Gute Regierungsführung braucht starke Parlamente

Von Norman Spitzegger · · 2006/05

Alle afrikanischen Staaten besitzen ein Parlament. Den gesetzgebenden Häusern wird in der internationalen Entwicklungsdebatte, sei es in Studien oder von den Gebern selbst, aber nur geringe Aufmerksamkeit zuteil. Die Geberpolitik in der Entwicklungszusammenarbeit ist einseitig auf die Exekutive ausgerichtet, meint Norman Spitzegger.

Die Praxis afrikanischer Politik hat im Westen die Meinung geprägt, die Parlamente auf dem afrikanischen Kontinent seien keine wirklichen demokratischen Organe. Daher wurden sie als förderungswürdige Institutionen, bis auf wenige Ausnahmen, weitgehend ignoriert. Zu stark ist der Zweifel daran, dass sie von den Bevölkerungen ausreichend legitimiert sind und effizient arbeiten. Gleichzeitig konzentriert die internationale Gebergemeinschaft ihre Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) auf staatlicher Ebene fast ausschließlich auf die Exekutive, auf die RegierungsvertreterInnen. Der Schwerpunkt der technischen Zusammenarbeit wurde traditionell auf die nationalen, regionalen und lokalen Regierungen gelegt. Hinzu kamen als nichtstaatliche Akteure Nichtregierungs- sowie Basisorganisationen, so genannte „communiy-based organisations“. Den Begriff Partizipation verbinden westliche Geber vielmehr mit diesen sogenannten zivilgesellschaflichen Akteuren als mit den VolksvertreterInnen eines Parlaments. Die afrikanischen Parlamente profitieren nur in Ausnahmefällen von internationaler Kooperation. Sie werden in der Entwicklungszusammenarbeit kaum unterstützt. Diese Tatsache wird zwar mittlerweile als Mangel erkannt, behoben ist er damit aber noch nicht.

Die Defizite im Einbezug parlamentarischer Strukturen und Prozesse sind mit der Zeit dort etwas sichtbarer geworden, wo internationale Initiativen direkt mit der parlamentarischen Souveränität in Konflikt gerieten oder große EZA-Finanzmittel angetragen wurden. Die Parlamente in den Entwicklungsländern können auf EZA-Mittel und Gelder selten Einfluss nehmen, da sie meistens außerhalb des regulären Budgets zum Einsatz gelangen. Selbst die neuen strategischen Ansätze zur Bekämpfung der Armut, wie sie in den Strategiepapieren zur Armutsminderung (Poverty Reduction Papers – PRSPs) formuliert werden, setzen die Vernachlässigung der Parlamente durch die Entwicklungszusammenarbeit fort. Der PRSP-Prozess betont zwar die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer und die Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung der Strategien. Doch lässt der partizipative Ansatz als Kernstück dieser Initiative für die am stärksten verschuldeten ärmsten Länder (HIPIC) ein weiteres Mal deren Parlamente außen vor. Afrikanische ParlamentarierInnen sind in die Konzeption der Strategie nur in Einzelfällen involviert gewesen, obwohl Parlamente die legitimen Vertretungen der Bevölkerung sind.
Parlamentarismus ist – wenn er funktioniert – eine sehr ausgeklügelte und weit entwickelte Form demokratischer Staatspolitik. In nicht allen afrikanischen Ländern ist der Staat als ordnungspolitisches Konzept gesellschaftlich so weit integriert, dass von einem funktionierenden Parlamentarismus gesprochen werden könnte. Umso mehr braucht es geeignete Unterstützung und Zusammenarbeit, um die Parlamente nachhaltig zu stärken. Dabei müssen Themen wie Neopatrimonialismus*, Klientelismus, Feudalismus und die meist schwache staatsbürgerliche Identifikation in ihrem jeweiligen Länderkontext erst einmal als Problem verstanden und angesprochen werden. Viele bilaterale Entwicklungsagenturen unternehmen erste vorsichtige Schritte in diesem Bereich, das meiste davon beschränkt sich bisher auf einzelne, punktuelle Maßnahmen – von der Verbesserung der materiellen Ausstattung von Parlamenten bis zu Trainings für ParlamentarierInnen. Erfahrungen und Erkenntnisse sind erst zu gewinnen.

Die politische Legitimierung eines Parlaments ist nicht bloß eine Frage von fairen und freien Wahlen. Damit es als konstitutionelles System von einer Gesellschaft akzeptiert wird, braucht es mehr. Politische Systeme und ihre Institutionen hängen eng mit den sozialen und normativen Strukturen einer Gesellschaft zusammen. Sie sind soziokulturell eingefasst, von einer komplexen Eigendynamik gekennzeichnet und können durch Entwicklungsmaßnahmen nicht leicht verändert bzw. verbessert werden. Wo der Prozess der Staatsbildung noch nicht abgeschlossen ist, ist auch die Bildung von Institutionen schwierig, insbesondere wenn Gewalt, politische Apathie und eine Interessensvertretung, die nur das eigene Netzwerk begünstigt, den politischen Alltag kennzeichnen.
Die Unterstützung von Parlamenten ist ein zentrales Element, um effektives Regierungshandeln in Entwicklungsländern zu fördern. Sie verlangt umso mehr Aufmerksamkeit, als Geberländer nicht mehr nur ökonomische und soziale Entwicklungsziele verfolgen, sondern auch politische und administrative Entwicklungsaufgaben wahrnehmen. Daher sind die abstrakten Prinzipien guter Regierungsführung von unmittelbarer praktischer Relevanz für die Entwicklungszusammenarbeit geworden. Die Geberländer und ihre Entwicklungsagenturen sind gefordert, realitätsnahe und praktikable Konzepte zu entwerfen, um diesen Good-Governance-Ansatz in Entwicklungsländern zu unterstützen.

*) Im traditionellen Patrimonialismus sind alle Herrschaftsbeziehungen, politische wie administrative, persönliche Beziehungen. In seiner modernen Form, dem Neopatrimonialismus, existieren Elemente patrimonialer und rational-bürokratischer Herrschaft nebeneinander bzw. sind teilweise miteinander verwoben, wie zum Beispiel in Militäroligarchien und Einparteiensystemen.

Norman Spitzegger ist Geschäftsführer des Österreichischen Nord-Süd-Institutes für Entwicklungszusammenarbeit. Er war viele Jahre für UNDP, EU und BMaA im Bereich Governance in Afrika, Asien und in den USA tätig.

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