„Hört auf damit!“

Von Redaktion · · 2010/04

Indien und Europa verhandeln ein Freihandelsabkommen – jedoch nicht gleichberechtigt, meint Vijay Jawandhia, indischer Bauer und Aktivist. Ursula Bittner erklärte er, wie europäische Milch den indischen Markt zerstört.

Südwind: Wie sieht die Situation indischer Milchbauern und -bäuerinnen aus?
Vijay Jawandhia:
Vor etwa 40 Jahren war der Verkauf von Milch in Indien nicht üblich. Buttermilch wurde in Dörfern gratis verteilt. Heute wird am Land keine Milch mehr konsumiert, denn alles wird in die Städte verkauft. Der Milchpreis wird niedrig gehalten – sogar Wasser ist heute teurer als Milch. Ein Bauer bekommt 14 bis 15 Rupien pro Liter, zugleich erhält man Wasser um 20 Rupien. (umgerechnet etwa 40 Euro-Cent) Milchproduzenten werden ausgebeutet. Deswegen können sie die Milchproduktion nicht steigern und wir importieren Milchpulver aus Europa. Wegen des subventionierten Milchpulvers und Butteröls aus Europa hören die indischen Milchbauern mit der eigenen Milchproduktion auf.

Was wäre ein angemessener Milchpreis in Indien?
Behält man die Produktionskosten im Auge, wären 40 Rupien pro Liter ein angemessener Preis. In vielen Dörfern beträgt der Preis nicht mehr als 30 Rupien pro „purem“ Liter Milch, das heißt ohne Beimischung von Wasser. In Mumbai sieht man, dass Amul, die größte Molkerei Indiens, ihre Milch um 35 Rupien verkauft. Diesen Preis bekommt der Bauer aber nicht.

Manche Experten meinen, dass der Markt in Indien groß genug sei, um neben indischer Milchproduktion ausländische Milch zu importieren. Was sagen Sie dazu?
Wir sind nicht gegen Importe aus der EU – doch sind diese so stark subventioniert, dass sie uns umbringen. Sie verhindern den Anstieg des indischen Milchpreises. Als ich in Deutschland war, sah ich, wie hoch Milchbauern subventioniert werden. Wenn ich mich nicht täusche, sind es 300 bis 350 Euro pro Hektar Direktsubventionen plus weitere Subventionen. Mit diesen und den Exportsubventionen zerstören sie unseren Markt – das subventionierte Milchpulver verschlechtert das Leben unserer Produzenten und Produzentinnen.

Werden indische Milchproduzenten vom Staat unterstützt?
Es gibt sehr wenige Subventionen. Das sind „Peanuts“. Kleine Grundbesitzer bekommen Subventionen, wenn sie eine Kuh oder einen Büffel kaufen. Es gibt nur wenige staatliche Genossenschaften, außer beispielsweise Amul. Amul wurde jedoch nur mit Hilfe von europäischem Milchpulver erfolgreich.

Welche Rolle spielen Frauen in der Milchwirtschaft?
In Indien werden 70 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeit von Frauen gemacht. Ganz egal in welchem Bereich. Die Arbeit mit Büffeln erledigen ausschließlich Frauen. Die Frau ist das Rückgrat unserer Landwirtschaft. Sie ist das Rückgrat der indischen Wirtschaft.

