Junge Republik mit alten Problemen

Von Kurt Luger · · 2009/07

Regierungen kommen und gehen in Nepal, die Wirtschaft taumelt, ethnische Konflikte brodeln, der Friedensprozess ist ins Stocken geraten.

Mit großem Tamtam eröffnete der frühere Rebell Prachandra, genannt der Unbezwingbare, der vor einem Jahr zum Regierungschef des Himalaya-Staates Nepal gewählt wurde, den leer stehenden Königspalast als Nationalmuseum. Den König hatte er mit seinen maoistischen DschungelkämpferInnen in einem zehnjährigen Guerillakrieg niedergerungen, dann mit den anderen Parteien des Landes eine Allianz gebildet und die Monarchie abgeschafft. Deren Insignien, die Juwelen und Luxuslimousinen, sind im neuen Museum zu bestaunen. Der König selbst fand ein Domizil außerhalb der Hauptstadt Kathmandu und füttert nun Goldfische. Puspa Kamal Dahal, so heißt der erste Premier der Republik Nepal mit seinem bürgerlichen Namen, hat die Revolution aus den ärmsten Winkeln Nepals in die Hauptstadt getragen. Danach errang er in einer demokratischen Wahl einen großartigen Sieg, weil er versprach, dem Land endlich Frieden und soziale Gerechtigkeit zu bringen.

Eine große Mehrheit des Volkes hatte dem neuen Hoffnungsträger zugejubelt, doch seine Regierung hielt nicht einmal ein ganzes Jahr. Am 4. Mai trat der Premier zurück. Der Grund: Prachandra hatte den Armeechef entlassen, weil er sich den Plänen der Regierung, die Rebellensoldaten und die nationale Armee zu fusionieren, widersetzte. Der vom Parlament gewählte Präsident Ram Baran Yadav widerrief diese Entscheidung. Mit dem Verweis, das Volk müsse die Oberhoheit über die Armee behalten – gemeint war damit die vom Volk gewählte Regierung -, trat Premier Prachandra zurück. In einer fulminanten, vom staatlichen Fernsehen Nepal TV ausgestrahlten Ansprache beschuldigte er reaktionäre Kräfte innerhalb und außerhalb des Landes, den Demokratisierungsprozess in Nepal zu blockieren, und rief alle Patrioten zum zivilen Ungehorsam auf. So wollte er als moralischer Sieger aus dem Konflikt aussteigen.

Jedoch kurz darauf gelangte auf dem Privatsender Image Channel ein verwackeltes Amateurvideo zur Ausstrahlung. Dieses zeigte ihn kurz vor der Wahl zum Premier vor seinen Genossen, Späße reißend darüber, wie er das ganze Land und die UNO über die Stärke der Rebellenarmee und seine Friedensgesinnung getäuscht hatte. Das Video enthüllte auch sein eigentliches politisches Ziel, das er explizit formulierte: die totale Kontrolle über die Armee und über den Staat.

Nun sind die Maoisten in der Opposition und haben mit ersten gewalttätig erzwungenen Arbeitsniederlegungen und Straßenblockaden schon gezeigt, wie sie die neue Regierung bekämpfen werden. Die existiert aber noch nicht – nur ein Premierminister wurde bereits angelobt. Man einigte sich auf Madhav Kumar Nepal von der höchst gemäßigten kommunistischen Partei UML. Der alte Haudegen soll als Kompromisskandidat die fragile 22-Parteien-Allianz führen. Nach zwei Wochen Ministersuche fand er bislang nur vier – und die kommen alle aus seinem Lager. „Mehr als ein halbes Jahr wird diese Regierung nicht überleben“, glaubt Basantha Thapa, ein erfahrener politischer Kommentator. „Die Chance auf Chaos ist viel größer als die auf Weiterführung des nationalen Konsolidierungsprozesses.“

In der Tat stehen die Zeichen auf Sturm. Der Friedensprozess nach dem Bürgerkrieg ist ins Stocken geraten, und die maoistischen Soldaten warten noch immer in den Dschungelcamps auf ihre wie immer geartete Integration in die Nationalarmee. An einer neuen Verfassung, die auch den Kastenlosen und den zahlreichen ethnischen Minderheiten zu einer Stimme verhelfen soll, wird zwar gearbeitet, aber den Leuten geht es viel zu langsam. Niemand glaubt, dass sie in einem Jahr wie angekündigt fertig sein wird. Zudem wirkt die weltweite Wirtschaftskrise auf die Dörfer zurück. Die jungen Männer, die von dort aufbrachen, um in den Golfstaaten oder in Japan ihr Glück zu machen, kehren jetzt in Scharen zurück. Ihre Frustration vermischt sich mit dem wachsenden Zorn auf jede Regierung in Kathmandu, denn der beschworene Wandel des Landes von einem der ärmsten der Welt zur „Schweiz Asiens“ lässt auf sich warten.

Insbesondere die Bevölkerung im Tarai, dem südlichen Tiefland im Grenzgebiet zu Indien, fühlt sich unterrepräsentiert im neuen Nepal. Radikalisierte Gruppen schrecken vor keinem Gewaltmittel zurück, um ihre Interessen durchzusetzen. Schlägertrupps blockieren über Wochen die Überlandstraßen, legen Fabriken lahm, verwüsten Märkte, Schulen und andere öffentliche Gebäude. So wollten sie die maoistische Regierung zu Zugeständnissen zwingen. Aber auch die maoistischen Gewerkschafter und die Jugendorganisationen der Partei prügelten die kritischen Medien nieder.

