Früh in der Defensive

Von Moritz Ablinger · · 2014/04

Debatten um den Austragungstermin und scharfe Kritik an den Arbeitsbedingungen im Stadionbau: Die Fußball-WM 2022, die in Katar stattfinden wird, wirft Schatten voraus.

Sie ist noch acht Jahre entfernt, aber schon jetzt in aller Munde: Die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar. Das geplante Turnier machte in den vergangenen Monaten viele negative Schlagzeilen: Die Fußball-WM sollte, wie es bei den vorangegangenen Turnieren Usus war, von Mitte Juni bis Mitte Juli ausgetragen werden. Doch in dieser Zeit liegen im arabischen Emirat die durchschnittlichen Tageshöchstwerte bei über 40 Grad. FIFA-Vertreter sprachen sich Anfang 2014 für eine Verlegung in den Winter aus. Einige nationale Ligen, wie die bedeutende „Premier League“ in England, laufen dagegen allerdings Sturm. Sie fürchten um ihr Geschäft in der kalten Jahreszeit. 

Fußball-Fans kritisieren zudem: Fußball und Katar, das ist keine besonders innige Verbindung. Der Großteil der Bevölkerung besteht aus Arbeitsmigranten aus Pakistan, Indien und Nepal. Auch in ihren Heimatländern ist Fußball eine sportliche Randerscheinung.

Die katarische Fußballliga lockt ein paar tausend Zuschauerinnen und Zuschauer in die Stadien. Gernot Zirngast, Vorsitzender der österreichischen Fußballergewerkschaft VdF, besuchte als Teil einer internationalen Delegation Ende des Jahres 2013 Katar. „Ein Kollege kam verwirrt zu mir, nachdem er bei einem Match Menschenschlangen vor dem Stadion gesehen hat“, berichtet Zirngast. „Erst später haben wir herausgefunden, dass Leute, die mit Fanutensilien die Ligaspiele besuchen, dafür Geld bekommen.“

Der internationale Gewerkschaftsbund (IGB) fordert mit der Kampagne „Re-Run the Vote!“ (Wiederholt die Wahl!) die FIFA auf, über die Vergabe der WM 2022 neu abzustimmen. Dem IGB geht es dabei weder um die klimatischen Bedingungen, noch um die Bedeutung von Fußball in Katar, sondern um die Arbeitsbedingungen rund um den Stadionbau: Arbeiter hausen in überbelegten, heruntergekommenen Wohnungen. Bis zu zwölf Leute teilen sich ein Zimmer. Wer auf einer Baustelle arbeitet, riskiert sein Leben: 185 nepalesische Gastarbeiter starben im Jahr 2013. Laut offiziellen indischen Angaben kommen jeden Monat im Schnitt 20 Arbeiter aus Indien in Katar ums Leben. Oft sterben sie in Folge eines Herzinfarktes. Die Gastarbeiter sind während der Arbeit der prallen Sonne ausgesetzt und leiden in vielen Fällen unter Trinkwassermangel.

Die FIFA argumentierte lange damit, nichts mit den Arbeitsbedingungen vor Ort zu tun zu haben.

Nach Medienberichten und einer Anhörung im Europäischen Parlament stieg der Druck. Katar musste der FIFA einen „Lagebericht zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen“ vorlegen. Doch die Kritik riss nicht ab: „Die neuen Arbeitsstandards in Katar sichern keineswegs die Grundrechte der Bauarbeiter auf den WM-Baustellen“, so etwa der IGB. Das so genannte Kafala-System, das den Arbeitgebern volle Kontrolle über deren Beschäftigte ermöglicht, würde sogar noch verstärkt werden.

Das Kafala-System schreibt den ausländischen Arbeitskräften in den arabischen Golfstaaten vor, sich einen Kafil (Deutsch: Bürge) zu organisieren und mit diesem Verträge abzuschließen. Oft aber machen diese Verträge die Arbeiter vollständig von ihrem Kafil abhängig. Gar nicht oder zu niedrig ausbezahlte Löhne stehen auf der Tagesordnung, auch über die Reisedokumente der Arbeiter verfügen die Chefs nach Gutdünken.

Arbeiter in Katar leben unter unmenschlichen Bedingungen: Oft hausen sie in heruntergekommenen Wohnungen, bis zu zwölf Menschen teilen sich ein Zimmer.

Das System kennt keine Ausnahmen. So betrifft es auch den Profi-Fußballsport, wie die Fälle der Spieler Abdeslam Ouaddou und Zahir Belounis zeigen: Der Marokkaner Ouaddou und der Franzose Belounis waren bei ihren katarischen Klubs in Ungnade gefallen. Und saßen danach ohne Gehalt im ­Emirat fest.

Die Ausreisegenehmigung hielten ihre Arbeitgeber zurück. Belounis konnte so erst nach 17 Monaten das Land verlassen, Ouaddou nach drei Monaten.  Die neuen Arbeitsstandards bauen laut IGB auf dem Kafala-System auf. Statt der geforderten rechtlichen Kontrollinstanz sollen sich die Unternehmen stärker selbst kontrollieren.

„Das Einzige, was die Situation in Katar nachhaltig verbessern wird, ist das Ende des Kafala-Systems“, betont Tim Noonan, Kampagnenkoordinator von „Re-Run the Vote!.

Und die WM selbst – wird das Sportereignis in der absoluten Monarchie ein Fußballfest? Die katarische Spielart des Wahhabismus gilt als weniger konservativ als andere. Die Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit etwa ist mit der in Saudi-Arabien nicht zu vergleichen. Katar und sein Machthaber Emir Scheich Tamim bin Hamad Al Thani geben sich liberal. Aber NGOs wie Amnesty International listen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen auf. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eingeschränkt, Homosexualität verboten. Frauen sind in vielerlei Hinsicht benachteiligt.

Der Verkauf und Konsum von Alkohol ist eigentlich streng geregelt. Allerdings: Scheich Nasser Fahad Al-Khater vom WM-Organisationskomitee kündigte Bereiche in den WM-Stadien mit Alkoholausschank an. Zumindest die Bierfans können aufatmen. 

www.rerunthevote.org

Freier Journalist und Blau-Weiß Linz-Fan Moritz Ablinger übte sich in Jugendjahren als Vorstopper im Nachwuchs von Donau Linz.

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