„Kein gescheiterter Staat“

Von Siobhan Geets · · 2013/05

Worum geht es bei den Grenzkonflikten zwischen Sudan und Südsudan wirklich? Und ist der junge Staat trotz allem auf dem richtigen Weg? Siobhán Geets sprach mit der Südsudan-Expertin Marina Peter.

Südwind-Magazin: Wie stabil ist die Lage zwischen Südsudan und Sudan?
Marina Peter:
Es gibt immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen. Beide Seiten werfen der jeweils anderen vor, Rebellen zu unterstützen. Der Stellvertreterkrieg geht also weiter. Der Friedensvertrag setzt fest, dass beide Seiten an der Versöhnung arbeiten sollen. Das geschieht aber nicht. Das gegenseitige Misstrauen ist groß.

Geht es bei den Konflikten in den Grenzregionen ums Öl?
Das ist zu vereinfacht, das Öl verschärft die Lage lediglich. In den Nuba-Bergen und in Blue Nile (beides in Sudan an der Grenze zu Südsudan, Anm.) etwa haben viele Menschen mit dem Süden zusammen gegen Khartum gekämpft. Sie fordern immer noch ihre Rechte ein.

Kann die Gewalt überhaupt gestoppt werden?
Ja, aber das dauert. Was Südsudan betrifft, wurden Grundprobleme wie die ungerechte Ressourcenverteilung zwischen den Regionen nicht in Angriff genommen. So brechen auch immer wieder innere Konflikte auf. Viele Menschen kennen nichts anderes als Gewalt und Krieg. Für junge Männer ohne Perspektive ist das häufig die einzige Einkommensmöglichkeit. Sie werden für politische Zwecke missbraucht und driften in Milizen ab.

Südsudan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Welche wichtigen Einnahmequellen neben dem Öl hat der junge Staat?
In vielen Regionen ist der Boden sehr fruchtbar. Schon während der englischen Kolonialzeit gab es die Idee, dieses Gebiet zur Kornkammer der arabischen Welt zu machen. Doch den Bauern, die heute Überschuss produzieren, fehlt wegen der schlechten Straßen der Zugang zu den Märkten. Durch die Kriege zwischen 1955 bis 1972 und 1983 bis 2005 fehlt eine Infrastruktur.

Wie haben Sie den Bürgerkrieg erlebt?
Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schlimm dieser Krieg war. Die Menschenrechtsverletzungen, die Bomben, der Hunger. Alle sind traumatisiert, das wurde nie aufgearbeitet. Und mit traumatisierten Leuten ist die Chance neuer Gewalttaten größer. Die psychologischen Faktoren werden oft unterschätzt.

In manchen Gebieten wie in Jonglei, einer Region im Osten von Südsudan, sind ethnische Konflikte ein großes Problem …
Das ist mehr als ein ethnischer Konflikt, es geht um Ressourcen, um politische, militärische und ökonomische Interessen. Jonglei wurde immer schon vernachlässigt. Nach dem Friedensabkommen kamen nicht mehr viele Hilfsorganisationen, weil es zu teuer ist. Die Region ist schwer zugänglich. 

Was ist aus der Euphorie des Neuanfangs geworden?
Eine dermaßen große Freude wie die der Menschen bei den Unabhängigkeitsfeiern habe ich noch nie erlebt. Die Ernüchterung war umso größer. Eine Transformation von militärischen zu zivilen, demokratischen Strukturen hat nicht stattgefunden. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen vieles nicht in Frage stellen, es gelten Befehle und Gehorsam. Bis man gelernt hat, mit konstruktiver Kritik umzugehen, wird es dauern. Vergessen wir aber nicht, dass das Land bei Null angefangen hat. Man darf also nicht unfair sein. Für Friedensarbeit braucht man einen langen Atem.

Das Land ist also auf dem richtigen Weg?
Die Machthaber haben zwar die Strukturen aus dem Krieg mitgebracht, aber der Südsudan ist kein gescheiterter Staat. Es gibt viele, die etwas verändern wollen. Das wird aber noch eine Generation brauchen. Dafür braucht es eine stärkere Zivilgesellschaft, Demokratisierungsprozesse und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. l

Marina Peter, Südsudan-Expertin vom Netzwerk Sudan Focal Point, reist seit 25 Jahren regelmäßig durch das Land und verfasst politische Analysen. Sie lebt in Deutschland.

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