Lachen, Fühlen, Malen, Tanzen

Von Agnes Neumayr · · 2000/09

„Bambolse“ ist die traditionelle Wandmalkunst der Kasena/Nankana-Frauen in Nord-Ghana. Sie fördert ein glückliches Zusammenleben.

Dinli“ – „Hallo“ – sagt Abajum, die Vorsteherin des Gehöfts und reicht mir die Hand. Es ist noch früh am Morgen und Abajum trifft mit den bereits anwesenden Frauen die Vorbereitungen zum Bemalen der Wände. Asoba Kabo sitzt am Boden und bindet mit geflochtenen Savannegräsern die Perlhuhnfedern zu Farbpinsel zusammen. Anedba und Adoko schleppen Wasser vom Brunnen und leeren dieses in die Lehmgrube in der Mitte des Hofes, wo Abunto und Atamboka den Lehm zum Verputzen der Wände kneten. Ajesia ist damit beschäftigt, das Feuer an der Feuerstelle wachzurufen. Von den umliegenden Lehm-Gehöften sehe ich Frauen im Gänsemarsch durch die Savanne auf unseres zuwandern. Sie tragen auf dem Kopf verschiedene Töpfe, Matten und Holzbündel. Langsam beginnt sich der Hof mit Stimmen und Geräuschen zu füllen.

Asoba Kabo steht auf und geht zu den Frauen, die vor dem Haus der Gehöftvorsteherin versammelt sind. Sie besprechen gemeinsam die Motive, die sie auf die Außenwand des Gebäudes aufmalen werden. In der Kultur der Kasena/Nankana haben bestimmte Motive eine tiefreichende symbolische Bedeutung. Eines der wichtigsten davon ist das spiralförmige Schlangenrelief. Der Königspython gilt als das Totemtier der hier lebenden Familien. Abajum erzählt, während sie mit ihren Händen ein Schlangenrelief an der Wand formt, dass eine Schlange einst, in uralten Zeiten, die beiden neugeborenen Kinder ihrer Urahnin vor einem wilden Tier gerettet hat, indem sie sich schützend um die Kinder legte. Seit dieser Zeit ist der Python das Schutztier aller in dieser Verwandtschaftslinie lebenden Menschen.

Nachdem das Schlangenrelief fertig gestellt wurde, modelliert Anedba Ana rechts und links davon jeweils eine Eidechse. Sie beginnt ein Lied zu singen, in welches alle Frauen im Refrain einstimmen. Aseliba erklärt mir den Text: „So fest, wie die Eidechse sich an die Wand klammert um nicht herunterzufallen, so fest müssen auch wir Menschen zusammenhalten, damit unsere Familien nicht zerstört werden.“

Die Kasena/Nankana-Frauen treffen sich jedes Jahr in der Zeit nach den starken Harmattan-Winden, um gemeinsam zu malen. Für sie ist diese künstlerische Betätigung, die in einer so natürlichen Weise zum Leben dazugehört wie Kochen, Essen oder Schlafen, ein wichtiger Bestandteil der Sozialisation, Bildung und Erziehung ihrer Kinder. Ein Gefühl für die schönen Dinge des Lebens zu entwickeln, wird von den Frauen als ein kulturelles Gut betrachtet.

Die zahlreichen und unterschiedlichen Motive der Wandmalkunst „Bambolse“ vereinen in sich sakrale, soziale, politische, ästhetische und weltanschauliche Elemente. Alles, was geschaffen wird, wird als gut und schön empfunden, denn jede künstlerische Betätigung ist ein gleichwertiger Beitrag, der die gelebte Gemeinschaft aufrecht erhält.

Asoba Kabo hat inzwischen begonnen, die drei Wandmalfarben Rot, Weiß und Schwarz vorzubereiten. Ein Absud der Blätter des Dawa-Dawa-Baums wird als Bindemittel für die rote eisenhaltige Erdfarbe und die schwarze Holzkohle verwendet. Für die weiße Farbe liegen runde, flache Kaolinsteine bereit. Asoba Kabo erzählt von der Bedeutung der drei Farben: Rot steht für die schöpferische Kraft der Erde, die als weiblich-sakrale Dimension geachtet und verehrt wird, da sie Leben spendet und den Menschen Nahrung und Schutz gewährt. Die Farbe Weiß bedeutet familiäres Glück, Freundschaft, Ehrlichkeit und Friede und wird auch zum Zeichen des Schutzes vor negativen Einflüssen auf die Wände gemalt. Schwarz wiederum symbolisiert traurige Ereignisse, Tod, Leid und Krankheit. Diese Farbe rundet das zyklische Weltbild der Kasena/Nankana ab, indem sie auch den Prozess des Sterbens, als notwendigen und natürlichen Bestandteil des Lebens, zum Ausdruck bringt.

Im allgemeinen fröhlichen Durcheinander des Nachmittags ist es Abend geworden. Akuboka und Abesga sind damit beschäftigt, die traditionellen Gerichte zu kochen. Auf der Feuerstelle wird Wasser in den großen Tontöpfen erhitzt und das Feuer durch Zufächeln von Luft am Leben erhalten. Wir sind müde. Der Rauch brennt in den Augen und der Boden unter den Füßen läßt uns die Wärme des Augenblicks spüren. Die Sicherheit des Zusammengehörens und das Echo des Lachens liegen in der Luft. Zur Sprache gewordene Gefühle zeigen ihre integrative Kraft. Abajum reicht eine Kalebassenschüssel mit Wasser herum, damit wir uns die Hände waschen können. Wir sitzen im Kreis am Boden und Asoba Kabo stellt drei Schüsseln mit „Watschie“ – gekochtem Reis und Bohnensoße – in die Mitte. Das gemeinsame Essen und Trinken ist Lebensfreude, Genuss und Erholung in einem. Es leitet den Tanz der Dämmerung ein, in dem die Sprache des Herzens hörbar und für alle fühlbar wird. Leben ist unmittelbares Sein. Die wärmende Geborgenheit die uns innen und außen durchdringt, eröffnet den jeweils benötigten Raum, für Vielfalt und Individualität, Nähe und Ferne, Freude und Schmerz, Denken und Fühlen, Fremdheit und Vertrautheit.

Agnes Neumayr ist Politologin mit dem Schwerpunkt Kultur- und Friedenspolitik und lebt in Innsbruck. Im Rahmen der Diplomarbeit lernte sie im WS 98/99 (September bis Jänner) die Kultur der Kasena/Nankana im Norden Ghanas kennen.

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