„Kapitalismus und Kommunismus hätten nicht die geringste Chance“

Von Redaktion · · 2017/05

Christian Felber spricht im Interview mit Christina Bell über Alternativen zum Freihandel, Chancen und Risiken der direkten Demokratie und ganzheitliches Menschsein.

Herr Felber, kann man es als einen positiven Nebeneffekt der Trump-Präsidentschaft sehen, dass durch ihn die internationalen Handelsbedingungen wieder thematisiert werden?

Es ist sicher nicht negativ, dass er zeigt, dass Freihandel kein Naturgesetz ist, sondern Handel und Globalisierung eine Gestaltungsfrage sind. Einige seiner Motive, z.B. der Schutz von Menschen, die in den vergangenen 30 Jahren durch Zwangshandel – ich nenn das konsequent Zwangshandel, nicht Freihandel – Einkommenseinbußen erlitten haben, sind auch legitim. Was ihn von uns Zwangshandelskritikern klar unterscheidet, ist dass wir eine globale Vision haben und er eine nationale.

Warum Zwangshandel?

Es ist ein gelungener rhetorischer Trick, seine eigenen Interessen mit den positivsten Begriffen zu verknüpfen: Freihandel, freier Kapitalverkehr, freie Marktwirtschaft, Unternehmensfreiheit. Damit werden andere, legitimere, mehrheitsfähigere Interessen gleichzeitig als Protektionismus gebrandmarkt, diffamiert und so wird von einer sachgemäßen Debatte abgelenkt. Freihandel heißt für mich, dass Handel zum Zweck wird, obwohl er nur ein Mittel sein sollte, um völkerrechtlich vereinbarten Politikzielen, seien das die Menschenrechte oder nachhaltige Entwicklung, zu dienen.

Sie beschäftigen sich schon länger mit alternativem Wirtschaften. Was hat sich bei dem Thema verändert?

Meine erste Publikation zum Thema war „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt“. Das war 2006, als die EU ihren Strategiewechsel von der Forcierung multilateralen Zwangshandels zur Forcierung bilateralen Zwangshandels vollzogen hat: Seit 2006 haben die Klagen von Konzernen gegen Staaten auf Basis von bilateralen Investitionsschutzabkommen exponentiell zugenommen. 2008 ist der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten, da wurde die Handels- und Investitionspolitik zur alleinigen Kompetenz der EU. Aus meiner Sicht ist dieser Vertrag die höchste Fehlerquelle, da er die EU-Organe zur globalen Forcierung von Zwangshandelstrukturen verpflichtet. Im Artikel 206 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU steht: Abbau aller Handelsschranken, das geht von Zöllen über Regulierungen bis zu den Menschenrechten! Das ist eine Perversion.

Darauf machen Sie in Ihrem neuen Buch aufmerksam.

Wir müssen uns klar sein, was die Werte und die daraus abgeleiteten Ziele sind. Und was nur Mittel sind. Geld ist ein Mittel, Handel ist ein Mittel, ein Kredit ist ein Mittel. Eine Investition ist ein Mittel. Sogar ein Unternehmen und die gesamte Wirtschaft sind nur Mittel. Nichts davon ist ein Selbstzweck, all diese dienen den höheren Demokratiezielen wie dem guten Leben für alle oder dem Gemeinwohl.

Zumindest sollten sie diesen dienen.

Nein, das steht so auch in den Verfassungen! Es steht sogar im EU-Vertrag, allerdings nicht im Artikel 206, sondern in einer Rahmenbeschreibung für die Außenhandelspolitik, dass diese den Menschenrechten und der nachhaltigen Entwicklung dient. Der Artikel 206 konterkariert die übergeordneten Zielsetzungen, man muss ihn ändern. Ich wünsche mir, dass EU-Rat und -Parlament diesen Fehler korrigieren, aber das sehe ich in absehbarer Zeit nicht. Deswegen schlage ich vor, dass das die Souveräne selbst in die Hand nehmen. Die höchsten Dokumente sollten nur von der höchsten Instanz verändert werden können, und in Demokratien ist das die Bevölkerung.

Wirtschaften fürs Gemeinwohl

Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist ein alternatives Wirtschaftsmodell. Ziel wirtschaftlicher Tätigkeiten ist das Gemeinwohl, dessen Erreichung auf allen Ebenen gemessen wird. Unternehmen setzen das etwa mittels einer Gemeinwohl-Bilanz um, die die Erfüllung der Werte Nachhaltigkeit, Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung bewertet.

