Geteiltes Land

Von Ralf Leonhard · · 2009/07

Am 19. Juli wird in Nicaragua der 30. Jahrestag von „el triunfo“ gefeiert. Unter diesem Namen ging der Sturz der Familiendiktatur der Somozas im Jahre 1979 in das Vokabular der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) ein, die in Folge zehn Jahre lang eine soziale Revolution in diesem mittelamerikanischen Land anführte.

Der ehemalige Revolutionskommandant Daniel Ortega, der seit zweieinhalb Jahren – nach 16-jähriger „Pause“ – wieder in Nicaragua regiert, versucht in seiner Rhetorik und mit einem sozialen Reformprogramm an die Zeiten der Revolution anzuknüpfen. Mit gemischten Erfolgen. „Der Sieg der FSLN bei den Präsidentschaftswahlen 2006 hat bei manchen die Hoffnung geweckt, nun werde Nicaragua wieder an die Revolution der 1980er Jahre anschließen“, sagt Dieter Müller, Büroleiter der deutschen Hilfsorganisation medico international in Managua: „Doch die zweijährige Praxis der Ortega-Regierung hat diese Hoffnungen nicht bestätigt, wenngleich umgehend wieder der kostenfreie Zugang zu Gesundheit und Erziehung eingeführt wurde, sowie verschiedene Sozialprogramme und eine erneute Alphabetisierungskampagne.“

Wie 1980, am Beginn der Revolution, als die Analphabetenquote binnen weniger Monate von fast 50 auf unter 13 Prozent gedrückt wurde, werden auch jetzt bis ins entlegenste Bergdorf Crash-Kurse verabreicht, bei denen die Bauern und Bäuerinnen lernen, Briefe zu schreiben und die Zeitung zu lesen. Nach UNESCO-Standard gilt ein Land mit einer Alphabetisierungsquote von über 95 Prozent als frei von Analphabetentum. Das soll in Nicaragua erreicht werden. Durch die Abschaffung der Schulgebühren und ein Frühstück, welches in armen Gemeinden garantiert, dass kein Kind mit knurrendem Magen dem Unterricht folgen muss, wurden 500.000 Kinder in die Volksschulen geholt. Allerdings zu Lasten der ohnehin geringen Qualität des Unterrichts, denn die notwendigen Investitionen bleiben aus. In manchen Klassen müssen sich 70 Kinder die für halb so viele Schülerinnen und Schüler vorgesehenen Schulbänke teilen. Von den fast 28.000 Klassenzimmern wurden vom Ministerium gerade 12.000 als angemessen beurteilt, und Lehrkräfte gibt es viel zu wenige.

In den siebzehn Jahren rechter und neoliberaler Regierungen wurde kaum in das öffentliche Bildungswesen investiert. Die schleichende Privatisierung machte auch vor dem Gesundheitswesen nicht Halt. Viele konnten sich daraufhin eine medizinische Behandlung nicht mehr leisten. Jetzt ist die Basisversorgung wieder gratis. Medikamente bleiben aber teuer. Wird also die 1990 abgewählte Revolution, legitimiert durch neuerliche Wahlen, 17 Jahre später fortgesetzt? Wohl kaum, meint Dieter Müller: „Die Sandinisten, die heute an der Macht sind, verschanzen sich hinter Revolutionsbarock, Assistenzialismus und Klientelismus, in einer autoritären Wagenburg, an der nur teilhaben darf, wer uneingeschränkte Loyalität verspricht, egal welcher ideologischer Couleur. Mit Emanzipation hat dies nichts mehr zu tun.“

Wer von den Sozialprogrammen berücksichtigt wird, bestimmen die sogenannten Zivilbeteiligungskomitees in den Dörfern, das sind parteiabhängige Parallelstrukturen zur öffentlichen Verwaltung, die von der FSLN eingesetzt werden. Eine Landreform, die den Kleinbauern und -bäuerinnen mehr Eigenständigkeit verschaffen würde, ist nicht vorgesehen. Basisorganisationen, die Bevormundung ablehnen, werden ausgegrenzt oder regelrecht verfolgt.

