Krise ohne Ende

Von Redaktion · · 2005/04

Aus Angst vor den protestierenden Massen regiert der Präsident nun mit der Rechten des Landes sowie mit Kirche, Militär und Unternehmerverband. Aus La Paz berichtet Dario Azzellini.

Mitte März. Im ganzen Land beginnt ein auf zwei Tage begrenzter Streik der Gewerkschaft COB (Central Obrera Boliviana). Gefordert wird die Verstaatlichung der Gasvorkommen. Zuvor hatte die COB gemeinsam mit der von Evo Morales geführten Partei MAS (Movimiento al Socialismo) und anderen politischen Organisationen die Bildung einer „Antioligarchischen Volksfront“ beschlossen.
Der Konflikt hatte sich am Vorhaben des Präsidenten Carlos Mesa entzündet, ein neues Brennstoffgesetz zu verabschieden, das von den transnationalen Konzernen 18 Prozent Royalties (Förderabgaben) und 32 Prozent Steuern einhebt. Die MAS, die COB, die Nachbarschaftsvereine von El Alto und weitere Bewegungen fordern eine Förderabgabe von 50 Prozent und eine staatliche Kontrolle über die Rohstoffe.
Auch die am Wochenende zuvor fast im gesamten Land ausgesetzten Straßenblockaden wurden wieder aufgenommen. Die wichtigsten Verkehrsadern in die Nachbarländer sowie die Straßenverbindungen im Land sind durch Barrikaden der Indígena- und Bauernorganisationen blockiert. In Boliviens viertgrößter Stadt Cochabamba werden die ersten Engpässe in der Lebensmittelversorgung spürbar. In der Hauptstadt La Paz war hingegen vom Streik kaum etwas zu bemerken, selbst die LehrerInnen, die vor allem auf dem Land die Arbeit niederlegten, streikten in La Paz nur teilweise. In El Alto hingegen wurde der Streik befolgt.

Präsident Carlos Mesa allerdings kann kaum auf Unterstützung aus der Bevölkerung zählen. Als er versuchte, seine AnhängerInnen zu mobilisieren und sie aufrief, gegen die Blockaden vorzugehen, versammelten sich in La Paz nur 5.000 Menschen – meist Staatsbedienstete, die für die Kundgebung frei bekommen hatten. Im restlichen Land ging kaum jemand für den Präsidenten auf die Straße. In der zweitgrößten Stadt des Landes, Santa Cruz, waren es gerade 300 Menschen.
Auf der Kundgebung in La Paz kam schnell eine rassistische Stimmung auf. Regierungsunterstützer forderten „Hängt die Indios“ und skandierten: „Die Stinkfüße müssen weg.“ Mesa drohte den Blockierern mit einem harten Durchgreifen und „juristischen Konsequenzen“.
Die Verärgerung auf Seiten der MAS und vieler anderer Bewegungen über Präsident Mesa ist groß, weil dieser vor zehn Tagen mit einer Rücktrittsdrohung eine radikale Wendung vollzog und nun mit der Rechten paktiert. Er hatte zuvor ein Jahr lang in relativer Ruhe regieren können, weil Evo Morales auf Mobilisierungen verzichtete. Im Gegenzug hatte sich Mesa verpflichtet, sich mit der MAS auf ein Brennstoff-Gesetz zu einigen, eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen und ein Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada einzuleiten.
Mesa hielt sich nicht an die Abmachungen und vollzog den Bruch mit der MAS. Nach einer Woche heftiger Proteste verkündete er am 6. März in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt und entwarf ein Horrorszenario, sollte sein Gesetzesvorschlag nicht akzeptiert werden. Tatsächlich handelte es sich bei der Ankündigung um ein geschicktes Manöver der extrem schwachen Regierung, die nicht die volle Unterstützung der Rechten genoss und sich stetig wachsenden sozialen Bewegungen gegenüber sieht. Der Rücktritt des Präsidenten muss in Bolivien vom Parlament bestätigt werden.
Das Rücktrittsangebot und das entworfene Szenario zeigten Wirkung. Innerhalb von 48 Stunden einigten sich die bürgerlichen und rechten Parteien MIR, NFR und MNR auf einen „nationalen Pakt“ zum Verbleib Mesas im Amt und stimmten gegen seinen Rücktritt. Unterstützt wurden sie auch vom Militär, der Polizei, der Kirche und den Unternehmerverbänden, die zugunsten Mesas Verbleib Druck ausübten. Entscheidend für das Schließen der Reihen um Mesa dürfte wohl die Angst vor den protestierenden Massen gewesen sein. Schließlich hatten diese auch Mesas Vorgänger aus dem Amt gejagt.

Teil des Paktes ist auch die rasche Verabschiedung eines Gesetzes über die Ausbeutung fossiler Brennstoffe, das den Wünschen der transnationalen Konzerne entspricht. Mesa, der sich in seiner bisherigen Präsidentschaft im Schlingerkurs von Krise zu Krise gerettet hatte, schlug sich nun eindeutig auf die Seite der neoliberal orientierten nationalen Eliten. Zudem wurde die Möglichkeit der Einführung regionaler Autonomien vereinbart, was der kürzlich erhobenen Forderung der Oberschichten der boomenden Stadt Santa Cruz im Osten des Landes entspricht. Allerdings könnte Mesa bald das gleiche Schicksal wie seinem Vorgänger „Goni“ blühen, wenn sich die Proteste wieder in eine Revolte verwandeln. So drohten die Nachbarschaftsvereine von El Alto, sie würden nach La Paz marschieren, um das „wenig repräsentative und korrupte Parlament zu schließen“.

Der Autor lebt und arbeitet als Journalist, Buchautor und Filmemacher in Berlin. Er bereist zur Zeit Bolivien und andere lateinamerikanische Staaten, wo er die spanische Fassung seines Buches „Unternehmen Krieg“ vorstellt (s. Rezension SWM 12/03).

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