KARTOFFEL

Von Redaktion · · 2008/06

Von Erdäpfeln, Bramburi, Eachtlingen und Krumbirn

Morgens rund, Mittags gestampft, Abends in Scheiben, Dabei soll's bleiben – Das ist gesund. Johann Wolfgang von Goethe wusste bereits die Kartoffel in ihrer ganzen Bedeutung zu schätzen. Bis zur Anerkennung durch den großen deutschen Dichter hatte die bescheidene Knolle allerdings jede Menge an Problemen, Vorurteilen und Ablehnung zu überwinden. Heute weisen nicht zuletzt die vielen regionalen Bezeichnungen darauf hin, dass die Kartoffel tief in der Ernährung der Bevölkerung zahlreicher Länder verankert ist. Ingrid Haslinger Als Christoph Kolumbus statt eines anderen Weges nach Indien die Neue Welt entdeckte, fand er Dinge, die weit wichtiger waren als das Gold des vermeintlichen Eldorado. Die Spanier lernten Pflanzen kennen, die die europäische Küche völlig verändern sollten: Paradeiser, Paprika, die Gartenbohne, Topinambur, Mais, Kürbis, Kapuzinerkresse, Wildreis, Ananas, Avocados, Erdbeeren, Maracujas, Sonnenblumen, Erdnüsse, Vanille, Piment, Kakao, Tabak; und auch Tiere wie den Truthahn. Aber keines dieser Nahrungs- und Würzmittel hatte so nachhaltig und erfolgreich Einfluss auf die Ernährung in Europa wie die Kartoffeln – in ihrer Heimat papas genannt, im Europa des beginnenden 17. Jahrhunderts von den Botanikern als solanum tuberosum bezeichnet. Zu Beginn ahnte niemand, dass diese unscheinbare, unregelmäßig geformte Wurzel die Ernährungsgewohnheiten und die Kochkunst in Europa revolutionieren sollte. Interessanterweise erlangte die ebenfalls in der neuen Welt entdeckte Süßkartoffel viel rascher Anerkennung als der Erdapfel. Die Archäologie stieß in den Ruinen Perus, Boliviens und Chiles auf Erdäpfelreste, die darauf schließen lassen, dass die Einheimischen diese Pflanze bereits um 2500 v. Chr. kultivierten. Der Genuss der Knolle war ihnen sicher schon früher bekannt. In südamerikanischen Hochebenen wuchsen Mais und Maniok nicht, daher wich die Bevölkerung auf andere Feldfrüchte aus, darunter die papas. Nicht zuletzt war es diese Ernährungsbasis, die auf dem südamerikanischen Kontinent das Entstehen von Hochkulturen ermöglichte. Für ihre Staatssklaven hatten die Inka ein besonderes Lebensmittel entwickelt: chuño – gefriergetrocknete Kartoffeln, die extrem lange haltbar und in verschiedenster Weise zuzubereiten waren. Auch die Spanier lernten chuño kennen und erkannten die Bedeutung dieser Nahrung für die Arbeiter in den Silberminen, die sie gnadenlos ausbeuteten. Man vermutet, dass die Spanier die Existenz der Erdäpfel – die sicher mit den ersten Schiffsladungen aus der Neuen Welt nach Europa kamen – geheim hielten, weil sie meinten, damit über eine Geheimwaffe gegen den Hunger und für die Versorgung ihrer Armee zu verfügen. Dennoch verbreitete sich die Knolle über diverse Kanäle und aus botanischen Gärten allmählich über Europa. Die Erzählungen um Sir Francis Drake, Walter Raleigh und andere, die Anspruch auf die Einführung der Kartoffel in Europa erhoben, sind ins Reich der Phantasie zu verweisen. Interessant ist, dass in der präkolumbianischen Zeit weder in Zentral- noch in Nordamerika Erdäpfel kultiviert wurden, obwohl Knollen tragende, wilde Formen der solana bis Colorado gediehen. In Guatemala und Mexiko bot das fruchtbare Land eine derart reiche Ernte an Mais und Maniok, dass die Bevölkerung nicht gezwungen war, mühsam andere Pflanzen zu kultivieren. Heute ist nicht mehr nachvollziehbar, in welchem Jahr die Kartoffel nach Europa gelangte. Schon zwölf Monate