Gucci und Tuk Tuks

Von Nicola Glaß · · 2002/07

Fünf Jahre nach Ausbruch der asiatischen Finanzkrise hat sich das Leben in der thailändischen Metropole wieder „normalisiert“. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird jedoch immer tiefer.

Meistens sind sie zu zweit oder zu dritt. Nicht älter als acht oder zehn Jahre alt, ein Mädchen, zwei Jungen. Sie drücken sich vor den hell erleuchteten Restaurants herum, im Arm ein Bündel Rosen, die sie unbedingt verkaufen und den Gewinn dann abliefern müssen – an Schlepper, die sie zwingen, bis spätabends auf der Straße zu arbeiten. Meist kommen diese Kinder aus den armen Nachbarländern Kambodscha oder Burma, wie auch viele der BettlerInnen, die vor allem in den Touristenzentren oder Einkaufsmeilen um Almosen bitten. Die düstere Kehrseite der Glitzermetropole Bangkok.
Die Asienkrise von 1997 und 1998 hat der Stadt, dem ganzen Land zugesetzt. Etwa eine Million EinwohnerInnen, so wird geschätzt, haben während der asiatischen Finanzkrise Bangkok verlassen, weil sie sich ein Leben in der Hauptstadt nicht mehr leisten konnten.

