Im Osten viel Hoffnung

Von Günter Spreitzhofer · · 2021/Mai-Jun
Weit weg. Über 12.300 km ist Timor-Leste von Österreich entfernt. Zeitunterschied: plus 7 Stunden. © Günther Spreitzhofer

Timor-Leste war das erste Land, das im 21. Jahrhundert unabhängig wurde. Trotz seiner sehr belasteten Vergangenheit konnte der Inselstaat in Südostasien in den vergangenen Jahren Erfolge verbuchen.

Ex-Präsident Nicolau Lobato war Freiheitskämpfer und ist immer noch Volksheld – und in der Hauptstadt Dili nach wie vor präsent: Seine monumentale Statue vor dem kleinen Flughafen, der zudem seinen Namen trägt, bröckelt an manchen Stellen ab. Die internationalen Flugverbindungen beschränken sich auf Bali, Singapur und das australische Darwin.

Nur in der zweistöckigen Burger King-Filiale daneben, die die wandlose Abflughalle mit ihrem Wellblechdach überragt, gibt es Toiletten und durchgehend Licht.

In der aktuellen Covid-19-Pandemie sind Insellage, vorherrschende Subsistenzwirtschaft, geringe Mobilität und mangelnde globale Vernetzung von Vorteil: am 10. März waren gerade 142 positive Fälle dokumentiert.

Über Dili wurde erst Mitte März 2021 der erste Lockdown verhängt; offiziell begründet mit steigenden Infektionszahlen im Nachbarland Papua Neuguinea.

260 km lang, 80 km breit, dazwischen tropisches Bergland: Osttimor oder Timor-Leste liegt, wie der Name sagt, auf der östlichen Seite der Insel Timor. Obwohl der malaiische Archipel weit weg von den Machtzentren der Welt entfernt ist, wurde er immer wieder zum Spielball fremder Mächte.

Vor gut 450 Jahren erhob Portugal Anspruch auf den östlichen Teil der Insel und machte ihn zur Kolonie. Erst die Nelkenrevolution 1974 in Portugal ermöglichte erste eigene politische Gehversuche in der Phase der Dekolonisierung und endete 1975 im Bürgerkrieg: Nur neun Tage dauerte die einseitig ausgerufene Unabhängigkeit, bis Indonesien Osttimor annektierte und 24 Jahre lang besetzt hielt. 183.000 Todesopfer, (sexualisierte) Gewalt und die Zerstörung der Infrastruktur waren die Folge. Diese dunkle Periode prägt die Region noch bis heute.

Nach einem 1999 durchgeführten Referendum, das nach dem erzwungenen Rücktritt des indonesischen Langzeitpräsidenten Suharto erfolgte, gab es 2001 die ersten freien Parlamentswahlen. Am 20. März 2002 wurde die Unabhängigkeit erklärt.

SWM / Trinaliv / CC BY-SA 4.0

Demokratische Republik Timor-Leste

Hauptstadt: Dili

Fläche: 14.919 km2 (rund ein Sechstel der Fläche Österreichs)

Einwohner*innen: 1,3 Millionen (2020), davon leben rund 200.000 im Großraum der Hauptstadt Dili.

Human Development Index (HDI): Rang 141 von 189 (Österreich 18)

BIP pro Kopf: 1.560,5 US-Dollar (2019, Österreich: 50.137 US-Dollar)

Gini-Koeffizient (Einkommensungleichheit): 28,7 (2014)

Regierungssystem: Semipräsidentielle Republik. Präsident: Francisco Lú-Olo Guterres, seit 2017; Premierminister: Taur Matan Ruak, seit 2018

Alte Eliten. Noch immer beherrscht eine Elite aus früheren Widerstandskämpfer*innen das politische Geschehen. Xanana Gusmão etwa, erster Präsident des Landes (im Amt 2002-2007) und Vorsitzender der Partei CNRT (Nationalkongress für den timoresischen Wiederaufbau). Der „Vater der Nation“ wurde 1992 gefangen genommen, in einem Schauprozess zu lebenslanger Haft wegen Rebellion und Waffenbesitz verurteilt und kurze Zeit später begnadigt.

Bis heute ist er politisch aktiv, aktuell u.a. als Beauftragter für Osttimors Seerechtsfragen. Das ist angesichts bedeutender Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Timorsee im Grenzbereich zu Australien eine strategisch bedeutsame Position.