Wie wäre Ihre Politik als Landwirtschaftsminister Indiens?
In einer entwickelten Wirtschaft kann Landwirtschaft ohne staatliche Unterstützung nicht bestehen. Das ist klar. Nennen Sie es Subventionen oder wirtschaftliche Unterstützung – aber der Staat muss die Landwirtschaft unterstützen.
In Deutschland traf ich den Landwirtschaftsminister Chinas. Ich sprach mit ihm über Nahrungsmittelsicherheit und er bestätigte: „Es ist die Pflicht der Regierung, das Leben von Nahrungsmittelproduzenten zu sichern.“Wir stimmten überein, dass eine Nation, die industrialisiert wird, billige Arbeitskräfte und daher auch billige Nahrungsmittel benötigt. Nahrungsmittelproduzenten aber bleiben dadurch arm. Ich fragte ihn, ob seiner Meinung nach in einer entwickelten Ökonomie Landwirtschaft ohne staatliche Unterstützung bestehen könne. Der chinesische Minister erwiderte klar, dass die Landwirtschaft subventioniert werden muss. Dies möchte ich unterstreichen: Ein kommunistischer Landwirtschaftsminister akzeptiert, dass Landwirtschaft subventioniert werden muss.
Wäre ich der Landwirtschaftsminister von Indien, würde ich nicht zögern, die wirtschaftliche Unterstützung in der Landwirtschaft auszuweiten. Mittlerweile hat dies die Regierung Indiens akzeptiert, aber ihr Subventionssystem spaltet die Bauern: Es werden nur jene unterstützt, die Bewässerungsanlagen haben. Bewässerung, Elektrizität und chemische Düngemittel werden stark subventioniert. Wir fordern Subventionszahlungen per Hektar, so wie in Europa. Wenn Indiens Wirtschaft in dieser globalisierten Welt weiter wachsen soll, muss die Landwirtschaft flächendeckender unterstützt werden.

Was sind Ihre Wünsche für die Milchindustrie? Soll diese in Indien ausgeweitet werden?
In unserer Landwirtschaft setzen wir Büffel ein. Da es von ihnen nur wenige gibt, wurden sie sehr teuer. Doch wir brauchen die Tiere. Wir verwenden ihren Dung als Dünger. Dies macht uns unabhängig von chemischen Düngemitteln. Weniger Einsatz von chemischen Düngemitteln bedeutet weniger Verbrauch von fossilem Treibstoff. Dies wiederum bedeutet, dass wir einen Beitrag zur Reduzierung des Klimawandels leisten.
Familien, die täglich fünf bis sechs Liter Milch produzieren, verkaufen ihre ganze Produktion in die Stadt. Ihre Kinder bekommen kein Glas Milch. Der pro-Kopf-Verbrauch von Milch liegt am Land praktisch bei null. Demnach muss die Produktion von Milch erhöht werden und Produzenten sollten diese auch konsumieren. Dazu muss das Einkommen eines Bauern steigen – denn eines ist klar: Wenn die Ausgaben der Milchproduktion nicht mit den Verkauf gedeckt werden können, wird weniger konsumiert.

Indien und Europa verhandeln ein bilaterales Freihandelsabkommen. Welche Auswirkungen wird dessen Unterzeichnung auf die Landwirtschaft haben?
Ich frage mich, warum Europas Türen verschlossen sind für unsere Exporte? Wir Inder waren nie gegen den Handel. Indien war als das „goldene Land“ bekannt, obwohl wir kaum Goldminen haben. Woher stammten das Gold und das Silber? Bevor die Briten kamen, waren wir führend im Handel. Wir verkauften unsere Gewürze, unsere Baumwollstoffe und unsere Handwerksgüter nach Europa und auf dem Weltmarkt. So kamen Gold und Silber nach Indien. Man sieht: Wir sind nicht gegen den Handel, wir wollen jedoch einen fairen Handel. Für uns hat der Freihandel keinen Nutzen.

Was würden Sie dem Landwirtschaftsminister der Europäischen Union sagen?
Ich würde ihm oder ihr sagen: „Bitte schleudert eure subventionierten Produkte nicht auf unseren Markt“. Das ist alles. Es gibt eine Meinung der internationalen Ökonomie: Subventionen für europäische und US-amerikanische Bauern helfen armen Menschen in armen Ländern, da sie dadurch billige Nahrungsmittel bekommen. Diese Einschätzung ist falsch. Sie entspringt einem kolonialen Geist. Eure billigen Importe zerstören die lokale Produktion und reduzieren die Anzahl lokaler Beschäftigter. Wenn es weniger Arbeit gibt, nimmt auch die Kaufkraft ab. Also: Bitte hört damit auf!

Ursula Bittner ist eine der zwei Siegerinnen der diesjährigen „Presse“-Aktion Reporter’10. Ihre Reise nach Indien wird im Onlinetagebuch diepresse.com/reporter10 beschrieben.

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