Klimarettung oder Ablasshandel

Von Ralf Leonhard · · 2007/12

Wer die Klimaschutzziele ernst nimmt, kann selbst etwas zu deren Verwirklichung beitragen: Durch Wärmedämmung, sparsamere Autos oder Unterlassen von Flugreisen. Wer trotzdem fliegen will oder muss, kann neuerdings den Umweltschaden durch Aufzahlungen kompensieren.

Flugreisen gehören zu den wichtigsten Verursachern von Treibhausgasen. ExpertInnen wiederholen immer wieder die unbequeme Wahrheit: Wenn wir unsere bescheidenen Klimaziele erreichen und damit mittelfristig eine Katastrophe vermeiden wollen, müssen wir unsere Reisegewohnheiten umstellen. Salzkammergut statt Seychellen, Kaunertal statt Karibik, empfehlen die KlimaschützerInnen den Urlaubern, Bahnfahren statt Fliegen den Geschäftsleuten. Nicht jedes Reiseziel kann aber in vernünftiger Zeit mit der Bahn oder dem Schiff erreicht werden. Deswegen gilt es, möglichst viele Flugkilometer mit Klimaschutzmaßnahmen zu kompensieren. Dieses Ziel verfolgen einige Institutionen, die CO2-Kompensationen anbieten.
Das System wirkt bestechend einfach und funktioniert nach dem Prinzip der Emissionszertifikate, die Länder bzw. Unternehmen einkaufen können, wenn sie nicht willens oder imstande sind, ihre eigenen Reduktionsvorgaben einzuhalten. Nehmen wir zum Beispiel einen Flug nach Bali im heurigen Dezember zur Klimakonferenz: Beim Flug Wien-Bali-Wien über Frankfurt – das sind 25.099 km – werden pro Passagier in der Economy Class etwa sechs Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen. In der Business Class sind es drei Tonnen mehr pro Person. Mit einem Aufschlag von 147 Euro (bzw. 220 in der Business Class) kann man diesen Schaden wieder gutmachen. Der Klimaschaden, der durch einen Abstecher nach Brüssel erwächst, ist schon durch wohlfeile zehn Euro wieder gutzumachen. Der Betrag, der über Internet gezahlt oder in einigen wenigen Reisebüros auf Wunsch aufgeschlagen werden kann, wird in ein Projekt investiert, das anderswo zur Verbesserung des Klimas beiträgt. Wenn man über My Climate bucht, geht es zum Beispiel in einen Windpark im Norden von Madagaskar.

My Climate ist neben der ClimatePartner GmbH & Co.KG mit Sitz in München eine der Organisationen, die CO2-Kompensation in Österreich anbieten. Die in der Schweiz ansässige Agentur wird durch das Österreichische Ökologie-Institut vertreten.
Mit dem Slogan „wenn wir fliegen, dann atmosfair“ drückt die gleichnamige gemeinnützige GmbH aus Berlin (inzwischen mit Klimabündnis-Österreich als Österreich-Partner) aus, dass ein Verzicht auf einen Flug das Beste ist und eine Kompensationszahlung immer nur an zweiter Stelle stehen kann. Mit dem Geld, das umweltbewusste Flugreisende freiwillig an atmosfair spenden, werden Klimaschutzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern finanziert. Neben der Bereitstellung der Mittel für diese Projekte, sieht es atmosfair auch als seine Aufgabe, Firmen und Privatpersonen über die Folgen des Fliegens und attraktive Alternativmöglichkeiten zu informieren.
Wolfgang Mehl, Geschäftsführer von Klimabündnis Österreich, hält diese beiden Varianten für die derzeit seriösesten auf dem heimischen Markt. Denn sie halten den „Gold Standard“ ein. Das ist in diesem Zusammenhang ein besonders hohes Niveau an Seriosität und Effizienz. Projekte, die für CO2-Kompensation anerkannt werden sollen, müssen von der UNO zertifiziert werden und in jedem Fall zusätzliche Maßnahmen sein. Das heißt, es dürfen keine Projekte eingerechnet werden, die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit bereits Unterstützung erfahren.
Das Klimabündnis selbst hat eine Arbeitsgemeinschaft mit den Naturfreunden International und Respect, dem Institut für integrativen Tourismus, gebildet. Die Perspektive, so Mehl, sei in Gemeinschaft mit dem deutschen Klimainstitut Atmosfair eine Organisation zu gründen, die den höchsten Standard bei Klimakompensation garantiere.
KritikerInnen des Systems sprechen von Ablasshandel: durch eine Spende kann man für seine Sünden wider die Umwelt den klimapolitischen Seelenfrieden erkaufen. Bei Atmosfair in Deutschland liegen Broschüren auf, die das Kompensationsgeschäft in Frage stellen: „Jedes Flugticket finanziert das bestehende Transportsystem und gibt keinen Anreiz zu dessen umweltverträglichem Umbau. Deswegen ist Atmosfair ein wichtiger Beitrag zur Schadensbegrenzung – nicht mehr und nicht weniger.“ Deswegen wird der Schwerpunkt der Arbeit auch auf Reisevermeidung gelegt. So berät Atmosfair Unternehmen, wie sie beispielsweise durch Videokonferenzen oder die Benützung von Nachtzügen Flugreisen vermeiden können.

In Deutschland treibt das Geschäft mit dem Gewissen aber auch schon seltsame Blüten. So bietet ein Unternehmen eine Vignette für sparsame Autos an. Beim Kauf bestimmter Modelle bekommt man die Klimakompensation für 15.000 Kilometer Autofahrt gutgeschrieben.
Wolfgang Mehl zeigt wenig Begeisterung angesichts des Trends, der auch österreichische Ministerien erfasst hat. Das Lebensministerium hat sich vorgenommen, die zusätzlichen rund 40.000 Tonnen an Emissionen, die durch die Fußball-EM in Österreich erwachsen werden, durch Investitionen in Projekte mit Klimaeffekt auszugleichen. Flüge der Fans werden allerdings nicht eingerechnet, so der Umweltwissenschaftler Wolfram Tertschnig, der das Projekt „Umwelt am Ball“ koordiniert. Welche Projekte unterstützt werden, will er noch nicht sagen. Es werden aber jedenfalls inländische Vorhaben sein. Im Infrastrukturministerium wiederum zieht man es vor, den Emissionshandel auszuweiten, damit das heikle Thema der Besteuerung von Flugkerosin nicht auf die Tagesordnung kommt. Gerade diese, sagt Wolfgang Mehl, wäre aber ein viel größerer Gewinn für das Klima.

www.myclimate.org
www.atmosfair.or.at
www.atmosfair.de
www.klimabuendnis.at
http://umwelt.lebensministerium.at/article/articleview/61188/1/1467

Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins und lebt in Wien.

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