Klagen und kassieren

Von Redaktion · · 2008/07

Die Bedrohung hoch verschuldeter armer Länder, insbesondere in Zentralafrika, durch so genannte „Geierfonds“ nimmt zu. Doch ihre Dreistigkeit könnte sich als Eigentor erweisen, berichtet François Misser: Belgien hat bereits gesetzlich Mittel der Entwicklungszusammenarbeit vor dem Zugriff der Fonds geschützt und drängt auf entsprechende Maßnahmen auf europäischer und multilateraler Ebene.

Klagen privater Gläubiger gegen hochverschuldete arme Länder repräsentieren eine „wachsende Herausforderung“ bei der Umsetzung des Schuldenerlasses für diese Länder, warnen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank in einem gemeinsamen Bericht über den Stand der HIPC-Initiative („Highly indebted poor countries“ – HIPC). Der Großteil dieser Klagen geht von spekulativen Investmentfonds (vulgo „Geierfonds“) aus, die Schuldtitel der HIPC-Länder zu niedrigen Preisen von deren staatlichen oder privaten Gläubigern erwerben und danach die Rückzahlung des Nennwerts (des vollen Betrags) der ursprünglichen Schuld zuzüglich Zinsen fordern.
Die Sorge ist gerechtfertigt, denn das Phänomen hat beachtliche Ausmaße angenommen, wie dem Ende 2007 erschienenen Bericht entnommen werden kann. Laut der letzten offiziellen Bilanz beliefen sich die Forderungen dieser privaten Gläubiger auf mehr als 1,6 Mrd. US-Dollar. Betroffen ist ein Dutzend Länder, mehrheitlich in Afrika südlich der Sahara. Mehr als die Hälfte dieser insgesamt 44 Klagen war bereits erfolgreich (siehe Tabelle).
Nicht alle Länder sind gleichermaßen betroffen. Kamerun etwa ist derzeit per Gerichtsurteil nur gezwungen, 50,9 Mio. der 340 Mio. Dollar zu bezahlen, die seine privaten Gläubiger fordern, die übrigen Verfahren laufen noch. Äthiopien hat sich mit seinen russischen Gläubigern außergerichtlich geeinigt.



Kritischer ist die Situation allerdings für die beiden Kongos. Gegen die Republik Kongo (Brazzaville) liegen bereits sieben Urteile US-amerikanischer, britischer, belgischer und anderer Gerichte vor, wonach das Land seinen Gläubigern 443,3 Mio. Dollar oder 92,5 Prozent der eingeklagten Forderungen zu bezahlen hat. Mehr als die Hälfte dieses Betrags entfällt auf zwei Fonds, auf den US-Fonds FG Hemisphere (151,9 Mio.) und auf Kensington International (118,2 Mio.) mit Sitz im Steuerparadies Cayman Islands.
Brazzaville hat es mit mächtigen Gegnern zu tun. Kensington gehört dem US-Investmentfonds Elliott Associates L.P. des Milliardärs Paul Singer, der in Sachen Schuldeneintreibung auf eine -aus Sicht der Schuldner – erschreckende Erfahrung verweisen kann: 1996 erwarb der Fonds um elf Mio. Dollar peruanische Schuldtitel mit einem Nennwert von 20 Mio. Drei Jahre später verurteilte ein New Yorker Gericht Peru zu einer Zahlung von 58 Mio. – eine Rendite von 47 Mio. oder 400%! Singer verfügt außerdem über gute Beziehungen ins Weiße Haus. Für die beiden Präsidentschaftswahlkampagnen von George W. Bush ließ er insgesamt 1,5 Mio. Dollar springen.
Im Februar 2008 gab das belgische Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit bekannt, dass es Kensington International sogar gelungen war, mit Hilfe des Landgerichts Brüssel auf öffentliche Mittel in Höhe von 10,3 Mio. Euro zuzugreifen. Es handelte sich um ein Darlehen der belgischen Regierung für den Bau eines thermischen Kraftwerks in Brazzaville sowie um ein weiteres Darlehen von 590.000 Euro an den nationalen Fernsehsender. Ende 2005 hatte Kensington International bereits die Beschlagnahme einer Erdöllieferung der Societé Nationale des Pétroles Congolais (SNPC) im Wert von 39 Mio. Dollar erwirkt. Ein anderer US-Fonds, Walker International Holdings, erhielt am 6. Februar 2007 das Recht, andere Lieferungen der SNPC in Pfand zu nehmen, um Forderungen aus Schuldtiteln in Höhe von 65 Mio. Dollar einzutreiben.

