Kampf dem Müll

Von Johanna Emig · · 2010/12

Fidel lebt vom Einsammeln von Plastikflaschen. Damit ist er einer jener Menschen, die das mangelhafte Müllentsorgungssystem in Tansanias größter Stadt Dar Es Salaam ein wenig entlasten. Dabei hatte die UNO die Stadt in den 1990er Jahren als erste für ihr Programm für nachhaltige Städte ausgewählt.

Für die BewohnerInnen Dar Es Salaams ist es selbstverständlich, Plastikflaschen direkt auf die Straße zu werfen. Mülleimer sind außerhalb des Stadtzentrums eine Rarität, die meisten Haushalte verfügen über keine Anbindung an das öffentliche Müllentsorgungsnetz. Die Abfallwirtschaft in Dar Es Salaam hat eine andere Basis: Es wird nur kurz dauern, bevor einer der vielen Müllsammler mit einem riesigen Jutesack vorbeiziehen wird. Er wird jede Plastikflasche aufsammeln, sie in seinen Sack stecken und sie zu einem der vielen Mittelsmänner bringen, um seine Plastikflaschen für ca. 150 Shillingi, etwa acht Euro-Cent pro Kilo zu verkaufen. Diese Mittelsmänner nehmen meist alle möglichen Arten von Müll an, wie auch Plastikflaschen. Diese werden an eine chinesische Firma verkauft, die die Plastikflaschen in Pellets zerkleinert und nach China verschifft. Dort werden aus Ihnen neue Plastikprodukte hergestellt.

Für Dar es Salaam ist es schlussendlich nicht schlecht, dass ein Teil des Plastiks abtransportiert wird – es erspart der Stadt die Entsorgung. Andere Plastikarten werden von einer tansanischen Firma gekauft. Diese stellt daraus zum Beispiel jene Flipflops her, die die gehobenere Klasse nur zum Duschen verwendet, die auf den Straßen allerdings die Mehrheit der PassantInnen trägt.

Für Metall und Karton finden sich auch AbnehmerInnen, und so sammelt der Mittelsmann, bis er genug hat, um eine der Firmen zu kontaktieren, welche einen Wagen vorbeischickt und im Falle der Plastikflaschen um die 250 Shillingi (= 13 Cent) pro Kilo bezahlt.

Einer dieser Müllsammler, die täglich durch die heißen Straßen Dar Es Salaams ziehen, ist Fidel. Er kommt aus der im Norden liegenden Region Bukoba. Seine Heimat ist eine Zweitagesreise von Dar es Salaam entfernt. Fidel kam, wie so viele junge Menschen in Tansania, in die Stadt, weil er auf ein besseres Leben hoffte. Doch ohne Startkapital oder Hilfe von Verwandten oder Bekannten war es unmöglich, in Dar Es Salaam Fuß zu fassen. Er musste sich, wie viele andere, an ein Leben auf der Straße gewöhnen. Um keine Probleme zu bekommen, musste er sich erst einmal gegenüber den anderen beweisen. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ihm während des Schlafens etwas gestohlen wird. Trotzdem besteht ein gewisser Zusammenhalt auf der Straße. Verhungern würde er nicht: Wenn es um die tägliche Nahrung geht, teilen die Müllsammler meist untereinander.

Fidel hat eine Freundin. Sie kommt ebenfalls aus Bukoba. Für Frauen ist es noch schwieriger, sich durchzusetzen, und vielen, so auch Fidels Freundin, bleibt nichts anderes übrig, als sich zu prostituieren. Um diesen Alltag auf der Straße zu ertragen, greifen viele der Obdachlosen, so auch die obdachlosen Müllsammler zu Alkohol, Marihuana oder auch Heroin.

Alltagsdinge werden für Fidel zu einer Herausforderung: Der Kauf eines Handys will wohl überlegt sein. Ein billiges Modell von der Straße unter der Hand zu kaufen, wie es für alle „normalen“ BürgerInnen von Dar Es Salaam selbstverständlich ist, ist für ihn gefährlich. Regelmäßig wird er von der Polizei kontrolliert. Diese freut sich, wenn sie bei einem wie Fidel ein Handy ohne Beleg findet. Sofort könnte ihm ein Diebstahl angehängt werden. Dies bedeutet, dass er sein Handy abgeben, Bestechungsgeld zahlen und im schlimmsten Fall auch eine Zeit im Gefängnis verbringen muss. Ein teures Handy in einem Geschäft zu kaufen, ist andererseits eine riskante Investition, weil das Handy mit großer Wahrscheinlichkeit bald gestohlen werden würde, wenn man, wie Fidel, keinen Platz hat, um seine Dinge zu verstauen.

Im Gegensatz zu Fidel selbst ist es der Stadtverwaltung durchaus bewusst, welch hohen ökonomischen wie auch ökologischen Wert die Müllsammler für die Stadt haben. Diese illegalen Arbeiter sind deshalb nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht, wie Beamte der Stadtverwaltung bestätigten.