Über 2.000 Unternehmen in Europa und Amerika haben bereits Bilanzen erstellt. In Österreich entstand 2010 nach der Publikation von Felbers Buch „Neue Werte für die Wirtschaft“ eine Gruppe von UnternehmerInnen, die die GWÖ-Bewegung initiiert hat.

Mittlerweile gibt es Gemeinwohl-Gemeinden, auch erste Landesregierungen haben sich für das Konzept ausgesprochen. Die Bewegung, die schon mehrere Auszeichnungen erhalten hat, ist in Italien, Deutschland und Spanien besonders aktiv. In Valencia wurde das erste Gesetz zur GWÖ verabschiedet, an der Universität von Valencia ist ein GWÖ-Lehrstuhl in Vorbereitung.

Die ebenfalls von Felber gestartete und in der Gründungsphase befindliche Gemeinwohlbank steht momentan bei 5.000 Genossenschaftsmitgliedern und 3,6 Millionen Euro gesammelten Kapitals. Derzeit werden die ersten konkreten Projekte zur Finanzierung beworben, ab 2018 sollen Konten verfügbar sein.   red

Sie trauen der Bevölkerung zu, Gemeinwohl über Partikularinteressen zu stellen?

Vorsichtig formuliert bin ich fest davon überzeugt, dass er es weniger stark aus den Augen verliert als seine Vertretung. Allerdings ist direkte Demokratie nicht so definiert, dass der Souverän immer in unserem Interesse entscheidet. Es werden nicht alle glücklich sein, aber es kann nicht passieren, dass die Vertretung im Interesse einer Minderheit gegen die Mehrheit entscheidet. Zudem schlage ich ein Verfahren vor, das alle polarisierenden Extremmodelle durch die Natur des Verfahrens aussiebt. Dann hätten Kapitalismus und Kommunismus nicht die geringste Chance, ebenso wenig wie Frei-, also Zwangshandel, und Protektionismus. Ich hab das empirisch schon ansatzweise erhoben, und bin mir deshalb so sicher: Der Souverän wird weniger schlecht entscheiden als seine Vertretung.

Aber die Realität zeigt doch das Gegenteil. In der Schweiz gab es etwa eine Volksbefragung zur Deckelung der Managergehälter, die Menschen haben dagegen entschieden. Sie haben Trump gewählt, sie haben für den Brexit gestimmt.

Brexit war ein Plebiszit und kein Referendum, es war von der Regierung initiiert, nicht vom Souverän. Und wenn du den Souverän über Jahrzehnte von wichtigen Entscheidungen ausschließt und dann nach 20 Jahren irgendwas fragst, ventiliert sich Protest. Das ist kein Hinweis darauf, wie souveräne Demokratie, wie ich sie vertrete, funktionieren würde. Das gilt auch für Trump. Es war eine Präsidentschaftswahl, so ein System konzentriert alle Politikfelder auf eine Person. Das ist nochmal die Zuspitzung der Wahl von Parteien, schon die ist absurd und ineffizient. Und in der Schweiz wird nur ein Vorschlag abgestimmt, das führt zu Lobby- und Lagerbildung, die mächtigere Lobby setzt sich durch. Im Verfahren, das ich mir vorstelle, gäbe es nach dem Erfolg einer Initiative eine Nachfrist von etwa sechs Monaten für Alternativvorschläge. Ich habe viele Menschen in der Schweiz getroffen, die mit Nein gestimmt haben, weil sie eine strengere Deckelung wollten. Bei unserem Verfahren würden andere Ergebnisse rauskommen.

In Österreich ist ja die Gegnerschaft gegen CETA und TTIP sehr groß, die Kampagne dagegen wird z.B. von der Kronen Zeitung mitgetragen. Böse Zungen behaupten, die Menschen wüssten gar nicht, wogegen sie sind.

Das ist eine harte Unterstellung. Man kann das gleiche Argument etwa auf den deutschen Bundestag anwenden, der den Lissabon-Vertrag durchgewunken hat. Als Medien den Abgeordneten danach Fragen dazu stellten, hatten sie nicht den blassesten Schimmer. Ich schlage ein Verfahren vor, in dem der Souverän sechs bis zwölf Monate Zeit hat, sich intensiv damit zu befassen. Das ist dann auch keine perfekt informierte Entscheidung, aber ein ausreichend informierter Souverän, der über die wesentlichen Grundsatzfragen abstimmt, ist besser als ein völlig überarbeiteter und überforderter Parlamentarier.

Wie funktioniert dann die Entscheidungsfindung?

