Geschäft des Lebens

Von Redaktion · · 2010/10

Die schlechte Nachricht: „Life-Science“-Multis haben sich den Weltmarkt für Saatgut unter den Nagel gerissen. Die gute Nachricht: Bäuerinnen und Bauern, die ihr eigenes Saatgut verwenden, können weiterhin die Welt ernähren – und sie tun es auch. Eine Analyse von New Internationalist-Redakteur David Ransom.

Wakehurst Place, ein herrschaftliches Anwesen im Süden Londons, ist der ländliche Ableger der Kew Botanic Gardens, des königlichen botanischen Gartens in der britischen Hauptstadt. Im Sommer, unter der Woche, kommen vor allem ältere Menschen hierher, spazieren unter exotischen Bäumen, genießen den Duft der Blüten, schlürfen Tee und erfreuen sich an der bukolischen Pracht, die sich hier entfaltet.

„Minus 20 Grad“, sagt Michael Way, Leiter der Sammlungsabteilung des Millennium Seed Bank Project in Wakehurst, und zeigt auf die schweren Türen in einem Trockenraum mit Luftschleusen, tief im Boden unter einem riesigen, modernistischen Schutzdach. Hier werden Samen von mehr als 27.000 Pflanzenarten aus aller Welt aufbewahrt, viele davon bedroht. Die Mission des Projekts in eigenen Worten: „Wir brauchen dringend eine Art Versicherung, und die Zeit wird mit jedem Tag knapper … Durch den Verlust der natürlichen Habitate wird die Zahl der weltweiten Pflanzenarten allein von 1970 bis 2050 um voraussichtlich 10 bis 15% zurückgehen.“ (1)

Michael Way hat Jahre damit verbracht, Samen aus den beiden Amerikas zu sammeln, aber er macht keinen besonders besorgten Eindruck. Meiner Bemerkung, die Samenbank sei eine Art Arche Noah, will er nicht so recht beipflichten: „Es passiert heute wirklich viel, es gibt immer mehr Menschen mit der erforderlichen Kompetenz, überall auf der Welt.“ Nebenbei meint er dann aber auch: „Es gibt 20.000 essbare Pflanzenarten, und nur ein paar davon werden kommerziell angebaut. Verrückt.“

Von privater Seite werden enorme Mittel aufgewendet, um die schrumpfende Zahl von Pflanzenarten zu erforschen, die kommerziell angebaut werden – und Monokulturen breiten sich aus, die alles andere rasch verdrängen. In die Bemühungen, den gewaltigen Rest der übrigen Pflanzenarten zu retten, fließt dagegen vergleichsweise wenig Geld, und es stammt von der öffentlichen Hand. Das kann einen schon entmutigen, räumt Michael Way ein. Aber es zeigt doch auch, dass an Samen mehr dran ist als bloß ihre Nützlichkeit für uns Menschen. Die etwa eine halbe Million Pflanzenarten der Welt sind integraler Bestandteil eines Evolutionsprozesses. Ihn zu missachten oder zu zerstören ist mit unbekannten Risiken verbunden: Alles Leben an Land beruht auf der ständigen Reproduktion der Pflanzen und ihren Myriaden von Samen.

Auch die Geschichte der Kew Botanic Gardens ist nicht unbefleckt von kommerziellen Interessen, zumal in Zusammenhang mit den Ambitionen des Britischen Weltreichs – dem legendären Schmuggel von Gummipflanzen aus ihrer Heimatregion, dem Amazonasgebiet, nach Malaysia, Teil eines lukrativen Handels, durch den auch Kaffee von Äthiopien nach Lateinamerika gelangte und Kakao von Mexiko nach Westafrika. Genau die Eigenschaften, die Samen befähigen, lange Zeit zu überleben, sich an neue Umgebungen anzupassen, große Distanzen zu überwinden und sich dabei an alles anzuheften, was ihnen in den Weg kommt, waren auch der Auslöser einer von Gier, Raub, Betrug und Misstrauen geprägten Entwicklung, die sich bis in unsere Zeit fortsetzt. Heute muss sich Michael Way durch ein ganzes Dickicht gesetzlicher Bestimmungen kämpfen, um seiner Arbeit nachgehen zu können. Man lernt aus der Geschichte und es kommt zu Veränderungen, aber nicht unbedingt zum Besseren.

