Kinder an der falschen Seite

Von Knut Henkel · · 2005/02

Das kleine Land Benin gilt als größter Umschlagplatz für den Kinderhandel in Westafrika. In Bergwerken, Haushalten und auf Feldern leisten viele gehandelte Kinder Zwangsarbeit. Oft nicht einmal in ihrem Heimatland, sondern in wirtschaftlich potenteren Staaten wie Nigeria oder Gabun.

Vidomegon“ heißt in Benins Hauptsprache Fon sinngemäß „anvertrautes Kind“, wörtlich übersetzt „Kind an der Seite von Jemandem“. Viele Eltern in Benin vertrauen ihre Kinder Verwandten, Bekannten, FreundInnen, aber auch Unbekannten an, weil diese ihnen versprechen, sich um deren Ausbildung zu kümmern.
Fifame wurde von ihrem Stiefvater zu einer Gastfamilie nach Nigeria geschickt. „Eigentlich sollte ich dort in die Schule gehen“, erinnert sich die Jugendliche, die in Benins Hauptstadt Porto Novo aufwuchs und dort Mandarinen auf der Straße verkaufte. Doch bei der Gastfamilie in Nigeria musste sie von morgens bis abends im Haushalt arbeiten. Von dem Essen, das sie zubereitete, bekam sie nur die Reste, schlafen musste sie auf dem nackten Boden der Küche und von Schulbesuch war nie wieder die Rede. „Meine Gasteltern haben mich behandelt wie eine Sklavin“, erinnert sich die junge Frau an die Schinderei. Als eines Tages ihr Arm anschwoll und sie nicht mehr arbeiten konnte, ist sie geflohen. Die Angst vor Schlägen trieb sie auf eine Polizeistation, wo sie Hilfe fand. Die nigerianischen Behörden ließen Fifame in ihr Heimatland zurück bringen, wo sich die Fachleute vom Kinderschutzzentrum „Oasis“ in der Landesmetropole Cotonou ihrer annahmen. Sie haben Fifames Leidensweg dokumentiert, sie gesund gepflegt und den Kontakt zur Familie wieder hergestellt. Das Mädchen ist eines von mehreren hundert Kindern, die im letzten Jahr in der vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und der internationalen Nichtregierungsorganisation „terre des hommes“ unterstützten Einrichtung betreut wurden.

