Hari Kunzru: Die Wandlungen des Pran Nath

Von Brigitte Voykowitsch · · 2002/12

Aus dem Englischen von Benjamin Schwarz. Karl Blessing-Verlag, München 2002, 512 Seiten, € 25,60

Pran Nath „ist Inder, ein kaschmirischer Pandit. Er weiß, was er ist. Er fühlt es.“ Zumindest will er es noch fühlen bis kurz nach seinem abrupten Hinauswurf aus jenem begüterten Haus in der Stadt Agra, als dessen Erbe er sich in Sicherheit wähnte. Denn der Wissensstand des Halbwüchsigen besagt an dieser ersten dramatischen Wende seines Daseins bereits anderes: Sein eben verstorbener Vater war nicht sein Vater, das war vielmehr ein britischer Kolonialbeamter, der kurz nach der Zeugung verschied, während die Mutter, eine echte Kaschmiri-Hindufrau, Prans Geburt nicht überlebte.
Vollwaise ist Pran also, und „Halbblut“. Es sollen die einzigen zwei sachlich unbestreitbaren und doch zunehmend irrelevanten Identitätszuweisungen bleiben auf einem Lebensweg, in dessen Zuge Pran sich laufend neu erfindet respektive neu erfunden wird. Die Fügungen des Schicksals, die er stets auch zu beeinflussen weiß, führen ihn vom Agra des frühen 20. Jahrhunderts an einen Fürstenhof in den Norden des britisch-indischen Empire, dann nach Bombay, England und Afrika. An jeder Station wechselt mit der aufgezwungenen, auf ihn projizierten oder selbst erwählten Identität auch sein Name, von Pran auf Rukshana, Robert und Bridgeman. Sein kann er alles, Inder, Mischling oder Engländer; was er angeblich ist, hängt von den jeweiligen Lebenskoordinaten ab; was er tatsächlich ist, wer vermag es zu sagen?
Wen das allzu philosophisch anmutet, der sei beruhigt. „Pran … in tausend Stücken. Ein Haufen Pran-Scherben, bereit, durch das nächste zufällige Ereignis in neuer Reihenfolge wieder zusammengesetzt zu werden“, dient dem Autor als Rohstoff für einen schelmischen turbulenten, abenteuerlichen Entwicklungsroman. Humorvoll bis beißend satirisch spielt Hari Kunzru in seinem Erstlingsroman mit einer Vielzahl von Klischees über britische Verklemmtheit, „orientalische“ fürstliche Opulenz und Verkommenheit, koloniales Jagd- und sonstiges Treiben. Und die Identitätsfrage, die für den Autor, einen in Südengland geborenen Sohn einer Britin und eines Kaschmiri, aus eigener Erfahrung von ganz besonderer Relevanz ist? Darauf gibt es die Gegenfrage: Ist es wichtiger anzukommen, überhaupt ankommen zu wollen – oder doch weiter zu ziehen?

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