Würden Sie etwa wissentlich Leute mit der Erzeugung Ihrer Nahrungsmittel beauftragt haben, die uns tödliche Dioxine und Agent Orange bescherten, das Entlaubungsmittel, das die USA vor allem in den 1960er Jahren über Vietnam versprühten, mit schrecklichen Geburtsschäden als bloß eine der Folgen? Würden Sie Ihre tägliche Nahrung bei einem Unternehmen kaufen, das anfangs Schießpulver erzeugte und dann die erste Plutoniumfabrik der Welt errichtete? Oder bei den Nachfolgern jener Leute, die den Nazis Zyklon B für ihre Vernichtungslager lieferten?

Genau so verhält es sich aber heute. Innerhalb von vielleicht zehn Jahren haben drei Chemiekonzerne (Monsanto, DuPont und Bayer) knapp die Hälfte des weltweiten Markts für patentgeschütztes Saatgut erobert,(2) und sie sind offensichtlich darauf aus, die weltweite Nahrungsmittelversorgung zu kontrollieren, die zur Gänze auf Saatgut angewiesen ist. Leute, die sich mit Gift und Tod auskennen, aber so gut wie keine Ahnung von der Kultur der Landwirtschaft haben, geben nun vor, sie wüssten am besten, wie die Welt ernährt werden kann.

Monsanto etwa war ursprünglich kein Saatgutunternehmen, sondern produzierte Roundup, ein Unkrautvernichtungsmittel. Aber das Unternehmen investierte massiv in Gentechnik. Die Idee war klar: Kann man die Gene von Kulturpflanzen wie Soja so verändern, dass sie resistent gegen Roundup werden, wäre das ein schlagendes Verkaufsargument.(3) 1993, nach langwierigen Experimenten, bei denen der Zufall eine bedenklich große Rolle spielte, war es dann soweit: Monsanto hatte seine erste gentechnisch erzeugte Roundup Ready-Sojabohne.

In den USA konnten Gene damals bereits patentiert werden, und seit dem WTO-Übereinkommen von 1995 bestand die Aussicht, dass ein ähnliches Patentrecht weltweit durchgesetzt werden würde. Noch dazu sind Gene auch nachweisbar, und Monsanto konnte daher ein Eigentumsrecht auf jedes Saatgut einfordern, das die patentierten Gene enthielt. LandwirtInnen konnte daher per gerichtliche Verfügung untersagt werden, Roundup Ready-Saatgut aus eigenem Anbau zu gewinnen, womit sie es jedes Jahr von Monsanto kaufen mussten. Das sah nach einem blendenden Geschäft aus, und die jährlich 30 Millionen US-Dollar für die „Sicherheitsmitarbeiter“, die den LandwirtInnen beibringen sollten, sich vor Monsanto zu fürchten, machten sich bezahlt.

Aber noch war Monsanto kein Saatgutunternehmen, und das kam in der Folge teuer. Zwischen 1996 und 1998 ging das Unternehmen beinahe pleite, nachdem bei einer weltweiten Einkaufstour rund acht Mrd. Dollar für Saatgutfirmen ausgegeben wurden. Gleichzeitig explodierten die US-Anbauflächen von Roundup Ready-Soja von einer halben Million auf zehn Millionen Hektar. 2005 war Monsanto zur weltweiten Nr. 1 der Branche aufgestiegen, und praktisch alle gentechnisch veränderten Kulturpflanzen weltweit stammten aus dem eigenen Haus.

Um nicht ganz ins Hintertreffen zu geraten, hatte der Chemieriese DuPont bereits 1999 um 7,7 Mrd. Dollar Pioneer Hi-Bred geschluckt, damals das größte Saatgutunternehmen der Welt. Nacheinander verpassten sich die Chemiekonzerne ein neues Image: Sie mutierten zu so genannten „Life-Science“-Unternehmen, umgaben sich mit einem Öko-Techno-Geschwafel und beweihräucherten sich als humanitäre Akteure: Sie hatten die Erträge gesteigert und damit, auf gewisse Art zumindest, die wachsende Weltbevölkerung ernährt. Sie, und „ihre“ Technologie, wären von nun an nicht nur die beste, sondern die einzige Lösung für die zukünftige Ernährung der Welt.

