Indiens Spiel mit den Großkatzen

Von Jitendra Choubey · · 2023/Sep-Okt
Ein Gepard aus Afrika im indischen Kuno-Nationalpark: Laut Expert:innen keine optimale Umgebung für die Raubkatze. © Y.V. Jhala

Der in Indien schon ausgestorbene Gepard kehrt zurück, zur Freude vieler. Indigene Gemeinschaften stellt er aber vor Probleme.

Harilal Sahariya ist aufgebracht: „Niemand hat ein Ohr für unsere Sorgen“, sagt er. „Alle sind verrückt nach den Geparden.“ Der 30-Jährige, ein Angehöriger einer indigenen Gemeinschaft, stammt aus einem Dorf namens Tiktoli. Es ist das letzte Dorf vor dem Haupteingang des Nationalparks Kuno im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh und liegt rund 500 Kilometer südlich der Hauptstadt Neu-Delhi. Der Nationalpark beherbergt seit einigen Monaten ein paar neue Bewohner: Geparde aus Afrika, genau genommen Südafrikanische Geparde.

Vergangenen September hatte ein Militärflugzeug fünf Weibchen und drei Männchen aus Namibia hergebracht, mit dem Ziel, sie im Kuno-Nationalpark auszuwildern.

Die „Wiedereinführung“ des Gepards, der einst in Indien beheimatet war, ist ebenso ambitioniert wie kontrovers. Sie brachte das Leben der Indigenen, die im Park und seiner Umgebung leben, gehörig durcheinander.

Eine der Folgen: Das Forstamt der Regierung von Madhya Pradesh nahm ihnen ihre angestammten Rechte auf die Nutzung des Waldes und die Weiderechte für ihre Rinder.

„Weder wir noch unser Vieh dürfen jetzt noch den Wald betreten – etwas, das für uns seit Generationen selbstverständlich war“, beklagt Sahariya, „Unsere Lebensgrundlage war dieser Wald: sein Laub, die Schilfrohre, das Harz, die Fische, die Heilkräuter.“ Weil ihre althergebrachte Lebensgrundlage wegbricht, zieht es viele junge Männer der Gemeinschaft in der Hoffnung auf einen Job nun in die Städte.

© SWM / Uwe Dedering / CC BY-SA 3.0 / commons.wikimedia.org

Ein Herz für Tiere. Auf der anderen Seite lässt das aufwendige Gepard-Wiederansiedlungsprojekt die Herzen von Tierliebhabenden höher schlagen – sowie das des indischen Premierministers Narendra Modi. Um die tierischen Neuankömmlinge in ihren Quarantänegehegen zu begrüßen, veranstaltete dieser am 17. September 2022, seinem Geburtstag, ein riesiges Fest.

Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Afrika, West- und Südasien insgesamt mehr als 100.000 Geparde. Heute sind es weniger als 8.000 in Afrika – und nur noch ein paar vereinzelte in Asien. In Indien verschwanden sie vor gut sieben Jahrzehnten. Der gemeinnützigen Wildtierforschungsorganisation Bombay Natural History Society (BNHS) zufolge war es der König von Koriya, einem damaligen Fürstenstaat in Zentralindien, der 1947 die letzten drei indischen Geparde erlegte, nachdem ihn Klagen erreicht hatten: In Dörfern seien Menschen von wilden Tieren angefallen und getötet worden. Fortan ward im Land kein Gepard mehr gesehen.

Mit der Rückkehr der Geparde kehrten auch die Konflikte zwischen Mensch und Tier zurück. Um diese abzumildern, erhalten Landwirtinnen und Landwirte, deren Vieh von den Raubkatzen gerissen wird, eine Entschädigung. Zudem hat die Regierung in den an den Nationalpark angrenzenden Dörfern ein Programm ins Leben gerufen: Rund 300 Männer und Frauen wurden zu „Cheetah Mitra“ ernannt, zu „Freunden und Freundinnen der Geparde“. Sie bekamen eine Schulung und sollen dabei helfen, in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die neuen tierischen Nachbarn zu schaffen – und zu einer möglichst friedlichen, konfliktfreien Koexistenz beitragen.