Die Demokratische Republik Kongo (DRC) wiederum muss aufgrund von Urteilen zugunsten von FG Hemisphere in Belgien (81,7 Mio.) bzw. zugunsten deutscher Unternehmen/Investoren (v.a. der KHD Humboldt Wedag AG) vor dem Royal Court of Jersey (67,1 Mio.) den gesamten geforderten Betrag von 148,9 Mio. Dollar bezahlen. Und das Schlimmste steht noch bevor. Drei belgische Senatoren wollen vom IWF erfahren haben, dass der Fonds von Paul Singer, Elliott Associates, von der DRC derzeit 400 Mio. Dollar für Schuldtitel fordert, die um zehn Mio. Dollar erworben wurden. Das Problem könnte damit gravierende Dimensionen annehmen: Dieser Betrag entspricht 13% des Budgets der DRC für 2008.

Sierra Leone wurde von einem Gericht in der Hauptstadt Freetown sogar dazu verurteilt, 28,5 Mio. Dollar an ausstehenden Forderungen für die (Söldner-)Dienste von „Executive Outcomes“ zu begleichen, des (Ende 1998 aufgelösten) privaten südafrikanischen Sicherheitsunternehmens. Der Betrag gebührt der Rechtsnachfolgerin, einer in Panama registrierten Gesellschaft namens Executive Outcomes International Inc.
Sambia schließlich muss 15,4 Mio. Dollar berappen, die das Land nach einem Urteil des Londoner High Court von Februar 2007 dem Fonds Donegal International schuldet. Der auf den britischen Jungferninseln eingetragene Investmentfonds hatte Rumänien Forderungen von mehr als 15 Mio. Dollar zu einem Fünftel ihres Nennwerts abgekauft, die auf einen von Bukarest 1979 gewährten Kredit für den Kauf von Traktoren zurückgingen. Ursprünglich hatte Donegal 55 Mio. Dollar gefordert, doch das britische Gericht hatte das Argument der Anwälte Sambias akzeptiert, dass der im ursprünglichen Vergleich vereinbarte Zinssatz als unzulässige Vertragsstrafe zu werten ist.

Doch der Erfolg der Fonds könnte sich als Eigentor erweisen – insbesondere wegen der Entrüstung nach der Beschlagnahme des Darlehens der belgischen Regierung. Das belgische Abgeordnetenhaus folgte am 6. März 2008 dem Beispiel des Senats und stimmte für ein Gesetz, das die Mittel der belgischen Entwicklungszusammenarbeit für „unpfändbar und unübertragbar“ erklärt. Eine Premiere, die auch auf europäischer und internationaler Ebene Schule machen könnte. Für Arnaud Zacharie, Direktor des Centre National pour la Cooperation au Développement (CNDC), einer Dachorganisation belgischer NGOs, handelt es sich um eine „richtungsweisende Entscheidung“: Würde sie von anderen Akteuren übernommen, könnte vermieden werden, dass die Geierfonds zu den Hauptnutznießern der HIPC-Initiative werden. Denn wie zufällig werden diese Fonds immer dann besonders gierig, wenn sie erfahren, dass ein Land davor steht, von einem neuen Schuldenerlass zu profitieren.
Jedenfalls wird das Problem zunehmend ernst genommen. Im Februar 2008 versprach US-Präsident George W. Bush, gegen diese Missbräuche vorzugehen. Im Mai 2007 beschlossen die FinanzministerInnen der G8, Schuldtitel nicht mehr an Fonds zu verkaufen, die keine Absicht haben, sich dem im Rahmen der HIPC-Initiative vorgesehenen Schuldenerlass anzuschließen. Bereits im September 2006 hatte das Sekretariat des Commonwealth eine „HIPC-Rechtsklinik“ gegründet, um „Überfällen“ verschuldeter Länder durch Geierfonds vorzubeugen.
Belgien beabsichtigt nun, sich beim IWF, bei der Weltbank und der Europäischen Union für die Schaffung von Rechtsinstrumenten einzusetzen, die Umschuldungen und Schuldenerlässe für alle Gläubiger verbindlich machen. Außerdem sollten die HIPC-Länder unter bestimmten Bedingungen und für eine bestimmte Dauer von ihren Rückzahlungsverpflichtungen befreit werden. Selbst Berater des IWF schlagen Mechanismen vor, die auf einem Ausgleichsverfahren für überschuldete Staaten beruhen. Aber bis derartige Lösungen umgesetzt werden, kann es zu weiteren Beschlagnahmungen kommen. Die Geierfonds hätten nun Côte d’Ivoire und Panama im Visier, warnt der belgische Senat. Und was die laufenden Gerichtsverfahren betrifft, halten Weltbank und IWF bisher an ihrem Grundsatz der Neutralität fest. l


Der französische Journalist François Misser lebt in Brüssel und beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Afrika sowie mit den Beziehungen EU – Afrika. Er ist Mitarbeiter der Berliner taz, von BBC-Afrique und anderen Medien und Autor mehrerer Bücher, u.a. „Géopolitique du Congo“.
Übersetzung aus dem Französischen: Robert Poth.

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