Schon seit der Kolonialzeit stellt der Müll ein Problem in Dar Es Salaam dar. Deutsche so wie auch britische Kolonialbeamte pflegten eine rassistische Stadtpolitik: Ein gut organisiertes Abfallentsorgungssystem gab es nur in den Zonen der weißen Bevölkerung. Mangelnde Infrastruktur, schlechte Straßen, enge Bauweise, häufige Wasserknappheit und vor allem mangelnde Investitionen machten es schwierig, die Viertel der afrikanischen Bevölkerung sauber zu halten. Bis heute sind es dieselben Viertel wie damals, die benachteiligt oder bevorzugt werden. Es sind die Reichen, die eine offiziell geführte, staatliche Müllentsorgung genießen dürfen. Doch mit der Unabhängigkeit wurde das Entsorgungsproblem nicht kleiner. Nach längerer Zeit des afrikanischen Sozialismus und der wirtschaftlichen Selbstständigkeit unter dem ersten tansanischen Präsidenten Julius Nyerere brachte die komplette Öffnung für den internationalen Markt in den 1980er Jahren viele neue, verpackte Konsumgüter ins Land – und mehr Müll.

Anfang der 1990er Jahre organisierte die Regierung von Tansania einen Emergency Clean Up, bei dem die gesamte Bevölkerung von Dar Es Salam bei einer Aktion zur Reinigung der Stadt mitmachte. Kurz darauf folgte die teilweise Privatisierung der Abfallentsorgung, und zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt mussten die EinwohnerInnen nun eine Gebühr an die Entsorger bezahlen. Dies alles war von der UNO initiiert, welche Dar Es Salaam als erste Stadt für die Erprobung des Sustainable City Programs auswählte. Die darin geforderte Teilprivatisierung der Abfallentsorgung war kurz erfolgreich. Zuerst entstanden tatsächlich viele Firmen, und viele Teile der Stadt wurden besser versorgt. Doch die Bevölkerung war großteils nicht bereit, eine Gebühr für die Entsorgung zu bezahlen. Strom und Wasser, für die auch zu bezahlen ist, waren und sind den TansanierInnen wichtiger.

Heute liegt die Verantwortung wieder mehr und mehr bei der überforderten Stadtverwaltung und ihren Zweigstellen in den Vierteln, die versuchen dem Müllproblem Herr zu werden. Spenden und Know-How aus dem Ausland werden immer gerne angenommen, scheinen aber vielfach nicht zielführend zu sein, da die Gegebenheiten vor Ort oft wenig berücksichtigt werden. Man erwartet sich viel von der Gründung von Basisorganisationen, die sich um die Abfallentsorgung in der Nachbarschaft kümmern. Doch diese Arbeit wird nicht bezahlt und daher nicht konstant geleistet. Einige private Firmen gibt es auch noch.

Eine der privaten Abfallfirmen, SINCON, ist für die Entsorgung des Abfalls in der inneren Stadt zuständig. SINCON kann nur überleben, weil die Firma auch Latrinen auspumpt und dafür gleich an Ort und Stelle kassiert wird. Im Falle der Müllabfuhr fordert das Gesetz, dass die Gebühren am Ende des Monats eingehoben werden. Wenn jemand nicht zahlt, wird er verklagt. Bis eine gerichtliche Entscheidung getroffen wird, dauert es allerdings Jahre.

SINCON besitzt moderne Müllwagen, die aber nicht verwendet werden, weil sie zu viel Benzin verbrauchen. Schutzkleidung für die arbeitenden Taglöhner ist zwar vorhanden. Diese wurde, wie auch die Lastwagen, von einer deutschen Organisation gespendet. Ausgeteilt wird die Ausrüstung an die Arbeiter allerdings nicht. Die Arbeiter würden sie sofort weiterverkaufen.

Seit 2009 liegt die offizielle Mülldeponie Dar Es Salaams etwas außerhalb der Stadt, was für private Müllentsorgungsfirmen und lokal organisierte Abfallentsorgungsgruppen durch die längeren Transportwege eine wesentliche Verteuerung bedeutet.

Doch ein großer Prozentsatz des Abfalls in Dar Es Salaam erreicht die Deponie erst gar nicht, sondern wird heimlich auf illegale Kleindeponien geworfen oder direkt im bewohnten Gebiet verbrannt. „Wertstoffe“ wie Plastik, Glas, Metalle oder Papier werden aber immer öfter separat gesammelt und an einen Müllsammler wie Fidel abgegeben.

Johanna Emig studierte Afrikanistik an der Universität Wien. In Kürze schließt sie ihr Studium für Umwelt- und Bioressourcenmanagement ab. Ende 2009 hielt sie sich für Recherchen zu ihrer Diplomarbeit mehrere Monate lang in Tansania auf.

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