
Sie löschen Brände, retten Leben und behaupten sich in einem männerdominierten Beruf. Zwei Feuerwehrfrauen in Mexiko-Stadt erzählen von einem Alltag voller Mut, Adrenalin und Dankbarkeit.
Es war ein trauriger Tag für Mexiko. „Ich wollte weinen, aber ich konnte nicht, weil ich der Notdienst war, der die Kinder retten musste“, erzählt Paulina Olalde Garcés. Am 19. September 2017 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,1 den Bundesstaat Puebla und die Hauptstadt. Ausgerechnet am 32. Jahrestag des großen Erdbebens von 1985, bei dem rund 10.000 Menschen in Mexiko-Stadt ihr Leben verloren hatten. Am Vormittag fanden aus diesem Anlass zahlreiche Katastrophenübungen im ganzen Land statt. Um 13:14 Uhr begann die Erde zu beben. Über 40 Gebäude stürzten in Mexiko-Stadt an diesem Tag ein, darunter eine Schule.
Garcés war zu diesem Zeitpunkt seit sechs Monaten Feuerwehrfrau: „Ich wusste, dass ich nicht alle Kinder rausholen konnte, aber ich habe mir gesagt: wenn ich einen Stein wegnehme, und die andere Person, statt zwei nur einen Stein wegheben muss, weil ich ihr helfe, dann macht das einen Unterschied.“ Über 50 Personen konnten in den ersten 72 Stunden aus den eingestürzten Gebäuden gerettet werden.
Erschöpft kehrte Garcés zurück zur Feuerwehrstation. Zahlreiche Autos mit Menschen auf der Ladefläche, die keine andere Transportmöglichkeit mehr hatten, fuhren an ihr vorbei. „Sie sangen das Lied ‚El Cielito Lindo‘. Im Text heißt es ‚canta y no llores‘ (übersetzt: ‚Singe und weine nicht‘, Anm. d. Red.). Ich hatte Gänsehaut,“ erzählt sie. An diesem Tag sah sie die Menschen ihres Landes vereint – eine Solidarität, die sie so noch nicht gekannt hatte.
Heldenhafte Feuerwehr. In Uniform sitzt die 34-Jährige mit ihrer Kollegin Andrea Flores Salcedo (28) in der Bomberoteca, der Feuerwehrmediathek des Ausbildungszentrums, fünf Minuten entfernt vom Denkmal der Revolution im Stadtteil Cuauhtémoc. Dort werden die Basisausbildungen für die Berufsfeuerwehr abgehalten und regelmäßig Kurse angeboten, auch für Feuerwehrleute aus anderen Teilen des Landes. Seit über sieben Jahren sind die beiden Frauen Teil des Heroico Cuerpo de Bomberos (übersetzt: heroische Feuerwehr). „Es ist sehr bedeutsam, einer heroischen Institution anzugehören. Wir wurden 1951 vom amtierenden Präsidenten Miguel Alemán Valdés mit dem H für heroisch ausgezeichnet, nachdem bei einem Brand in einem Eisenwarenladen in der Innenstadt zwölf Feuerwehrkameraden ums Leben kamen,“ erklärt Salcedo.
Wenn sie zu Einsätzen fahren, kommen Frauen und Männer auf die Feuerwehrfrauen zu und beglückwünschen sie zu ihrer Berufswahl. Salcedo erzählt: „Ich habe zwei Töchter, und wenn sie in der Schule gefragt werden, was die Eltern beruflich machen, sagen meine Töchter, dass ihre Mutter bei der Feuerwehr ist. Und die Lehrer:innen sind dann überrascht und fragen: ‚Ach wirklich? Es gibt Frauen bei der Feuerwehr?‘“
Führende Frauen. Die erste Feuerwehr wurde am 25. Januar 1856 in Mexiko-Stadt durch ein Präsidialdekret vom damaligen Präsidenten Ignacio Comonfort gegründet und war damit die erste Organisation dieser Art im Land. Vor etwa 20 Jahren fing die Feuerwehr in Mexiko-Stadt an, Frauen aufzunehmen, zunächst nur in Verwaltungspositionen. Heute arbeiten über 300 Frauen gemeinsam mit rund 1.900 männlichen Kollegen für die Sicherheit der 22-Millionen-Metropole. Garcés erzählt: „Es fehlte an Personal, an helfenden Händen, aber es war nicht so, dass man wirklich wollte, dass Frauen im Einsatzdienst mitfahren, denn – wegen des Machismus, der in Mexiko herrscht – wird die Frau oft als das schwächere Geschlecht gesehen.“ Doch mittlerweile gibt es Schulungen speziell für Frauen, die Führungsverantwortung übernehmen wollen, etwa als Leiterin einer Feuerwache. Garcés: „Mein Dienstleiter sagt immer: ‚Lass dir von niemandem sagen, dass du etwas nicht kannst. Wenn du dir selbst keine Sicherheit gibst, dann wird sie dir auch niemand anders geben.‘“
Brandsaison. Seit 2023 gibt es eine eigene Feuerwehruniform für Frauen. Die persönliche Schutzausrüstung – also Stiefel, Hose, Jacke und Helm – wiegt mit Atemschutzgerät ungefähr 24 Kilo. Dass die Anzüge jetzt besser passen, hilft den Frauen im Arbeitsalltag sehr. Wie sich dieser gestaltet, hängt typischerweise von der Jahreszeit ab. Angst und Adrenalin haben immer Saison: Im Juni beginnen die Regenfälle, die sich über den Sommer ziehen. In dieser Zeit gibt es keine Station, die ruhige Nachtdienste hat, weil Mexiko-Stadt zu großen Teilen überflutet wird, berichtet Salcedo. „Wegen der Überschwemmungen fallen Bäume um, weil der Boden aufweicht. Es kommt zu vielen Kurzschlüssen. Dann rücken wir oft in Teams zu zweit aus.“ Im November werden die Tage der Toten gefeiert, und die Menschen stellen Altäre mit Opfergaben und Kerzen auf, zahlreiche Brände sind die Folge. Die Brandsaison zieht sich aufgrund der Weihnachtsbäume und Feuerwerkskörper bis in den Jänner. Salcedo ergänzt: „Von Februar bis Mai sind Wald- und Grasbrände an der Tagesordnung, weil es sehr heiß und trocken ist.“
Werte teilen. Andrea Flores Salcedo war in ihrem früheren Beruf Sekretärin. Paulina Olalde Garcés hat Psychologie studiert und arbeitete im Personalmanagement. Beide können sich nicht mehr vorstellen, in ihre alten Jobs zurückzukehren. Dabei hatte Garcés nie geplant Feuerwehrfrau zu werden. Es war ein Bruder ihrer Mutter, der sie dazu motivierte, erzählt sie: „Eines Tages fragte mich ein Onkel, der bei der Feuerwehr war, ob ich glücklich sei – ich sähe so ausgelaugt und müde aus. Dann wollte er wissen, wieviel ich verdiene. Als ich ihm sagte, dass es 7.000 Pesos im Monat sind, lachte er nur und meinte, dass ich das bei der Feuerwehr in zwei Wochen verdienen kann.“ Sie bewarb sich und begann kurz darauf das Ausbildungsprogramm. Als das schwere Erdbeben passierte, wusste sie, dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. An diesem Septembertag 2017 sagte Garcés zu sich selbst: „Was habe ich mein ganzes Leben hinter einem Schreibtisch gemacht, wo ich doch Menschen hätte helfen können?“
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