ökologische Verantwortung eine Haltung und darf nicht zu einem Zwang werden“. Zivilgesellschaftliche Positionen pochen hingegen auf die Einhaltung von Gesetzen und internationalen Konventionen (z.B. Erklärung der Menschenrechte und Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO) und wollen eine vermehrte Überführung von derzeit freiwilligen CSR-Initiativen in gesetzliche Verbindlichkeiten. Weiters werden die Ganzheitlichkeit von CSR in der Wertschöpfungskette eines Unternehmens und die unabhängige Kontrolle von CSR-Maßnahmen durch NGOs und Gewerkschaften gefordert.
Vor allem vom letzten Punkt – obwohl zum Beispiel bei großen Unternehmen der Bekleidungs- und Sportartikelindustrie seit Jahren Realität – wollen die VertreterInnen der Wirtschaft aber nichts wissen.

Wie überhaupt Standardisierung und Transparenz immer wieder Knackpunkte in der Diskussion darstellen. Letztlich sollen die KonsumentInnen wissen, was drin ist, wenn CSR draufsteht – wie man dazu aber kommt, ist umstritten.
Ein österreichisches CSR-Gütesiegel ist letztes Jahr am Widerstand der Wirtschaft gescheitert. Die internationale Initiative eines CSR-Standards ISO 26.000 gibt es hingegen seit 2004. Bis jetzt wurden aber in diesem Prozess – in dem mit Stand Oktober 2007 392 ExpertInnen aus 78 Ländern und von 37 regionalen und internationalen Organisationen in sechs Stakeholdergruppen arbeiten – mehr Fragen aufgebrochen als Themenbereiche wirklich standardisiert. Klar ist bereits, dass dieser Standard keine Prüfungsanforderungen enthalten und nicht zertifizierbar sein wird. Die fünfte Plenarsitzung der Arbeitsgruppe fand Anfang November 2007 in Wien mit Unterstützung der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit und des Lebensministeriums statt. Die über 400 Delegierten berieten unter anderem die 7.225 Stellungnahmen zum 3. Arbeitsentwurf des Standards.
In den laufenden Diskussionen wird sogar die Definition des Grünbuchs, dass CSR über die Einhaltung bestehender Gesetze hinausgeht, aufgeweicht. Statt eines klaren Bekenntnisses zur Einhaltung von nationalen Gesetzen und internationalen Konventionen werden Formulierungen diskutiert, dass sich Unternehmen an internationale Verhaltensregeln halten könnten oder sollten.

Ob ISO 26.000 zu einem Rückschritt und einer Aushöhlung nationaler Gesetze und internationaler Konventionen führt oder eine Standardisierung auf Best-Practice-Niveau bringt, ist ebenso wenig entschieden wie die Frage, ob der Standard wirklich wie geplant 2010 veröffentlicht wird. Gute Beispiele für ganzheitliche und transparente CSR, an denen sich ISO orientieren könnte, gäbe es genug. Die Global Reporting Initiative (GRI) etwa hat transparente Richtlinien für eine ganzheitliche Berichtslegung zu CSR aufgestellt, die auch unabhängige Bewertungen durch NGOs und Gewerkschaften enthält. So genannte Multistakeholder-Initiativen, in denen Unternehmen, NGOs und Gewerkschaften gemeinsam CSR-Maßnahmen unabhängig kontrollieren, sind in der Bekleidungsindustrie bereits weit verbreitet. Von einer Festschreibung dieser und ähnlicher Initiativen als Best Practice, an der sich alle Unternehmen orientieren sollten, ist die ISO-Diskussion aber derzeit noch weit entfernt.
Ob die umfangreichen Diskussionen und Entwicklungen zu CSR letztlich zu mehr oder weniger verantwortungsvollem Handeln der Unternehmen führen, wird vor allem daran liegen, in wie weit es den Organisationen der Zivilgesellschaft gelingt, genügend Druck auf Wirtschaft und Politik aufzubauen. Denn Freiwilligkeit braucht eben auch ihre Motivation.
Bis dato kann aber dennoch aus Sicht der Zivilgesellschaft eine positive Zwischenbilanz gezogen werden:
CSR ist mehr als ein kurzfristiges Modethema. CSR ist zu einem wichtigen Hebel für zivilgesellschaftliche Organisationen geworden, um soziale Verantwortung von Unternehmen einzufordern und hat zu beispielhaften Dialogprozessen zwischen Zivilgesellschaft und Unternehmen geführt.
Darüber hinaus haben die CSR-Diskussionen zu intensiver Zusammenarbeit zwischen NGOs aus den verschiedensten Bereichen, Gewerkschaften, Arbeiterkammern und Betriebsräten geführt. Das Netzwerk Soziale Verantwortung und ähnliche zivilgesellschaftliche CSR-Initiativen in ganz Europa sind mit ihrer extrem breiten Mitgliederstruktur und intensiven Zusammenarbeit einzigartige neue Zusammenschlüsse, die es ohne CSR nicht geben würde.

Stefan Kerl ist Bereichskoordinator für Kampagnen in der Südwind Agentur und Mitglied im Vorstand des Netzwerks Soziale Verantwortung und im ON-Komitee 251 zu ISO 26.000 Social Responsibility.

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