Im Bann des Goldfiebers

Von Redaktion · · 2014/12

In Indien grassiert das Goldfieber seit Jahrtausenden – und vertieft die Kluft zwischen Arm und Reich, berichtet NI-Autor Jaideep Hardikar.

Es ist kein großes Geheimnis: In Indien grassiert eine besonders resistente Variante des Goldfiebers. Sie existiert schon seit Jahrtausenden. Indien hat keine Goldvorkommen, aber von den ersten Anfängen des Fernhandels an erlagen indische Kaufleute der goldenen Verlockung und trennten sich von Pfeffer und anderen Gewürzen, von Stoffen und Wissen, um das Metall in die Finger zu bekommen. Könige und Königinnen verfielen ihm ebenso; ungezählte Kriege wurden um Gold geführt.

Heute existiert kein wichtiges Ritual im Land, bei dem man ohne Gold auskommt. Ob bei Hochzeiten, der Geburt eines Kindes oder selbst am Lebensende, Gold spielt eine zentrale Rolle. Bei vielen Festen kommt man nicht umhin, Gold zu kaufen und zu schenken – es verheißt Glück und Reichtum. Im Film und in Volksliedern wird Indien als „goldener Vogel“ besungen. Die Liebe zum Gold kennt keine Schranken: Sein Glanz fasziniert alle gleichermaßen, die Reichen, die Armen, die Privilegierten gleich welcher Kaste, Klasse oder religiösen Überzeugung.

In den letzten zwei Jahren nahm der Schmuggel von Gold nach Indien wieder zu – wie zuletzt in den 1980er Jahren, als Gold in Indien weit teurer war als auf dem Weltmarkt. Auslöser war diesmal die Regierung: Sie verdreifachte 2012-2013 den Einfuhrzoll auf 15 Prozent, um einen raschen Anstieg der Goldimporte zu bremsen. Die Maßnahme gehörte zu den verzweifelten Versuchen, das Leistungsbilanzdefizit des Landes in den Griff zu bekommen, das auf einen Rekordwert von 88 Mrd. US-Dollar gestiegen war.

Die Goldimporte sanken geringfügig, aber praktisch gleichzeitig erlebte der Schmuggel einen Aufschwung. Im April 2014 gab Indiens damaliger Finanzminister Palaniappan Chidambaram bekannt, dass der Goldschmuggel einen Umfang von drei Tonnen pro Monat erreicht hätte. Tatsächlich könnten es noch weit mehr sein.

Goldene Albträume. Indien ist heute der zweitgrößte Goldimporteur der Welt nach China. Knapp 20% des weltweiten Goldangebots überqueren jedes Jahr die Grenzen und lassen die wertvollen Devisenreserven schrumpfen. Ernste Probleme mit der Zahlungsbilanz sind nicht die einzige Folge – es gehen enorme Ersparnisse verloren, die ansonsten der produktiven Wirtschaft zur Verfügung gestanden hätten. 700 Tonnen waren es 2010, 2013 waren es schon 975 Tonnen, trotz fiskalischer Maßnahmen, die das Geschäft eindämmen sollten – als ob indische Familien seit grauen Vorzeiten nicht schon Gold in Überfluss gehortet hätten. Und damit noch nicht genug: Auch die Goldfonds, die an den beiden Börsen des Landes gehandelt werden, verzeichnen weiterhin hohe Umsätze.

In den zehn Jahren zwischen 2001 und 2010 erhöhte sich der Anteil von Gold an den Gesamtimporten von 8,1% auf 9,6%; Gold wurde zum wichtigsten Importgut nach den Erdölprodukten. Laut einer aktuellen Studie der indischen Handelskammer, „Indias Gold Rush: Its Impact and Sustainability“ („Indiens Goldrausch: Auswirkungen und Zukunftsfähigkeit“), lag der Wert der Goldimporte im Fiskaljahr 2010-2011 über den Gesamtausgaben für städtische Entwicklung, Gesundheit, Wohnbau und Familienwohlfahrt.