„Oft sind die Eltern so arm, dass sie keinen anderen Rat wissen, als die Kinder wegzugeben. Sie wissen nicht, wie sie sie ernähren sollen“, sagt Claude Alofa vom International Service for Human Rights (ISHR-Benin), der mit Oasis zusammenarbeitet. Besonders in den sechs südlichen Provinzen Benins überlassen Eltern ihre Kinder häufig Verwandten oder Bekannten und hoffen, dass sie ihnen eine Ausbildung ermöglichen. „Doch aus der traditionellen innerfamiliären Hilfe ist längst ein Geschäft geworden“, urteilt Alofa. Das wächst kontinuierlich. Ein Grund sind die immensen Gewinnspannen: 15 bis 30 Euro erhalten Eltern von den SchlepperInnen, die die Kinder für 220 bis 250 Euro an die Plantagen in Kamerun, Côte d’Ivoire, Gabun oder nach Nigeria verkaufen. Immer wieder wurden die Behörden in den letzten Jahren mit spektakulären Fällen konfroniert: 2001 endete die Odyssee des Frachters „Etireno“, als er mit knapp 50 Mädchen und Buben, die auf Plantagen arbeiten sollten, wieder in Cotounou einlief. Im September 2003 wurden Hunderte von Kindern aus nigerianischen Bergwerken befreit. Viele von ihnen kamen aus der Provinz Zou, einer der sechs im Süden Benins liegenden Provinzen, wo sich laut Alofa der Kinderhandel konzentriert.
In der Region um die Provinzstadt Abomey ist Kinderarbeit normal, die Einschulungsquote ausgesprochen niedrig. Zou ist auch ein Zentrum der Baumwollproduktion des Landes. Doch viele der Bauern und Bäuerinnen sind überschuldet, weil die Kosten für Pestizide und Düngemittel im Baumwollanbau enorm sind (s. SWM 4/2004, S. 18-19). Sie können sich keine Schulgebühren leisten. Auch benötigen sie ihre Kinder als billige Hilfskräfte auf den Feldern, erklärt Nicolà Abigoumout, Gemeindevorsteher des kleinen Dorfes Matasar rund dreißig Kilometer von Abomey entfernt. Doch im Gegensatz zu den benachbarten Dörfern, aus denen einige der Kinder stammten, die aus den nigerianischen Bergwerken befreit wurden, geht es Matasar ökonomisch mittlerweile besser. Wie Nicolà Abigoumout hat ein großer Teil der Bauern und Bäuerinnen umgestellt und baut die Baumwolle nicht mehr konventionell an, sondern biologisch. Der kleine, relativ schmächtige Bauer mit dem grün-weiß gestreiften Sport-Shirt kann es sich leisten, seine Kinder zur Schule zu schicken. „Ich spare rund dreißig Prozent der Ausgaben ein, weil ich keine Pestizide und Düngemittel mehr verwende“, sagt er, stolz auf den bescheidenen Wohlstand.
Mit Beratung, Aufklärung und ökonomischen Hilfsangeboten will UNICEF dem Kinderhandel in Benin begegnen. In Dörfern gehen freiwillig Helfende mit Megaphonen auf die Straße und informieren über die Gefahren. Zahlreiche Komitees gegen Kinderhandel wurden auf Dorfebene initiiert, UNICEF zufolge sind es rund 1.500. Die Versprechen der SchlepperInnen, den Kindern ein besseres Leben und eine Ausbildung zu ermöglichen, werden nicht mehr ohne weiteres geglaubt. Ergänzt wird die Aufklärungsarbeit durch ökonomische Unterstützung. So bietet UNICEF Frauen Kleinkredite an, um den Familien neue Einkommensquellen zu erschließen. Ein zukunftsweisendes Konzept, so Claude Alofa vom International Service for Human Rights. Alofas Organisation verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Sie bezahlt zum Beispiel übergangsweise das Schulgeld für Kinder, deren Mütter sich mit einem Kleingewerbe selbständig machen. „Der Bedarf übersteigt die vorhandenen Mittel allerdings bei weitem“, so Alofa. Dafür macht er unter anderem fehlende staatliche Fördergelder und die Korruption auf Regierungsebene verantwortlich. Forderungen an den Staat, energischer gegen den Kinderhandel vorzugehen, kommen auch von anderen Regierungen oder dem UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) mit Hauptsitz in Wien.
Dort koordiniert Burkhard Dammann die Aktionen zur Bekämpfung des Menschenhandels. 2003 brachte UNODC die Staaten der Region an einen Tisch, um Maßnahmen für ein gemeinsames Vorgehen zu setzen. Effizientere Grenzkontrollen, Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungsbehörden und die Klärung der jeweiligen Zuständigkeiten waren wesentliche Themen.

„Man muss Mechanismen schaffen, um die Arbeit auf den jeweiligen staatlichen Ebenen zwischen Benin, dem benachbarten Nigeria oder Togo zu koordinieren“, erklärt Dammann. Was es dazu braucht, ist der politische Wille in den Ländern. Die direkte Kooperation zwischen den Nachbarn Nigeria und Benin und die budgetierten Mittel für den Kampf gegen den Kinderhandel sind erste positive Signale, so Damman. Erste grenzübergreifende Aktionen der Polizeikräfte hat es in den letzten beiden Jahren bereits gegeben, und im Dezember 2004 gründete die Regierung in Cotonou ein nationales Komitee zur Bekämpfung des Kinderhandels.
Auch die Rückführung der Kinder scheint mittlerweile einfacher vonstatten zu gehen. Schnell gelangten die KindersklavInnen aus dem nigerianischen Bergwerk zurück in ihr Heimatland. Auch Fifame wurde umgehend von der nigerianischen Polizei geholfen. Sie lebt heute wieder in Porto Novo, der Hauptstadt Benins. Dort macht sie eine Ausbildung zur Schneiderin.


AutorenInfo:
Knut Henkel ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freiberuflicher Publizist und Journalist mit dem Schwerpunkt Entwicklungspolitik. Ende Oktober nahm er in Abomey/Benin an einer Konferenz zur Lage der Baumwollbauern und -bäuerinnen teil. Ein Randaspekt waren die Kinderarbeit und der zunehmende Kinderhandel in Benin.

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