Die Probleme der Indigenen werden so aber nicht gelöst.

Überleben noch nicht sicher. Im Februar trafen noch einmal zwölf Geparde in Indien ein, diesmal aus Südafrika; für die kommenden Jahre sind weitere Umsiedlungsflüge zwischen den beiden Ländern vereinbart. Bis Ende Mai waren drei der eingeflogenen Geparde und drei in Indien geborene Jungtiere verstorben.

„Es ist der weltweit erste Versuch, ein Raubtier über die Grenzen von Kontinenten hinweg anzusiedeln“, erklärt Yadvendradev Jhala, der den Plan für die Wiederansiedlung der Geparde in Indien federführend entwickelte und bis April 2023 Vorsitzender des Wildlife Institute of India war.

Doch es mehren sich die Stimmen derjenigen, die infrage stellen, ob der Kuno-Nationalpark als Lebensraum für Geparde überhaupt eine besonders sinnvolle Wahl ist.

Hintergrund: Dieser war eigentlich als Lebensraum für den gefährdeten Asiatischen Löwen gedacht gewesen. Von dieser Unterart existieren in freier Wildbahn nur noch ein paar Hundert Exemplare – und zwar allesamt im Gir-Nationalpark im westindischen Bundesstaat Gujarat.

Um zu verhindern, dass diese letzte Population einem ähnlichen Unglück anheimfällt wie die Löwen des Serengeti-Reservats in Tansania 1994 – da raffte ein Virus rund 1.000 Tiere dahin –, plante die indische Regierung einst, dem gefährdeten Asiatischen Löwen mit dem Kuno-Nationalpark eine zweite Heimat zu schenken.

Politische Profilierung. Als ihre Löwen-Umsiedlungspläne im Jahr 2004 konkret wurden, hatte dann aber der damalige Regierungschef des Bundesstaats Gujarat, Narendra Modi, etwas dagegen. Er nutzte die Angelegenheit zur politischen Profilierung. Die Großkatzen aus dem Gir-Nationalpark in Gujarat seien das Erbe dieses, „seines“ Bundesstaates – und sollten nirgendwohin reisen.

2013 gab es schließlich eine Anordnung des Obersten Gerichts, binnen sechs Monaten die Löwen umzusiedeln – die wurde schlicht ignoriert. Ein Jahr später trat Modi das Amt des indischen Premierministers an.

„Die Habitate von Geparden und Asiatischen Löwen unterscheiden sich voneinander“, erklärt Faiyaz Ahmad Khudsar, ein Wildbiologe, der acht Jahren lang im Kuno-Nationalpark tätig war. „Der Nationalpark besteht zu großen Teilen aus Wald und Buschwerk“, so Khudsar. „Geparde benötigen eine offenere Landschaft, eine Grassavanne“, sagt er. Und auch an geeigneten Beutetieren herrsche hier Knappheit. Laut dem Initiator der Wiederansiedlung, M. K. Ranjitsinh, ließe sich der Erfolg des Unterfangens erst langfristig einschätzen.

Menschen müssen weichen. Im Nationalpark, wo seit Jahrhunderten traditionelle Gemeinschaften lebten, gibt es offiziellen Regierungsangaben zufolge nur noch ein Dorf, in dem Indigene leben, Bagcha. Die mehr als 200 Familien sollen jedenfalls wegen der Geparde umgesiedelt werden, an einen anderen Ort innerhalb des Distrikts. Die Menschen blicken voller Sorge in die Zukunft. Die Älteren im Dorf haben Angst, dass sie gewaltsam vertrieben werden, sollten sie sich weigern zu gehen.

Nicht alle sind bereit, ihre Heimat für die neuen tierischen Nachbarn aufzugeben – auch nicht gegen eine Entschädigung. „Selbst wenn sie uns ein neues Siedlungsgebiet zur Verfügung stellen“, so Shanti Adiwasi, eine 60-jährige Witwe: „Den Verlust unserer ererbten Heimat würde das nicht aufwiegen.“         

Jitendra Choubey ist ein indischer Journalist, der regelmäßig über Umwelt- und Naturthemen berichtet.

Übersetzung: Markus Wanzeck

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