Heute sind zumindest die meisten äußerlichen Spuren des wirtschaftlichen Zusammenbruchs getilgt. Aber immer noch ragen hier und dort in der Millionenstadt Skelette von Bauwerken in den Himmel, die in der feuchten Hitze vor sich hin modern. Fertig werden sie wohl niemals mehr, seit den Bauherren während der Krisenjahre das Geld ausgegangen ist. Dabei herrschte hier Mitte der neunziger Jahre totale Aufbruchstimmung. Immer mehr, immer höhere Bauwerke sollten Bangkoks Prestige vergolden. Immense Summen waren aus dem Westen nach Thailand, ja, nach ganz Südostasien geflossen. An eine solide Absicherung der Kredite hatte damals kaum jemand einen Gedanken verschwendet. Bangkoks Straßen jedenfalls merkt man heute nicht mehr an, dass ein Teil der EinwohnerInnen dem Moloch aus wirtschaftlicher Not den Rücken gekehrt hat: Der Verkehr ist so dicht wie eh und je – „die Autos kleben aufeinander“, wie der thailändische Volksmund sagt. Wenn die Hauptstraßen der City verstopft sind, weichen viele auf die Expressways aus. Diese Schnellstraßen auf Betonstelzen, die das gesamte Stadtbild verändert haben, bringen aber nur geringe Entspannung. Relativ teuer, aber sauber und vor allem pünktlich ist ein weiteres Verkehrsmittel, der Skytrain. Seit 1999 ist die oberirdische Hochbahn im Einsatz, und während der Fahrt hat man einen wunderschönen Blick auf viele Stadtviertel. Aber Qualität hat eben auch hier ihren Preis, den sich viele Thais nicht leisten können oder wollen. Busfahren ist meist immer noch billiger. Dafür nimmt man es mit buddhistischer Gelassenheit in Kauf, im Stau festzusitzen. Neue Hoffnungen mag mancher Einwohner von Bangkok in die künftige U-Bahn setzen; wann die allerdings tatsächlich in Betrieb genommen wird, wird sich erst mittelfristig zeigen.
Moderne Infrastruktur in einer fernöstlichen Metropole, in der so vieles zunehmend an die Konsumwelt des Westens erinnert. Am Siam Square, einer der zentralen Einkaufsstraßen, pulsiert das Leben. Es ist der Treff der Jungen, Schönen und Reichen, die hier auf Shopping-Tour gehen oder eines der exklusiven Restaurants besuchen. Eine Handy-Dichte, wie man sie sonst nur von der chinesischen Wirtschaftsmetropole Hongkong kennt. Kaffeehäuser und Bäckereiketten amerikanischen und französischen Stils sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Doch diesen Lebensstil können sich nicht alle Thais leisten. Die wirtschaftlichen Probleme haben das soziale Klima in einem Land verschärft, das ohnehin keine staatlichen Absicherungen bietet. Für die, die im Slum oder in den heruntergekommenen Wohngegenden leben, bedeutet das Leben in Bangkok Überlebenskampf im Großstadtdschungel. Sie haben sich unter ärmlichsten Bedingungen eingerichtet, oft unter Straßenbrücken oder in Bauruinen. Sie haben kaum etwas zum Leben, während sich die gesellschaftliche Elite Luxusmarken wie Givenchy oder Gucci leistet.
Die Kluft ist tief zwischen Arm und Reich; und dann gibt es noch diejenigen, die sich hochgearbeitet und während des wirtschaftlichen Zusammenbruchs alles verloren haben. Sie fingen wieder von vorn an. Wie viel war damals in westlichen Medien zu sehen und zu hören von Topmanagern, die nach dem Crash als Verkäufer von Sandwiches auf die Straße gingen. Auch das ist Bangkok – hier klagen die Menschen nicht, sie versuchen, zu handeln und sich den Gegebenheiten anzupassen. Natürlich mit möglichst viel „sanuk“ (Vergnügen, Spaß) – trotz der oft bitteren Realität. Denn ohne „sanuk“ geht nichts in der thailändischen Gesellschaft.
Gerade diese Einstellung ist es, die an Bangkok und am „Land des Lächelns“ auffällt. Vor allem westliche BesucherInnen sind stets aufs Neue erstaunt und fasziniert. Viele kommen nach einem ersten Besuch immer wieder in das Land zurück.
Der Tourismus bleibt der wichtigste Devisenbringer für Thailand, das immer noch mehr Agrarland als Industriestandort ist. 1999 hatte es zunächst so ausgesehen, als ob sich die Wirtschaft wieder langsam erholt. Doch 2001 war kein gutes Jahr. Die Exporte blieben schwach. Denn die für Thailand so wichtigen Handelspartner wie die USA und Japan kämpften selbst mit wirtschaftlicher Talfahrt und Rezession, die sich vor allem nach den Attentaten vom 11. September beschleunigt hatte. Für 2002 aber hoffen WirtschaftsexpertInnen, dass es wieder aufwärts geht.
Doch der wirtschaftlich so wichtige Tourismus hat auch seine Schattenseiten: Die Natur des Landes hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten zunehmend unter dem Massentourismus gelitten. Es mehren sich die Stimmen, die einen konsequenten „Ökotourismus“, einen sanften Tourismus, fordern.
Ein Ruf, der allerdings in den Straßenschluchten Bangkoks ungehört verhallt, wo die Luft so schmutzig ist wie eh und je. Kein Wunder, dass sich Motorradfahrer und Polizei mit Mundschutz ausstatten, viele Thais sich Mund und Nase zuhalten, wenn ein älterer Stadtbus oder ein Tuk-Tuk vorbeiknattern. Auch den TouristInnen fällt das Atmen bei der hohen Luftfeuchtigkeit schwer. Und doch bietet ihnen die „Stadt der Engel“ viele Annehmlichkeiten: Hotels aller Kategorien, von der einfachen Herberge bis zur Luxusklasse, alle Küchen der Welt sind in Bangkok zuhause, multikulturelles Leben auf 2000 Quadratkilometern.

Diese Vielfalt der Möglichkeiten ist es auch, die Bangkok für die ethnischen Minderheiten, aber auch für viele AusländerInnen als dauerhaften Wohnort so anziehend macht. Jedenfalls für die, die sich ein Leben in Thailands Hauptstadt leisten können: Dazu gehören Westler ebenso wie Millionen Chinesischstämmige und zahlreiche InderInnen. Alle haben sich in das Chaos, das gleichzeitig System ist, gefügt. Still und entspannend ist es nur an wenigen Plätzen in der Riesenstadt. In der Nähe eines Tempels zum Beispiel, wo es sich eine Katze im Schatten eines steinernen Elefanten bequem gemacht hat. Oder in den kleinen, schmalen Gassen fernab der Hauptstraßen, von denen manche zu einem Bootssteg am Chao-Phraya-Fluss führen. Dort, wo eine thailändische Familie bei einem Picknick den Sonntagnachmittag in der Großstadt genießt.

Die Autorin ist freie Korrespondentin und spezialisiert auf Süd- und Südostasien. Sie lebt abwechselnd in Bangkok und Frankfurt/Main.

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