Dambar Shrestha, ein Reporter der Nepali Times, beklagte blutüberströmt nach einer Attacke gegen ihn und seine Redaktion, dass diese Maoisten nicht mehr die idealistischen Revolutionäre wären, mit denen er durch den Himalaja gezogen war und über deren Kämpfe er berichtet hatte. JournalistInnen stehen wie während des Bürgerkriegs auf der Abschussliste, wenn sie ihren Beruf ernst nehmen und nicht Hofberichterstattung betreiben. Die Radiojournalistin Uma Singh, eine Menschenrechtsaktivistin, wurde kürzlich mit einem Kukuri-Messer, das jeder Bauer, Polizist oder Soldat am Gürtel trägt und TouristInnen gerne als Souvenir mitnehmen, zu Tode gehackt – die Täter entkamen, wie fast immer bei solchen Übergriffen, unerkannt.

Das Leben in der Stadt stand in Nepal immer für Fortschritt und Entwicklung, Dorf bedeutet Rückständigkeit. Die verarmte Landbevölkerung lebte über Jahrzehnte in der Hoffnung, irgendwann am Fortschritt mitnaschen zu können. Ob die Annehmlichkeiten der Stadt aber die Dörfer wirklich jemals erreichen werden? Sauberes Trinkwasser, funktionierende Schulen, akzeptable Gesundheitsversorgung, Elektrizität und damit auch Fernsehempfang – ein derart „moderner“ Lebensstil klingt verheißungsvoll.

In jüngster Zeit sind es aber mehr die Muster des Dorflebens, die den Alltag in der Stadt bestimmen. Man steht mit den Hühnern auf und geht mit ihnen zu Bett. Nach sechs Monaten ohne einen Tropfen Regen sind die meisten Brunnen in Kathmandu ausgetrocknet, und die wenigen Kraftwerke des Landes haben nichts mehr im Speicher, mit dem sie Strom erzeugen könnten. Bis zu 18 Stunden am Tag ohne Elektrizität – da läuft nichts, kein Kühlschrank, kein Film im Kino und kein Fernsehen. Auch die meistbegehrten Symbole des modernen Lebensstils, die Mobiltelefone, funktionieren kaum noch, weil die Sendemasten Strom benötigen. Benzin – sofern überhaupt vorhanden – kostet fast so viel wie in Österreich, aber mehr als 200 Euro im Monat verdient kaum jemand auf ehrliche Weise. Bis vor kurzem konnte von so einem Gehalt eine Familie gut leben, jetzt nicht mehr, weil alle Grundnahrungsmittel nun das Dreifache kosten. Die Niederschläge waren im ganzen Land so gering, dass die Ernte in vielen Gebieten ganz schlecht ausfallen wird. Das treibt die Preise für Getreide und Gemüse weiter in die Höhe.

Die Menschen sehnen den Monsun herbei, denn alles ist ausgetrocknet und Trinkwasser fließt in etlichen Stadtteilen von Kathmandu überhaupt nicht mehr. Die Frauen gehen von Brunnen zu Brunnen oder stehen mit ihren Kanistern und Wasserkrügen bei den Tankwägen, die Wasser ausliefern. Sauberes Wasser gehört zu den Kostbarkeiten in diesem Tal mit seiner einzigartigen Welterbe-Architektur und zwei Millionen EinwohnerInnen. Rund um die Tempel wurden schon vor Jahrhunderten großartige Brunnen angelegt, deren Kanalsystem aber nach und nach versandete oder durch Erdbeben stark beschädigt wurde. In Salzburgs Partnerstadt Patan, dessen Zentrum auch auf der Liste des geschützten Welterbes steht, laufen gerade die Sanierungsarbeiten an einigen Brunnen an. Darunter befindet sich auch einer, der durch Mittel der Stadt Salzburg und der Salzburger Landesregierung wieder in Stand gesetzt wird. Direkt neben dem alten Königspalast, der mit Hilfe der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) restauriert wurde und in dem das schönste Museum Nepals untergebracht ist, liefert dieser Hiti (eine den Göttern geweihte Wasserstelle) Wasser für hunderte Bewohner der Altstadt.

Die Bevölkerung lebt noch in einer Welt der Mythen, selbst wenn die Realitäten der globalisierten Welt für sie immer bestimmender werden. Der schicksalhafte Lauf der Dinge wird oft beschworen, und so empfinden es viele als böses Omen, dass kürzlich, in finsterer Nacht, der Bagalamukhi Tempel in Patan durch ein Feuer fast vollkommen zerstört wurde. Der Schrein aus dem 14. Jahrhundert ist der Göttin Bagala gewidmet, die – so erzählt die Legende – unschuldige Menschen vor einem Dämon und einem gewaltigen Sturm rettete. Derlei göttlichen Beistand könnten die Menschen Nepals jetzt gut brauchen, um ihrer Gesellschaft eine neue und sozial gerechtere Ordnung zu geben.

www.ecohimal.org

Kurt Luger ist Professor für Transkulturelle Kommunikation an der Universität Salzburg und Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation Eco Himal mit Sitz in Salzburg und Kathmandu.

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