Ihre eigenen „Gene“ hatten sie aber noch nicht umprogrammiert, und sie hatten es auch nicht geschafft, eine ganz andere Geschichte umzuschreiben: Eine Milliarde Bäuerinnen und Bauern gewinnen ihr Saatgut weiter selbst und erzeugen auch den Großteil der Nahrungsmittel der Welt. Außerdem ist das Potenzial zu einer Steigerung ihrer Produktion erheblich. Das zeigte die bisher umfangreichste einschlägige Studie über die Einführung nachhaltiger Landwirtschaftspraktiken, in die neun Millionen BäuerInnen in 52 Ländern mit einer Betriebsfläche von insgesamt 28 Mio. Hektar einbezogen waren. Im Schnitt erhöhte sich die Nahrungsmittelproduktion pro Hektar um 73%.(4) Es gibt einfach bessere Optionen als industrielle Monokulturen, aber sie wurden bisher einfach nicht ernst genommen oder schlichtweg ignoriert.

„Nachhaltig“ kann natürlich alles Mögliche bedeuten. In diesem Kontext ist damit gemeint, von der industriellen Landwirtschaft abzugehen, die ein Drittel der fossilen Energieträger der Erde verschlingt (die noch dazu bereits zur Neige gehen), und nicht auf Monokulturen einiger weniger Kulturpflanzen zu setzen, was die genetische Verwundbarkeit erhöht – nur mit genetischer und kultureller Vielfalt haben wir eine Chance, uns an einen raschen Klimawandel anzupassen.

Im Oktober 2009 veröffentlichte die FAO, die UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung – oft beschuldigt, ein ungebührliches Naheverhältnis zum Agrobusiness zu unterhalten – ihren zweiten Bericht zum Stand der genetischen Ressourcen der Welt. Darin heißt es: „Durch den stetigen Wechsel zu einer industrialisierten Landwirtschaft bleibt ein Großteil der verbliebenen Vielfalt weiter bedroht … Mit dem Verschwinden von Lebensstilen und Sprachen rund um die Welt geht wahrscheinlich eine Fülle von Wissen über Kulturpflanzen und Sorten verloren, und damit ein Großteil des Werts der genetischen Ressourcen selbst.“(5) Auch auf die kulturelle Vielfalt kommt es an.

In Anbetracht der enormen Landflächen, die heute in Asien, Afrika und Asien von ausländischen Investoren in Beschlag genommen werden, würde man das allerdings kaum annehmen. Die Regierung Äthiopiens etwa hat mehr oder weniger heimlich eine Million Hektar Land an ausländische Agrobusiness-Investoren verpachtet, was von der Weltbank aktiv unterstützt wird. Ein Teil davon befindet sich in Gambela, einer fruchtbaren Region im Westen des Landes und die Heimat des Volkes der Anuak, die außer vom Ackerbau auch von Viehzucht, Jagen und Sammeln leben. Sie werden einfach vertrieben. Tausende leben nun im Exil in Sudan und anderswo. 2003 marschierte die äthiopische Armee unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung in Gambela ein und tötete 400 Männer der Anuak. Derzeit werden die Truppen in der Region verstärkt, und es gilt eine nächtliche Ausgangssperre.(6)

Auch hat sich das Versprechen der hochgezüchteten Monokulturen nicht erfüllt, gerade für KleinbäuerInnen. Es mag eine kurze Bonanza geben, wenn „moderne“ Anbaumethoden eingeführt werden; aber allzuoft folgen ihr Bodenerosion, Zerstörung der Bodenfruchtbarkeit, ein unersättlicher Hunger nach immer mehr Chemikalien, nach mehr Süßwasser aus übernutzten Reserven. Das Endergebnis ist ein Rückgang der Erträge, wenn nicht sogar die Pleite.

Als 2007 in Zusammenhang mit den hohen Nahrungsmittelpreisen rund um die Welt gewaltsame Unruhen ausbrachen, waren viele überrascht, nicht aber Leute, die wirklich wissen, was in der Landwirtschaft los ist: Sie hatten das eher schon viel früher erwartet. Aber die vielleicht verblüffendste Entwicklung war der weltweite Aufstieg bäuerlicher Widerstandsbewegungen wie etwa der Landlosenbewegung in Brasilien (MST), die heute von Vía Campesina (siehe Kasten S.30) weltweit zusammengeführt werden. Wie der Name andeutet, fordert die Organisation Respekt vor der bäuerlichen Lebensweise.

