Klima der Angst

Von Werner Hörtner · · 2001/07

Die Untersuchungen von Sonderstaatsanwalt Celvin Galindo ergaben deutlich, dass das Militär hinter der Ermordung von Bischof Gerardi stand. Daraufhin häuften sich die Todesdrohungen gegen ihn. Er flüchtete ins europäische Exil.

Für viele war es von Anfang an klar, dass diese Reihenfolge der Ereignisse kein Zufall war: Am 24. April 1998 wurde der mehrbändige Untersuchungsbericht der katholischen Kirche über die Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs in Guatemala in der Kathedrale der Hauptstadt präsentiert – worin das Militär schwer belastet wird –, zwei Tage später wird Bischof Juan Gerardi in der Garage seines Hauses mit Ziegelsteinen erschlagen. Er hatte die Untersuchungskommission geleitet.

„Mir war gleich klar, dass das ein Mordfall mit politischen Vorzeichen ist. Mit dem Fortschreiten der Untersuchungen wurde immer deutlicher, dass das Militär in den Mord verwickelt ist“, erklärt Staatsanwalt Celvin Galindo. Er wurde mit den Ermittlungen betraut, nachdem der erste Untersuchungsrichter nach starken Protesten aus dem In- und Ausland den Fall zurücklegen musste. Dieser hatte in alle möglichen Richtungen hin nachgeforscht, nur nicht im Umfeld der Armee.

„Wir haben verschiedene Zeugen aufgespürt, die die Täterschaft des Militärs bestätigen konnten. Wir haben Blutproben von Personen abgenommen, die am Schauplatz des Verbrechens anwesend waren. Die Proben wurden in Washington untersucht und haben bestätigt, dass Offiziere der Streitkräfte die Hintermänner waren. Und wir haben auch herausgefunden, dass die ganze Führungsspitze des Militärs in den Mordfall verwickelt war!“

Dieses Ermittlungsergebnis hatte zur Folge, dass Celvin Galindo heute irgendwo in Europa im Exil lebt – und dass er nun in einem Wiener Kaffeehaus einem Redakteur des SÜDWINDs gegenübersitzt und von seinen Erfahrungen mit dem Fall Gerardi und seiner abenteuerlichen Flucht erzählt.

Als der Staatsanwalt nach dem Ergebnis der Blutproben vor der Presse in Guatemala mitgeteilt hatte, er habe den Fall bereits geklärt, begannen die Todesdrohungen. „Als ich einmal an einem Samstagnachmittag mit meiner Familie mein Haus verließ, drangen ‚Unbekannte‘ ein, ohne Spuren von Gewaltanwendung, und deponierten auf meinem Ehebett einen Totenkranz. Das zeigte mir, dass sie jeden Augenblick über mein Leben entscheiden konnten.“

Als Galindo dem UN-Büro in Guatemala von den Drohungen berichtete, zeigte sich, dass dieses schon seit drei Monaten seine Flucht vorbereitet hatte. In zwei Tagen war dann alles erledigt. Bis fünf Minuten vor Betreten des Flugzeugs durfte er niemandem, auch nicht seiner Frau und seinen drei Kindern, etwas von der Flucht erzählen, da das Militär seine Telefongespräche und die seiner Familie abhörte.

Und so befindet sich der Staatsanwalt heute mit seiner ganzen Familie im Exil. Er nützt es, um sich im internationalen Strafrecht weiter auszubilden. Eine baldige Rückkehr nach Guatemala erwartet er nicht.

In Kürze wird das Urteil im Prozess gegen die mutmaßlichen Täter im Mordfall Gerardi fallen. Die Staatsanwaltschaft hat fünf Personen angeklagt: zwei Offiziere und einen Korporal, den ehemaligen Sekretär und Mitbewohner Gerardis, Priester Mario Orantes, und die Köchin des Bischofs. Orantes war schon vom ersten Untersuchungsrichter eingesperrt worden – zusammen mit seinem Schäferhund, der der Mittäterschaft bezichtigt wurde.

Galindo ist überzeugt, dass Orantes nicht direkt an der Ausführung des Verbrechens beteiligt war, dass er jedoch mehr weiß, als er bisher zugegeben hat. „Es gibt wohl einen wichtigen Grund, dass er nicht die ganze Wahrheit sagt, und das kann ein sehr diskreter Umstand seiner persönlichen Lebensführung sein.“ Und das Militär verwendete diesen „diskreten Umstand“ von Anfang an als Druckmittel gegen die Kirche.

Verschiedene Manöver der Militärs während des Prozesses – z. B. Aussagen der angeklagten Offiziere und anschließender Widerruf, das Auftreten merkwürdiger Zeugen – hatten in der letzten Zeit das Ziel, die Öffentlichkeit zu verwirren und zu ermüden. Doch für Staatsanwalt Galindo ist nach wie vor klar, dass der gesamte Generalstab in den Mord verwickelt ist. Genauso wie er überzeugt ist, dass eine unabhängige Rechtsprechung in Guatemala nicht möglich ist. Das beweisen auch die Drohungen gegen seine Nachfolgerin, Richterin Iris Jazmín Barrios Aguilar, gegen deren Haus kurz vor Prozessbeginn im März Granaten abgefeuert wurden.

Und dass diese Geschichte nicht der Vergangenheit angehört, zeigt die Ermordung der US-amerikanischen Nonne Barbara Ann Ford Anfang Mai. Sie hatte beim eingangs erwähnten Untersuchungsbericht von Bischof Gerardi mitgearbeitet und war auch nachher noch in Menschenrechtsfragen aktiv. Und der UN-Berichterstatter für das Justizwesen, Param Cumaraswamy, beklagte sich nach seinem zweiten Guatemala-Besuch im Mai über die Regierung, die der Mehrheit seiner Empfehlungen nicht gefolgt sei. Richter, Staatsanwälte und Anwälte lebten „in einem Klima der Angst, das der Justiz nicht zuträglich ist“.


Historischer Gerichtsentscheid

Höchststrafen für Täter im Mordfall Gerardi

Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe erreichte uns die Meldung, dass am 8. Juni die der Ermordung von Bischof Gerardi angeklagten drei Armee-Angehörigen und Priester Orantes zu je 30 Jahren Haft verurteilt wurden; die Köchin des Bischofs wurde freigesprochen.

Die den Prozess beobachtenden Menschenrechtsorganisationen, u.a. Amnesty International, lobten das Urteil in höchsten Tönen. Selbst Präsident Portillo erklärte erfreut, zum ersten Mal in der Geschichte Guatemalas sei eine Strafe für ein politisch motiviertes Verbrechen ausgesprochen worden. Und Rigoberta Menchú sprach von einem bedeutenden Präzedenzfall für die Suche nach Gerechtigkeit für Guatemala. Überaschend auch, dass das Urteil weitere Untersuchungen fordert, da nach wie vor die obersten Drahtzieher des Mordes nicht bekannt seien.

Als historisch wird auch die Tatsache gewertet, dass zur selben Zeit elf Indiogemeinschaften in Guatemala eine Genozid-Klage gegen General Efraín Ríos Montt einbrachten, den früheren Militärdiktator und heutigen Parlamentspräsidenten. Ríos Montt hatte in seiner 18 Monate langen Herrschaft eine Politik der „verbrannten Erde“ praktiziert und dabei die Maya-Gemeinden als kollektive Feinde des Staates brutal bekämpft.

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