nach der Entdeckung Amerikas, das heißt Haitis durch Kolumbus kam die Süßkartoffel nach Spanien. Ein erster Hinweis stammt aus dem Jahr 1565: Auf Teneriffa waren in diesem Jahr bereits Kartoffeln geerntet worden. Bereits 1587 stellte der englische Weltumsegler Thomas Cavendish fest, dass Kartoffeln das Hauptnahrungsmittel der spanischen Seeleute waren. Dennoch war die Kartoffel in Europa noch lange von der Tafel verbannt, weil dieses Nachtschattengewächs als extrem giftig galt. Ein Übriges tat die Kirche: Sie war der Ansicht, dass alles, was unter der Erde wächst, teuflischen Ursprungs sei. Jedenfalls dürfte die neue Pflanze im 17. Jahrhundert langsam Aufmerksamkeit erregt haben, zunächst bloß als botanische Rarität. Erst im 18. Jahrhundert fanden sich auf dem europäischen Festland Verfechter und Verfechterinnen der neuen Knolle, ohne jedoch Breitenwirkung zu erlangen. Bekannt war jedenfalls bereits ihre Nahrhaftigkeit. In einem Text aus jener Zeit heißt es: "Nachdem an manchen sandigen dürren und unfruchtbaren Orten und Strichen … eine sehr grosse Getreide-Noth entstehet, so wäre zu versuchen, ob es nicht thunlich wäre, an denselbigen Orthen Patatas oder Erd-Aepffel zu pflanzen, dergleichen in America angetroffen werden …" Doch generell sah man ihren Nutzen noch nicht wirklich ein, obwohl zahlreiche Botaniker wie Gaspard Bauhin, Johann Coler, Clusius, John Gerard etc. recht früh darüber berichtet hatten. 1588 kamen die ersten zwei Erdäpfel nach Wien – der belgische Botaniker Philippe de Sivry hatte sie seinem Kollegen Clusius geschickt. Allmählich gelangte die noch seltene Zierpflanze als Delikatesse auf die fürstlichen Tafeln, jedoch nur als Rarität. Erst die Aufklärung nahm sich der Kartoffel gezielt an; man hatte ihren Wert als Sattmacher und Mittel gegen Hungersnöte erkannt. Kaiser Friedrich der Große (1712-1786) förderte ab 1740 den Kartoffelanbau. Doch erst eine List verhalf dem sonst so siegreichen Monarchen zum Erfolg: Friedrich ließ seine Äcker nahe Berlin bei Tag durch Soldaten bewachen. Die Bauern vermuteten, dass die Feldfrüchte besonders wertvoll seien und stahlen sie in der Nacht. In Österreich versuchten Priester wie Johann Eberhard Jungbluth (1720-1795) der ländlichen Bevölkerung die Vorteile der Erdäpfel sozusagen von der Kanzel herab näherzubringen; in der Steiermark förderte Erzherzog Johann (1782-1859) die unscheinbare Knolle. Auch in anderen europäischen Ländern gestaltete sich der Siegeszug langsam und schrittweise. Nach Frankreich kamen die Erdäpfel durch die Waldenser, die aus Glaubensgründen in die Vogesen geflüchtet waren. Doch weite Verbreitung verschaffte den Erdäpfeln erst die rastlose Tätigkeit von Antoine-Auguste Parmentier (1737-1813), der als preußischer Kriegsgefangener deren Nahrhaftigkeit am eigenen Leib verspürt hatte. Auf slawischem Gebiet hatten es die Erdäpfel noch viel schwerer mit der Durchsetzung als im übrigen Europa. Die bäuerliche Bevölkerung war extrem konservativ und lehnte alles Neue vorsichtshalber ab. In Russland wollte Zar Peter der Große (1672-1725) um 1697 die Erdäpfel einführen; doch erst Katharina die Große (1725-1796) konnte sich gegen die Popen durchsetzen, die den Teufelsapfel verdammten. Nach Tschechien kamen die Erdäpfel vermutlich über die Vermittlung der Mark Brandenburg, worauf die Bezeichnung brambori/ bramburi schließen lässt. In der Slowakei und in Ungarn konnte sich die neue Pflanze erst am Beginn des 19. Jahrhunderts durchsetzen – Vorurteile und Konservatismus des Bauernstandes, der