Die Gemeinwohlökonomie-Bewegung hat dazu einen Prozess entworfen: Versammlungen von 50-100 Menschen definieren zuerst die zehn bis 20 relevantesten Fragestellungen zu einem Politikfeld, das sind die Grundsatzentscheidungen. Bei denen braucht es nicht unbedingt Fachwissen, sondern Ethik-, also Herzensbildung. Die ist, empirisch erwiesen, bei der Bevölkerung in höherem Maße gegeben als bei den gesellschaftlichen Eliten. Für das Schreiben einer Verfassung braucht es eine andere Kompetenz als für das Formulieren eines Gesetzes. Das Gesetz macht weiterhin das Parlament. Die zehn bis 20 Grundsatzfragen würden dann in Varianten aufbereitet und vom gesamten Souverän abgestimmt. Ein Beispiel: Wenn man allein die drei Varianten Freihandel, Protektionismus und ethischer Handel präsentiert, dann gewinnt bisher überall haushoch der ethische Handel, ein Mittelweg zwischen den Extremen. Diese Intelligenz hat der Souverän, da hab ich nicht die geringste Angst.

Ist die Unzufriedenheit, die man gerade in vielen Ländern spüren kann, auch Potenzial?

Sie macht mir zum Teil große Angst, aber ich interpretiere sie als Symptom einer ungerechten Verteilung und einer mangelnden Beteiligung. Je weniger die Machtblöcke, oft eine Kombination aus Sozialdemokraten und Konservativen, die Bevölkerung mitbeteiligen, desto eher implodieren sie. Dann schießen an den Rändern die Extreme hoch. Das reicht von der harmlosen Variante Podemos und Ciudadanos in Spanien bis zum Extremfall, dem Nationalsozialismus. Wir haben die Option, uns zu einer emanzipierteren, souveränen Demokratie mit nachhaltiger Gemeinwohlökonomie und allem, was auf ein gutes Leben für alle hinzielt, zu entwickeln. Aber die Gefahr, dass wieder ein Extremismus kommt oder ein Faschismus, ist auch da. Niemand weiß wie es ausgeht. Ich auch nicht, arbeite aber daran, dass wir dieses Mal die positive Richtung einschlagen.

Sind Sie ein Optimist oder ein Pessimist?

Ich würde sagen, ich bin ein Visionär, jemand der entsprechend der lateinischen Bedeutung Sehkraft hat und in die Tiefe der Dinge schaut. Das heißt, ich sehe das Potenzial, das wir als Menschheit und als Personen haben. Aber ich sehe nur, dass es grundsätzlich machbar ist, gleichzeitig sehe ich, dass auch das Schreckliche möglich ist. Von daher bin ich, aus meiner Sicht, ein Realist.

2016 gab es große Aufregung, weil Sie in einem Schulbuch neben Ökonomen wie Keynes, Marx oder von Hayek genannt wurden, obwohl Sie nicht wissenschaftlich publiziert haben. Sie haben das mit Humor genommen. Sehen Sie sich als Wissenschaftler oder als Aktivisten?

Dieses Streiten um Formalitäten, ob ich nun Wissenschaftler oder Aktivist bin, ist für mich ein Zeichen für geringes Interesse, sich mit den Inhalten auseinander zu setzen. Formal geantwortet: Ich kann mich in den vergangenen fünf Jahren an keine einzige Aktion im öffentlichen Raum erinnern. Ich schreibe Bücher, halte Pressekonferenzen, organisiere Unternehmen, Gemeinden und Universitäten, bekomme dafür Preise. Das ist auch keine wissenschaftliche Arbeit, ich publiziere nicht wissenschaftlich. Sehr wohl bin ich externer Lektor an der WU Wien, habe mich aber nie als klassischen Wissenschaftler verstanden. Wenn ich ein Selbstverständnis habe, dann ist das eben Ganzheit oder Tiefenökologie. Was mir daran immer gefallen hat: Dass das wissenschaftliche Erkenntnisstreben, die Ethik, das politische Engagement und der Lebensalltag sowie die spirituelle Grundierung all dessen eine Einheit wird. Das Erkenntnisstreben ist ein Teil, aber nicht meine ganze Identität.

Sie sind ja auch Tänzer. Ist das eine Ergänzung oder ein Widerspruch zur Denkarbeit?

Es passt gut dazu, es ist eine Form des ganzheitlichen Menschseins. Wenn ich diese Dimension meines Menschseins kultiviere, kann ich dreimal so scharf denken und bin viermal so produktiv in der intellektuellen oder politischen Arbeit. Nur wenn man in allen Dimensionen des Daseins zu Hause ist, kann man in jeglicher Dimension gut sein oder etwas voranbringen.

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