Mit Hilfe der Einnahmen aus dem staatlichen Petroleumfonds (Schätzwert 2020: 19 Mrd. US-Dollar) konnten Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt und die Folgen des jahrzehntelangen Konfliktes mit Indonesien angegangen werden – viele interne Flüchtlinge wurden entschädigt und Soldaten ins zivile Leben zurückgeführt.

In der Bucht von Tibar entsteht seit 2019 ein neuer Hafen. In Beaco wiederum, an der Südküste, ist ein Flüssigerdgasterminal in Planung.

Gute Erfolge. In den vergangenen Jahren hat Timor-Leste – nicht allein wegen, aber erleichtert durch ein leichtes, stetiges Wirtschaftswachstum – auch bemerkenswerte Erfolge beim Aufbau staatlicher Strukturen, der Entwicklung demokratischer Kultur und im Bildungsbereich erzielt. Galten 1974 noch rund 95 Prozent der Bevölkerung als Analphabet*innen, so sank dieser Wert bis 2019 auf unter 15 Prozent.

Freie und faire Wahlen (zuletzt 2018) und Menschenrechte werden mittlerweile durchgeführt bzw. akzeptiert.

Die US-NGO Freedom House stufte Timor-Leste 2018 als einziges Land in Südostasien bei der Klassifizierung nach dem Grad ihrer politisch-zivilen Freiheit als „frei“ ein.

Seit 2011 laufen Gespräche über den Beitritt zum Verband Südostasiatischer Nationen.

Außenpolitisch unterhält Timor-Leste enge Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Portugal, die sich vor allem bei der Professionalisierung der Streitkräfte sowie im Justiz- und Bildungssektor engagiert: Etwa 40 Prozent der Sekundarschulen des Landes sind nicht in öffentlicher Hand, viele von den privaten werden von portugiesischen Institutionen finanziert.

Die Pflege guter Nachbarschaft mit der ehemaligen Besatzungsmacht Indonesien ist von zentraler Bedeutung: aus sicherheitspolitischen Erwägungen zum einen, aus wirtschaftlichen zum anderen. Rund 31 Prozent aller Importe stammen aus Indonesien.

Für beide Staaten ist das Kapitel der belasteten Vergangenheit, trotz Kritik von Opfer- und Menschenrechtsorganisationen, mit Beendigung der Arbeit der Freundschafts- und Versöhnungskommission abgeschlossen.

Langsame Aufarbeitung. Die Frage nach Gerechtigkeit, Anerkennung und Reparationen – die Indonesien kategorisch ablehnt – bleibt eines der kontroversen politischen Themen.

Die Aufarbeitung der Geschehnisse beschränkte sich weitgehend auf eine Registrierung der Vorfälle und lokale Friedensvermittlungen unter staatlicher Führung.

Von vielen Opfern der Besatzung fehlt jedoch jede Spur. Die politische Elite mag sich mit Indonesien arrangiert haben, doch Ängste vor einem wachsenden, vor allem wirtschaftlichen Einfluss des bevölkerungsreichsten muslimischen Landes der Welt sind im überwiegend katholischen Timor-Leste allgegenwärtig; auch wenn 55 Prozent heute jünger sind als 18 Jahre und die Gräuel der indonesischen Besatzung nie am eigenen Leib erfahren haben.

Es erinnern noch viele zerschossene Gebäuderuinen an die kriegerischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit. Rund 90 Prozent der Bevölkerung leben heute noch von der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei. Mehr als ein Drittel muss mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag über die Runden kommen; weniger als zwei Prozent verfügten 2019 über einen Internetanschluss.

Seit der Verhängung des coronabedingten Ausnahmezustandes im Februar 2020 regiert Premier Taur Matan Ruak mit einer fragilen Minderheitsregierung. Für die Bevölkerung änderte sich dadurch wenig.

Erklärtes Ziel des Linksbündnisses ist die vermehrte internationale Einbindung, gekoppelt mit der verstärkten Nutzung der landeseigenen Ölreserven, auch um weitere Infrastruktur- und Sozialprogramme finanzieren zu können.

Günter Spreitzhofer ist Geograph, Publizist und Reisender. Zahlreiche Lehraufträge am Institut für Geographie und Regionalforschung (Universität Wien), Schwerpunkt Asien & Afrika. Er reiste 2019 nach Osttimor.

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