Wir müssen umdenken. Wir müssen lernen, wie bäuerliche Kulturen funktionieren, etwa in Indien (siehe S.32) oder in Afrika, ihnen wieder mit Respekt begegnen und mit einer Wertschätzung des komplexen Wissens, das sich nur im Gleichschritt mit der Natur entwickelt. Und wir müssen tun, was wir können, um die Dinge ins Lot zu bringen, und zwar bald.

Die Artikel dieses Themas wurden zuerst im Monatsmagazin „New Internationalist“ (Ausgabe 435/September 2010) veröffentlicht. Wir danken den KollegInnen in Oxford für die gute Zusammenarbeit. Der „New Internationalist“ kann unter der Adresse: Tower House, Lathkill Street, Market Harborough, Leicestershire LE16 9EF, England, U.K., bezogen werden (Jahresabo: 37,85 Pfund; Telefon: 0044/ 171/82 28 99). www.newint.org. Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung der Artikel: Irmgard Kirchner.
Übersetzung: Robert Poth.

Erstens, Landreform. Vielfalt kann nicht gedeihen (und Pflanzen werden niemals vor dem Aussterben gerettet werden), solange den Bäuerinnen und Bauern nicht das Land gehört, das sie bearbeiten. Die Landlosigkeit, eine Verschwendung menschlicher Fähigkeiten und Energie, eine Degradierung des ländlichen Lebens, muss Geschichte werden. Die Großgrundbesitzer in Lateinamerika, die Latifundistas, bemühen sich etwa in der Regel weit weniger darum, ihre enormen Besitzungen zu wirklich produktiven Betrieben zu machen als darum, Landlose gewaltsam aus ihnen zu vertreiben.

Zweitens, das essenzielle Wissen über Saatgut, seinen Anbau und seine Aufbewahrung ist weitgehend eine Domäne der Frauen. Das hat weniger mit der weiblichen „Natur“ als vielmehr damit zu tun, dass Frauen in fast allen landwirtschaftlich geprägten Kulturen eine führende Rolle spielen. Vía Campesina kämpft auch für die Befreiung der Frauen und verhindert damit die Perpetuierung des ländlichen Patriarchats.

Drittens, selbst wenn bloß die Hälfte der Ressourcen (einschließlich der staatlichen Subventionen), die sich derzeit über die industriellen Monokulturen ergießen, zur Förderung einer nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion verwendet würde, könnte es mit Hilfe der menschlichen Erfindungsgabe schließlich gelingen, die Mühsal der landwirtschaftlichen Arbeit zu verringern, das Landleben lohnender zu machen als bisher. Was könnte denn wertvoller sein? Warum sollten die Menschen, die Nahrungsmittel erzeugen, weiter zu denen gehören, die weltweit der stärksten Repression ausgesetzt sind? Die Politik muss fördern, was Vía Campesina als „Ernährungssouveränität“ bezeichnet.

Copyright New Internationalist

1) Millennium Seed Bank Project, A Global Network for Plant Preservation, Royal Botanic Gardens, Kew, 2010.
2) ETC Group, Who Owns Nature? Corporate power and the final frontier in the commodification of life, November 2008.
3) Die Darstellung der Monsanto-Aktivitäten stützt sich großteils auf The World According to Monsanto von Marie-Monique Robin, Spinifex Press, Melbourne 2010 (Deutsch: Mit Gift und Genen: Wie der Biotech-Konzern Monsanto unsere Welt verändert, DVA, Stuttgart 2009).
4) Jules Pretty and Rachel Hine, Empirical Findings of SAFE-World Project, in: Reducing Food Poverty with Sustainable Agriculture, Centre for Environment and Society, University of Essex, 2001.
5) State of the World’s Genetic Resources, FAO, Rom 2009
6) „Land Grab Threatens Anuak“, ein Interview mit Nyikaw Ochalla im Magazin Seedling, April 2010 (www.grain.org/seedling/?id=680).

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