Kunst ist Verstörung

Von Redaktion · · 2013/04

Sechs Jahre lang hat Stefanie Carp das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen gestaltet. Sie hat viele Produktionen aus allen Kontinenten nach Wien gebracht. Mit dieser Saison verlässt sie die Stadt. Stefanie Carp im Gespräch mit Südwind-Mitarbeiter Werner Hörtner.

Südwind-Magazin: Nach den diesjährigen Wiener Festwochen verlassen Sie die Stadt. Glauben Sie, dass Sie das Publikum durch Ihre Tätigkeit weiter gebracht haben auf dem Weg über die Ozeane ins außereuropäische Theatergeschehen?
Stefanie Carp:
„Weiter gebracht“ erscheint mir eine zu anmaßende Formulierung. Ich denke aber, dass ich das Schauspielprogramm eine Runde weiter außereuropäisch internationalisieren konnte. Ich habe das Programm stärker um den postkolonialen Diskurs erweitert. Ich habe außerdem ein Programm gemacht, das das Schauspiel hin zur Performance öffnet, zur Installation, zur Intervention im öffentlichen Raum, zur Bildenden Kunst und Musik. Wichtig war mir, dass man in der Darstellung und Wahrnehmung nicht mehr zwischen großen repräsentativen Arbeiten in den entsprechenden Räumen und kleinen Formaten unterscheidet.

Das Publikum ist Ihnen auf diesen Weg gefolgt?
Es ist mir teilweise gelungen, das Publikum auf den Weg mitzunehmen, sich auch mal auf etwas Unbekanntes einzulassen. Wenn man Wiens Kulturpolitikern und -politikerinnen zuhört, hat man immer den Eindruck, dass deutschsprachiges Stadttheater und Musiktheater am wichtigsten sind, und neue, kleinere, fragile Formate nur das „Minderheitenprogramm“, wie es unverblümt genannt wird, darstellen. Die Fixierung auf Berühmtheiten und Repräsentation ist in Österreich wahrscheinlich so ausgeprägt, weil die Kunstinstitutionen immer noch den Hof ersetzen sollen.

Von den Lesern und Leserinnen unserer Zeitschrift wissen wir, dass sie über das von ihnen initiierte Theaterprogramm sehr froh sind.
Es gibt heute ein wachsendes Interesse an Internationalität. Fast jeder Jugendliche hat direkte oder indirekte Beziehungen zu außereuropäischen Ländern und lernt mehrere Fremdsprachen. Die junge Generation fängt also schon internationalisiert an.

Was zieht Sie persönlich am außereuropäischen Theater an?
Das ist natürlich je nach Kontinent und Land verschieden. Am zeitgenössischen japanischen Theater interessiert mich das hohe Formbewusstsein und der Tabubruch. Im südamerikanischen Theater ist es eine inhaltliche Radikalität, die südamerikanische Wut, die nicht immer von ästhetischer Radikalität, aber oft von starken ganz neuen Formaten begleitet wird. In Afrika ist es die bittere Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe und der Zeit danach sowie künstlerisch und sprachlich die Suche nach dem Afrikanischen. In Südafrika habe ich empfunden, dass fast jedes Theaterstück die Ingredienzien einer Tragödie enthält.

Ist der Eindruck richtig, dass sich Künstlerinnen und Künstler heute mehr denn je auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen beziehen? Oder sind wir wieder bei der 1968er Bewegung angekommen, als der Kunst eine die Gesellschaft verändernde Funktion zugeschrieben wurde?
Die 1968er Revolte fand meines Wissens nicht im Theater statt. Die bürgerlichen Institutionen waren immer ein Ort des politischen Diskurses. Gegenwärtig sind die großen Häuser in ihren Produktionen und Programmen bis auf einige Ausnahmen immer angepasster, während die unabhängig produzierenden Künstler und Künstlerinnen politischer und ästhetisch innovativer sind. Das Bewusstsein starker Veränderungen erzeugt Angst und Opportunismus, aber auch Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam, in jedem Fall verstärkt es kritisches, in Frage stellendes Denken.

Die Programmschiene „Unruhe der Form“ ist meinem Eindruck nach das am schwierigsten zu erfassende Projekt der Festwochen. Das Konzept löst Verwirrung und Neugierde zugleich aus. Könnte man sagen, der gemeinsame Nenner dieser Reihe ist die Hoffnung, durch aktuelle Kunst den Widerstand gegen die vielen Irrwege, auf denen wir gelandet sind, zu befördern?
„Unruhe der Form“ ist ein Ausstellungsparcours in Zusammenarbeit mit der Wiener Secession, der Akademie der Bildenden Künste und dem MuseumsQuartier. Wir versuchen da etwas, das eigentlich nicht geht, mich aber immer interessiert hat: das theatralisch Performative und die Ausstellungsfläche der Bildenden Kunst zusammenzubringen, gebunden an ein politisches Thema.
Es ist keine Reihe, sondern ganz klar eine Ausstellung, die viel Performatives enthält. Kunst ist nicht die Realisierung guter Absichten und nicht Aufklärung, sondern eher Verstörung.

Überhaupt scheint mir das Fragen beim heurigen Festwochenprogramm eine wichtige Rolle zu spielen. Die Frage nach der Artikulierung der künstlerischen Praxis, nach den geeigneten neuen Ausdrucksformen, nach einer zeitgenössischen politischen Ästhetik. Ist diese Unruhe nicht auch riskant auf der Bühne?
Die sehr berühmte und schöne Vorlesung des US-Regisseurs und Videokünstlers Bob Wilson beginnt mit dem Satz: „The reason for work is to ask questions“.

Sie verlassen im kommenden Juli Wien und die Wiener Festwochen. Mit welchem Gefühl ziehen Sie fort?
Da es ja so eine unausgesprochene Verabredung seitens der Kulturpolitik, der Festwochenintendanz und den Journalisten gab, mich als Person komplett zu ignorieren, fühle ich mich in Bezug auf Wien als eine Art Geist, der nicht weiß, warum und wozu er hier war.
Ich war natürlich oft auf Reisen, habe aber trotzdem viel in Wien gearbeitet, denke ich, und auch versucht, mich in meiner Programmierung auf Wien zu beziehen. Dennoch hatte ich immer den Eindruck, nicht hier sein zu sollen.  

Das vielfältige Programm der Wiener Festwochen 2013, Spielorte und -zeiten, finden Sie auf www.festwochen.at

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