Getreide für hochwertiger hielt, standen auch hier den Kartoffeln im Wege. Interessanterweise kultivierten die gläubigen Iren schon im 17. Jahrhundert Erdäpfel in größerem Ausmaß. Im 18. Jahrhundert waren sie bereits Hauptnahrungsmittel der ärmeren Bevölkerung der grünen Insel. Doch diese Abhängigkeit führte im 19. Jahrhundert zur Katastrophe: Aus Amerika eingeschleppte Erdäpfelkrankheiten führten zu fatalen Missernten zwischen 1845 und 1849 und kosteten rund eine Million Iren das Leben. Der Status einer Massenspeise und der Makel, Hauptnahrungsmittel der verhassten Iren zu sein, verhinderte anfangs die Verbreitung der Kartoffel in England. Doch sobald man ihren Wert schätzen gelernt hatte, wurde auch hier die Knolle gefördert, anfangs von der Royal Society, später von der Regierung. Sie wurde zum billigen Nahrungsmittel schlechthin und zum Motor der Industriellen Revolution: Aufgrund ihrer Nahrhaftigkeit wuchs die ländliche Bevölkerung stark an, Arbeitskräfte für die Fabriken wurden frei. Der Philosoph und Mitbegründer des Marxismus Friedrich Engels (1820-1895) schrieb der Kartoffel deshalb eine historisch-revolutionäre Rolle zu. Während die Erdäpfel in Europa – insbesondere in Kriegszeiten – lange Zeit die Funktion hatten, Hungersnöte zu verhindern und den ärmeren Schichten eine verlässliche Nahrungsbasis zu bieten, ging der Erdäpfelverbrauch in den wohlhabenden Staaten in den letzten Jahrzehnten zugunsten anderer Produkte zurück. Bloß satt zu werden steht heute nicht mehr zur Debatte; viele Menschen in Europa und Nordamerika kämpfen mit ihrem Übergewicht. Aus der unscheinbaren Knolle ist im Laufe der Zeit in vielen Ländern ein vielseitiges Nahrungsmittel geworden: Anfänglich experimentierte man mit dem neuen Gemüse, man versuchte es so einzusetzen wie Getreide. Doch bald erkannte man die Vielseitigkeit der Erdäpfel: Man kann sie kochen, backen, braten, man verarbeitet sie zu Püree, Salaten, Knödeln, Aufläufen, Suppen, Omeletten und Rösti. Die Belgier erfanden das wohl berühmteste Erdäpfelprodukt – die Pommes frites. Allerdings ist die Verarbeitung der Knolle aufwändig. Man muss sie – außer bei Folienerdäpfeln – immer schälen und weiterverarbeiten. Davor scheuen viele zurück. Eine große Anzahl von Tiefkühl- und Convenience-Produkten macht es möglich, auch bei Zeitmangel Erdäpfel zu genießen. Aus dem Südamerikanischen papa wurde im Lauf der Zeit patata (Spanien), potato (englischer Sprachraum), potatisen (Schweden), krumpir (von Grundbirne; Kroatien) und patat (Malta). Die Bezeichnung Erdäpfel, vor allem in Österreich gebräuchlich, übernahmen auch die Franzosen (pommes de terre) und die Niederländer (aardappelen). Vom Vergleich der Knolle mit Trüffeln leiten sich ebenfalls zahlreiche Bezeichnungen ab: Kartoffel (Deutschland), kartof (Bulgarien), kartofler (Dänemark), kartafla (Island) etc. Die Finnen benannten die Erdäpfel nach ihrem Ursprungsland peruna. In Ungarn haben sich zwei Bezeichnungen eingebürgert – das slawische krumpli für die Gerichte des einfachen Volkes und burgonya (von Burgund/ Bourgogne) für die Speisen der adeligen Oberschicht, die stark von der französischen Küche beeinflusst waren. Zur weiterführenden Lektüre sei empfohlen: Ingrid Haslinger "Es möge Erdäpfel regnen". Eine Kulturgeschichte der Kartoffel. Mit 170 Rezepten, Mandelbaum Verlag, Wien 2007, 179 Seiten, € 19,90

Ingrid Haslinger ist freie wissenschaftliche Mitarbeiterin der ehemaligen Hofsilber- und Tafelkammer in Wien.

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