Die staatliche Politik bleibt widersprüchlich. Einerseits gibt es zwar fiskalische Maßnahmen, um die Einfuhren zu bremsen; andererseits aber wieder Einfuhrzollbefreiungen, die Indien jedes Jahr rund neun bis elf Mrd. Dollar kosten. Wer profitiert von diesen Geschenken? Und wer verliert?

Wachsende Ungleichheit. Viele ÖkonomInnen betrachten die Goldimporte als einen Indikator der wachsenden Ungleichheit in Indien. Wie das ländliche und das städtische Indien mit Gold umgehen, hat sich in den letzten Jahren dramatisch auseinanderentwickelt: Das eine Indien kauft das Zeug tonnenweise, um sein überschüssiges Einkommen sicher zu verwahren, während das andere Indien seine geringen Goldvermögen in Geld verwandelt, um es in die Landwirtschaft zu stecken oder andere Finanzierungslücken zu stopfen. Das reiche Indien ruiniert die Leistungsbilanz, und das bringt wiederum das arme Indien in Nöten – die Importe werden teurer. Die Rupie wertet ab, der Dollar wertet auf. Die Reichen werden reicher, während die Armen noch tiefer in Armut sinken.

Aber was ist eigentlich der treibende Faktor hinter diesem Goldrausch? Der World Gold Council schätzt, dass im vergangenen Jahrzehnt 75% des in Indien nachgefragten Goldes letztlich als Schmuck verkauft wurden – erworben von den InderInnen, die zu den Neureichen zählen, ein kleiner Teil der Bevölkerung. Hochzeiten sorgen für die Hälfte der jährlichen Nachfrage, so der Council – ein großer Teil davon ist einem hartnäckigen gesellschaftlichen Übel geschuldet, der Mitgift. Mehr als die Hälfte der indischen Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre – in den nächsten zehn Jahren ist mit etwa 15 Millionen Hochzeiten jährlich zu rechnen. Der indische Appetit auf Gold kümmert sich zudem keine Spur um konventionelle Marktgesetze – die Nachfrage steigt, obwohl sich der Goldpreis in Rupien im letzten Jahrzehnt vervierfacht hat.

Es gibt noch einen zweiten wichtigen Grund, warum InderInnen in Gold investieren: Die Mehrheit ist nach wie vor zu arm, um von einer Bank als Kunde akzeptiert zu werden. Mehr als die Hälfte der 1,25 Mrd. Menschen des Landes verfügen über kein Bankkonto. Damit haben sie weder Zugang zu formalen Krediten noch zu sicheren Sparformen. Viele vertrauen dem Gold, weil man es mit sich tragen kann und weil es als langfristig sichere Wertanlage gilt. Das glauben sie jedenfalls. Es kann aber ganz anders sein. Die Armen verwandeln ihre wenigen Ersparnisse in Gold, obwohl sein Preis stark schwankt – sie kaufen also vielleicht zu teuer. Und wenn sie in finanzielle Not geraten, sind sie gezwungen, dieses Gold weit unter dem Marktpreis an lokale Wucherer oder Juweliere zu verkaufen.

Das zeigt der Fall von Swapnil Shirke, einem 24-jährigen Bauern aus dem Baumwollanbaugebiet in Vidarbha, Maharashtra, in der Schuldenfalle gefangen wie viele ländlichen Haushalte. Am 23. November 2012, in einer Zeit, in der in Indien alle möglichen Feste gefeiert wurden, hatte er genug. Er verkaufte die Mangalsutra, die goldene Hochzeitskette seiner Mutter, zahlte mit dem Erlös seine ArbeiterInnen und legte den Rest für die College-Gebühren seines jüngeren Bruders beiseite. Dann erhängte er sich. Im selben Monat November gaben soziale AufsteigerInnen Millionen für insgesamt 50 Tonnen Gold aus, zumeist Schmuck. So wandert das Gold vom einen Indien zum anderen.

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Jaideep Hardikar ist Journalist in Nagpur, Maha-rashtra und arbeitete 2009 als Alfred Friendly Press Fellow in den USA. Er ist Autor des Buchs „A Village Awaits Doomsday“ (2013).

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