Indiens Muslime in der Zwickmühle

Von Brigitte Voykowitsch · · 2002/02

In Indien leben ungefähr genau so viele Angehörige des islamischen Glaubens wie in Pakistan. Sie wollen jedoch in den zwischenstaatlichen Konflikt, der sich gegenwärtig an Kaschmir erhitzt, nicht hineingezogen werden.

Meine Landsleute, lasst mich bitte ein für alle Mal wissen, ob ich euren Loyalitätstest bestanden habe“, ersuchte Mushirul Hasan jüngst in einem Kommentar für die Tageszeitung „Indian Express“. Wie kann ein indischer Muslim beweisen, dass er Indien als seine einzige Heimat ansieht, dass seine „Treue“ diesem und keinem anderen Land gilt, weder Pakistan noch irgendeinem anderen islamischen Staat? Mit dieser Frage sehen sich Menschen wie Hasan, angesehener Universitätsprofessor für Geschichte in Neu-Delhi, seit Jahrzehnten konfrontiert. Die Terrorakte in den USA vom 11. September und der Anschlag auf das indische Parlament vom 13. Dezember sind lediglich die letzten in einer langen Reihe von Ereignissen seit der Teilung des Subkontinents im Jahre 1947, nach denen chauvinistische Hindus glauben, die Zugehörigkeit von Indiens Muslimen einer strengen Prüfung unterziehen zu müssen.

Wie reagieren die Muslime? Haben sie sich klar genug gegen Fanatiker vom Schlage der Al-Qaida-Mitglieder distanziert? Haben sie die Gewalt im Namen des Islam hinreichend verurteilt? Lehnen sie den von Pakistan geförderten Terrorismus in Kaschmir ab? Und tun sie es laut und glaubwürdig genug? Oder verfallen sie nicht immer wieder in ein verdächtiges Schweigen, das man ihnen dann als Komplizenschaftt auslegt?
„Glauben Sie mir, angesichts solchen Misstrauens und permanenter Vorwürfe ist es eine verdammt schwierige, zeitaufwendige und anstrengende Aufgabe, die eigene nationale Zugehörigkeit unter Beweis zu stellen“, betont Hasan. Weder er selbst noch andere liberale Muslime streiten die Existenz von muslimischen Fundamentalisten und Fanatikern in Indien ab. Wenn Liberale wie der Menschenrechtsaktivist Javed Anand darauf hinweisen, dass Jihad in erster Linie den „Kampf gegen das Böse in sich selbst“ bedeutet, so haben die Mitglieder der inzwischen von der Regierung verbotenen „Islamischen Studentenbewegung Indiens“ (Simi) ganz offenkundig ein anderes Verständnis von Jihad. In Frieden mit den Hindus und anderen Nicht-Muslimen zu leben, ist ihrer Ansicht nach der sichere Weg in die Hölle. Auch der Imam der Jama Masjid in Neu-Delhi oder der muslimische Hitzkopf Syed Shahabuddin sind jederzeit für radikale Aussagen zu haben.

Doch wessen Worten wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt: Shahabuddin, der seine Unterstützung für Usama bin Laden kundtut, oder der angesehenen muslimischen Filmschauspielerin Shabana Azmi, die ihm daraufhin empfiehlt, er möge sich, anstatt Indiens Muslime in Verruf zu bringen, doch lieber nach Kandahar begeben und dort für die Taliban kämpfen? „Die Medien stürzen sich auf die wildesten und radikalsten Worte und bedienen das Stereotyp des bärtigen Mullah, der möglichst noch mit einer Kalaschnikow fuchtelt“, sagt Syeda Hameed, Leiterin des Muslimischen Frauenforums in Neu-Delhi. „Für wen spricht denn der Imam oder Shahabuddin? 90 Prozent der rund 130 Millionen indischen Muslime tragen keinen solchen Hass in sich. Sie wollen wie die große Mehrheit der Hindus in einem friedlichen Indien leben. Stattdessen werden sie durch die Schreie der Fanatiker ebenfalls verdächtig und leben in Angst, Unsicherheit und permanenter Verwundbarkeit.“
Wenn sich schon prominente liberale Muslime mit ihrer Befürwortung eines versöhnlichen Zusammenlebens der Religionsgemeinschaften wenig Gehör verschaffen können, wie sollen es dann jene Millionen, die, großteils als Analphabeten, in den Dörfern um ihr tägliches Existenzminimum ringen?, fragt eine ernüchterte Syeda Hameed.

