Kein Patentrezept

Von Robert Poth · · 2007/03

Die Widersprüche zwischen Pharmapatenten und universellem Zugang zu essenziellen Medikamenten sind noch lange nicht gelöst – auch wenn Novartis Gegenteiliges behauptet.

Zwei Klagen vor dem Obersten Gerichtshof im indischen Chennai, eingereicht im Mai des Vorjahrs, haben dem Schweizer Pharmakonzern Novartis einen eklatanten Imagewandel beschert: Vom Vorbild in Sachen Unternehmensethik und gesellschaftlicher Verantwortung zum Buhmann einer weltweiten Protestkampagne. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen (MSF) und die britische Entwicklungs-NGO Oxfam werfen Novartis vor, die Versorgung von Millionen Menschen mit essenziellen Medikamenten zu gefährden. Ihr Appell an den Konzern, seine Klagen zurückzunehmen, wurde Mitte Februar von mehr als 300.000 Menschen unterstützt, darunter Prominente wie die frühere Schweizer Bundespräsidentin Ruth Dreifuss, Erzbischof Desmond Tutu und Michel Kazatchkine, der neue Leiter des Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria.
Bislang vergebens. Mit der einen Klage bekämpft Novartis die Abweisung eines Patentantrags auf eine neue Form eines Wirkstoffs mit dem Markennamen Gleevec/Glivec – ein lebensverlängerndes Mittel für Menschen, die an einer seltenen Form von Leukämie oder bestimmten gastrointestinalen Tumoren leiden. Das Medikament ist in rund 40 Ländern inklusive China patentiert und ein echter „Blockbuster“: Der weltweite Umsatz erreichte 2006 mehr als 2,5 Mrd. US-Dollar. Novartis bringt aber außerdem vor, das neue indische Patentrecht von 2005 widerspreche den Anforderungen des WTO-Übereinkommens über handelsbezogene geistige Eigentumsrechte (TRIPS) und sei daher verfassungswidrig.

Vor allem diese zweite Klage ist Stein des Anstoßes. Sie richtet sich gegen Art. 3 (d) des indischen Patentgesetzes, eine Bestimmung, die den von TRIPS geforderten Patentschutz mit der Gewährleistung der öffentlichen Gesundheitsversorgung in Einklang bringen soll. In Abweichung etwa vom US-Patentrecht sieht sie vor, dass nur neue Substanzen patentiert werden können und nicht neue Anwendungen derselben; neue Formen einer Substanz wiederum nur dann, sofern sie die Wirksamkeit der alten Form „signifikant erhöhen“. Letztere Bedingung hielt das Patentamt im Fall von Glivec für nicht erwiesen. Die Abweisung des Patentantrags wurde von GesundheitsaktivistInnen als Beweis erachtet, dass die Bestimmung ihren Zweck erfüllt – die Klage von Novartis dagegen als Versuch, diesen Zweck zu unterlaufen.
Was Novartis als Abweichung von TRIPS betrachtet, ist der Umstand, dass Artikel 3 (d) scheinbar keine Patentierung von „incremental innovations“ (z.B. verbesserte Wirkweise, weniger Nebenwirkungen) ermöglicht. Darin fühlt sich der Konzern von einem Ende Dezember erschienenen Bericht eines indischen Regierungskomitees („Mashelkar-Komitee“) bestärkt, in dem die Patentierung von „incremental innovations“ ausdrücklich befürwortet und eine Beschränkung von Patenten auf „neue chemische Wirkstoffe“ ebenfalls als nicht TRIPS-konform bezeichnet wird.
Setzt sich Novartis mit seiner Forderung nach einer Änderung des neuen Patentgesetzes durch, so die Sorge, könnte die Bandbreite der in Indien patentierbaren Medikamente wesentlich erweitert werden. Damit wäre – ob durch Monopolisierung oder preistreibende Lizenzgebühren – auch die Funktion der indischen Pharmaindustrie als „Apotheke der armen Länder“ in Gefahr: Beispielsweise stammt derzeit mehr als die Hälfte der im Süden zur Behandlung der Immunschwächekrankheit Aids eingesetzten antiretroviralen Medikamente (ARVs) aus Indien – alles Generika (Nachahmerprodukte), die zumeist ohne Zustimmung der Patentinhaber hergestellt werden. Erst im Vorjahr hatte GlaxoSmithKline (GSK) einen Patentantrag auf Combivir gestellt, eine Kombination zweier ARVs, die in einer generischen Variante von der indischen Cipla produziert wird, aber nach Protesten wieder zurückgezogen.

Novartis weist sämtliche Vorwürfe gegen den Konzern zurück und bezeichnet auch alle Sorgen in Zusammenhang mit dem Zugang zu patentierten Medikamenten als völlig unbegründet. Glivec werde genauso wie Coartem, das patentierte Malaria-Medikament des Konzerns, weltweit bei Bedarf kostenlos bzw. zum Selbstkostenpreis zur Verfügung gestellt. So weit, so beispielhaft. Aber was, wenn sich andere Pharmafirmen weniger generös verhalten? Dann, so Novartis, könnte der Zugang zu patentierten Medikamenten schließlich per Zwangslizenzierung gewährleistet werden: Die rechtlichen Voraussetzungen wären mittlerweile im Rahmen der WTO bereits gegeben.
Tatsächlich wurde auf WTO-Ebene im August 2003 (entsprechend der Doha-Erklärung zu TRIPS und öffentlicher Gesundheit von 2001) klargestellt, dass Regierungen sowohl die Zwangslizenzierung dringend benötigter Medikamente verfügen als sie auch aus Ländern importieren können, die solche Medikamente auf Basis einer Zwangslizenz herstellen. Diese Regelung könnte das Problem vielleicht lösen – aber sicher nicht in ihrer jetzigen Form, versichern sowohl MSF als auch Oxfam. Ein Indiz: Alle Länder, die bisher im eigenen Land zwangslizenzierte Medikamente importierten, stützten sich dabei auf Generika aus Indien wie zuletzt auch Thailand.
Einige Gründe dafür hat MSF im August des Vorjahrs in einem Bericht über den bis dato vergeblichen Versuch beschrieben, in Kanada Medikamente für ein Aids-Behandlungsprogramm zu beschaffen: Die Verfahren seien zu langwierig und zu bürokratisch, während die eingebauten quantitativen und zeitlichen Beschränkungen den geschäftlichen Anreiz für Pharmaunternehmen zunichte machten, derartige Aufträge überhaupt zu übernehmen. Das bedeutet aber auch ein geringeres Potenzial für Preissenkungen.

Solange jedoch die verfügbaren Mittel für Medikamente den Bedarf nicht decken, und daran besteht trotz ihrer Erhöhung in den letzten Jahren kein Zweifel, müssen Medikamente rationiert werden: Je höher die Preise, desto mehr Menschen bleiben unversorgt. Eine verantwortliche Strategie müsste also darauf ausgelegt sein, möglichst niedrige Preise zu ermöglichen. Bei ARVs gibt es dafür ein Erfolgsmodell: die freie Konkurrenz von Generikaherstellern in Indien. Zwischen 2001 und 2006 konnte etwa Cipla die jährlichen Kosten einer Standard-Dreifachkombination von ARV-Generika von 350 Dollar auf 132 Dollar senken. Das beste Angebot eines Patentinhabers lag noch immer fünfmal darüber. Es sieht nicht danach aus, als ob Patentschutz und optimale Versorgung bereits problemlos vereinbar wären.

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