Wer heute nach Nicaragua reist, findet sich in einem geteilten Land, wo völlig getrennte soziale und politische Welten nebeneinander existieren. In den intellektuellen Zirkeln der Hauptstadt Managua bekommt man den Eindruck vermittelt, das Land befinde sich am Rande einer neuen Familiendiktatur, die sich durch Wahlfälschung an der Macht hält, politische Gegner mit brutaler Einschüchterung zum Schweigen bringt und die politischen Freiräume der Zivilgesellschaft dramatisch einengt. In den verarmten Dörfern erzählen Menschen mit leuchtenden Augen, endlich gebe es wieder eine Regierung, die sich um das Volk kümmere. In den letzten zwei Jahren haben an die 30.000 Familien Vieh und Saatgut bekommen, das ihnen die Chance eröffnet, dem Elend schrittweise zu entkommen. „Hambre Cero“ (Null Hunger) heißt das dem gleichnamigen brasilianischen Armutsbekämpfungsprogramm nachempfundene Projekt, für das Daniel Ortega schon im Wahlkampf geworben hat.

Beide Welten sind real. Seit Daniel Ortega wieder regiert, ist das Land nicht mehr so sehr in Rechte und Linke gespalten, sondern in GegnerInnen und AnhängerInnen des Präsidenten und seiner umstrittenen Paktpolitik. Um sich den Weg zur Rückkehr an die Macht zu ebnen, ging er eine Anzahl von zweifelhaften politischen Deals ein, die bei vielen der ehemaligen WeggefährtInnen auf schroffe Ablehnung stießen. Die zentralen Institutionen der Republik wurden in einem Hinterzimmerabkommen zusammen mit dem wegen Korruption während seiner Amtszeit zu 20 Jahren verurteilten Expräsidenten Arnoldo Alemán zwischen Sandinisten und Liberalen aufgeteilt. Die beiden Caudillos kontrollieren die Justiz, den Obersten Wahlrat und den Rechnungshof. Wer allzu lautstark protestiert, wird zurechtgewiesen und persönlich diffamiert. Ortega ist deswegen immer einsamer geworden. Als treibende Kraft hinter ihm fungiert Ehefrau Rosario Murillo, die entschlossen scheint, Nicaragua zu einem Gottesstaat zu machen.

„Cumplirle al pueblo es cumplirle a Dios“ (Wer dem Volke dient, dient auch Gott) verkünden großflächig plakatierte Werbeslogans der Regierung. Präsident Daniel Ortega lacht dazu von pinkfarbenen Plakaten, als wäre das ganze Jahr Valentinstag. Monatelang lagerten auf Anordnung der First Lady auf den Verkehrsinseln in Managua Gruppen von Parteigängern und Betfrauen, die sich mit Dauerlitaneien gegen alle Regierungskritiker und alle Zweiflerinnen an der Sauberkeit der Kommunalwahlen richteten.

Das war dann schließlich auch den Bischöfen zuviel der Anbiederung. Leopoldo Brenes, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, forderte den Abzug dieser Gruppen, die mit Madonnenstatuen den Eindruck erweckten, als agierten sie im Namen der Kirche. Die Kirche der Armen, die Befreiungstheologen und die Basisgemeinden, einst eine wichtige Stütze der Revolution, wurden schon lange verprellt und zugunsten einer Allianz mit dem erzkonservativen und einstigen Erzfeind Kardinal Obando y Bravo zur Seite geschoben. Tomás Borge, einst gefürchteter Innenminister, heute Botschafter Nicaraguas in Peru, hat vor einiger Zeit verkündet, es sei einer der größten Fehler der Revolution gewesen, die Befreiungstheologie unterstützt zu haben und nicht die Amtskirche.

Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins und arbeitete viele Jahre als Journalist in Nicaragua, wo er sich auch derzeit gerade befindet.

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