Karibik als Spiegelbild der ungleichen Welt

Von Werner Zips · · 2001/06

Während die EuropäerInnen von der Inselwelt der Karibik träumen, wollen viele Einheimische diese ťTraumweltŤ verlassen. Eine große Karibiktagung in Wien befasst sich mit den Fragen Peripherie, Zentrum und Migration sowie mit der Rastafari-Philosophie.

Allein schon das Wort ”Karibik“ ruft vielfach unmittelbare Bilder wach: von Lebensfreude, Natur- und anderen Schönheiten, Farbenvielfalt, Musik, unbelasteter Freiheit auf den Inselparadiesen unter tropischer Sonne – perfekte ”Leichtigkeit des Seins“. Jamaica, Kuba, Martinique, die ”DomRep“ wecken die genau gegenteiligen Assoziationen zu Afrika, dem ”dunklen“, von Katastrophen, Seuchen und Kriegen gebeutelten ”Armenhaus der Menschheit“. Das eine Bild ist so falsch wie das andere.

Für die BewohnerInnen der karibischen Welt war die Inselwelt wohl nie ein Paradies. Zumindest nicht mehr, seit Kolumbus und andere ”Piraten“, im Sinne Bob Marleys (”Old pirates yes they rob I …“), die Inselwelt fälschlich für Westindien und damit die Aruak und Kariben für ”Indianer“ hielten. Ein Jahrhundert danach war der Genozid vollbracht und die ”First Nations“ waren ausgelöscht.

Ihre unfreiwillige Nachfolge als Arbeitskräfte der europäischen Besetzer traten Millionen AfrikanerInnen an, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts aus Afrika verschleppt und auf den Plantagen der weißen Herren versklavt wurden.

Die Inselträume der EuropäerInnen haben mit der Lebenswirklichkeit der Einheimischen so gut wie nichts gemeinsam: Diese träumen vielmehr von der Emigration. Bei weitem nicht alle wollen jedoch nach Europa, Kanada oder in die USA. Für viele bedeutet Afrika auch nach Jahrhunderten der physischen Trennung so etwas wie eine geistige Heimat. Ein guter Teil dessen, was wir im Westen als typisch karibische Lebensfreude und positive Energie wahrnehmen und in unseren Vorstellungen als (fiktive) Gegenwelt zu unserem alltäglichen, in starre Abläufe gezwängten Lebensrhythmus konstruieren, lebt von der Erinnerung und Rückbesinnung an Afrika. Dieser ”Traum“ (von der verlorenen Welt) pulsiert in den Rhythmen des kubanischen Son und der Salsa, des jamaikanischen Reggae, haitianischen Rara, des Zouk aus Martinique und Guadeloupe, des Soca und Calypso aus Trinidad oder der kolumbianischen Champetas aus der Karibikregion um Cartagena (um nur einige Stile zu nennen) genauso wie in den zahlreichen Religionen afrikanischen Ursprungs, den Melodien der ”gesprochenen Sprachen“ und dem Fluss der geschriebenen Sprache.

In der Karibik fließen (mit unterschiedlichen Anteilen) die kulturellen Traditionen der gesamten Welt zusammen. Allen voran jene aus Afrika, Europa und den beiden Amerikas. Aber auch Asien mit seinen vor allem im 19. und 20. Jahrhundert eingewanderten KontraktsarbeiterInnen aus Indien, Kaufleuten aus China und dem (aus Sicht der Karibik nicht so) Nahen Osten trägt zum karibischen Völkergemisch bei. Trotzdem ist aus der Vielzahl der Kulturen keine harmonische Melange entstanden.

Neben ständigen Prozessen der Hybridisierung steht die Karibik geradezu paradigmatisch für eine kritische Differenz. Auf die vielfältigen ökonomischen und sozialen Krisen, die den Großraum in den letzten 500 Jahren befallen haben, reagieren wissenschaftliche, religiöse, ästhetische und soziale Bewegungen mit beißender Kritik. Ihr Kernziel ist nicht nur die eigene subjektive Betroffenheit, sondern die gesamte objektive Schieflage der Welt.


Karibiktagung

Mit der hier dargestellten Thematik befasst sich die VII. Internationale Karibiktagung vom 4. bis 7. Juli 2001 in Wien, die von der Gesellschaft für Karibikforschung gemeinsam mit dem Institut für Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien veranstaltet wird. Ihr Generalthema lautet: „Caribbean Critical Cultural – Cultural Critiques“ und versucht, die „Islands in the Sun“ mit drei Schwerpunkten in ein realistischeres Licht zu rücken:

1. „Rastafari – Eine universale Philosophie des dritten Millenniums“ widmet sich der vielleicht tiefschürfendsten Sozialkritik aus der Karibik (der Bob Marley zu weltweiter Bedeutung verhalf);

2. „Karibische Weltbilder – von der Peripherie ins Zentrum“ geht der Frage nach dem vielleicht überraschenden weltweiten Erfolg kultureller Äußerungsformen aus der marginalisierten Region als einer Art „Gegenglobalisierung“ nach;

3. „Migrierte Kulturen – Sklaverei und kultureller Wandel“ fragt nach den Veränderungsprozessen der afrikanischen Kulturen in der sogenannten „Neuen Welt“ und mittelbar nach der ethischen Berechtigung so mancher europäischer Debatten über Zuwanderung.

Kulturveranstaltungen und ein Filmprogramm begleiten die wissenschaftliche Tagung. Nähere Hinweise auf der Terminseite der Juli-Ausgabe des SÜDWIND-Magazins und auf der Homepage der Konferenz.

www.univie.ac.at/caribbeanconference

Der Autor ist a.o. Professor am Institut für Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien mit Schwerpunkt Karibikforschung und rechtsanthropologische Fragen. Er ist auch der Vorsitzende der VII. Internationalen Karibiktagung.

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