Aus den Reihen der bekannten Muslime hat sich erst im Herbst wieder Rafiq Zakaria, Jurist, langjähriger Politiker der Kongresspartei und Autor zahlreicher Bücher, zu Wort gemeldet. In seinem neuen Werk mit dem Titel „Der Mann, der Indien teilte“ klagt er den Staatsgründer von Pakistan, Muhammed Ali Jinnah, eines „diabolischen Spiels“ an. Hindus und Muslime, führt Zakaria ein in liberalen und säkularen Kreisen gängiges Argument an, hätten eintausend Jahre lang mehr oder weniger in Frieden mit- oder nebeneinander auf dem Subkontinent gelebt. Mit seiner Zwei-Nationen-Theorie, derzufolge Muslime und Hindus zwei unterschiedliche Nationen wären, die nie in einem von den Briten unabhängigen geeinten Subkontinent zusammenleben könnten, sondern Anspruch auf je einen eigenen Staat hätten, habe Jinnah „die Muslime Südasiens gespalten“. Ein Gutteil der Muslime zog es schließlich vor, in Indien zu bleiben, anstatt in das neugegründete Pakistan zu ziehen, in dem der Islam als nationaler Kitt versagte und von dem sich dann 1971 der Ostteil als neues Land Bangladesch abspaltete (vgl. SWM 11/01 S.12).
Zakarias Thesen sind weder neu noch in der bis heute nicht abgeschlossenen Debatte über Ursachen und Verantwortliche der Teilung unumstritten. Bedeutung kommt seinem Buch – das in der Quellenwahl eher fragwürdig ist – aber insoferne zu, als es als Aufschrei eines gemäßigten Muslims über die missliche Lage seiner indischen GlaubensgenossInnen verstanden werden kann. „Meine große Sorge gilt den Millionen Muslimen, die in Indien zurückgeblieben sind und wegen der schrecklichen Last der Entfremdung und des Hasses, die die Teilung ihnen aufbürdete, kein normales, friedliches Leben führen können“, betont Zakaria.

An die 130 Millionen Muslime in Indien, in etwa so viele Muslime, wie in Pakistan leben, werden von Hindu-Chauvinisten als monolithischer Block gesehen, als potentielle Pakistanis, Angehörige der ebenso monolithisch präsentierten „islamischen Welt“ und damit stets des Verrats an „Bharat Mata“, der „Mutter Indien“, verdächtig. „Dabei ist das Schöne am indischen Islam sein Synkretismus. Die Muslime hier sprechen so viele verschiedene Sprachen, gehören so vielen regionalen Kulturen an, so viele Musliminnen tragen Saris. Ich selbst bin sehr gläubig, verrichte meine Gebete und faste, aber wenn Sie mich in einer gemischten Gruppe von Inderinnen sehen, woran wollen Sie denn erkennen, welcher Religion ich angehöre“, erläutert Syeda Hameed.
Im Konflikt um die zwischen Indien und Pakistan geteilte Himalaya-Region Kaschmir hat sich die Urdu-Presse im allgemeinen hinter die indische Regierung gestellt und wenig Sympathien für Pakistan erkennen lassen. Letzteres reklamiert Kaschmir für sich, weil die Mehrheit der dortigen Bevölkerung muslimischen Glaubens ist. Gemäßigte indische Muslime sind sich dagegen mit den liberalen Hindus einig darin, dass Indien Kaschmir nie abtreten könne, da es damit die Zwei-Nationen-Theorie anerkennen würde. Ganz abgesehen von der Frage nach dem Verbleib der übrigen indischen Muslime, die Hindu-Fanatiker bei einem Verlust Kaschmirs bestimmt aufwerfen würden.

Doch warum wird die Urdu-Presse ignoriert? Weil Urdu nicht nur die Sprache der nordindischen Muslime ist, sondern zur Staatssprache Pakistans erhoben wurde? „Ja, warum sollte uns Muslimen denn auch irgendjemand trauen?“, fragt Mushirul Hasan, „gleichgültig ob einer nun Atheist oder gläubig ist, Säkularist oder Islamist, Marxist oder Anhänger der Kongresspartei?“. Die Geschichte, die dieser Tage von konservativen Hindu-Kreisen wieder verstärkt umgeschrieben wird, wie auch der Alltag liefern genügend Beispiele für die „Illoyalität“ der Muslime, wie Gemäßigte bitter feststellen. Natürlich gab es in der Vergangenheit muslimische Herrscher, die Tempel entweihten und zerstörten. Es lässt sich nicht abstreiten, dass manche indische Muslime bei Cricketspielen für das pakistanische Team applaudieren.
Muslime hätten vier Frauen und damit weitaus mehr Kinder als die Hindus, womit sie eines Tages in der Mehrzahl sein würden, ist ein statistisch widerlegbares, aber nichtsdestotrotz häufiges Argument zur Untermauerung der „muslimischen Bedrohung“.
Wie also können Indiens Muslime, die, so der Analyst Saeed Naqvi, die Gründung von Pakistan stets als Fehler ansahen, ihre Loyalität unter Beweis stellen? Indem sie nun permanent ihren Hass auf Pakistan und dessen Politik einschließlich der Unterstützung für Terroristen in Kaschmir kundtun? Die Lösung, hat Naqvi oft betont, kann lediglich darin bestehen, dass Indien und Pakistan endlich Frieden schließen und sich sowohl miteinander wie auch mit ihrer gemeinsamen Geschichte aussöhnen.

Die Autorin ist freie Journalistin mit Arbeitsschwerpunkt Süd- und Südostasien und bereiste kürzlich wieder Indien.

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