„Längerfristiges Engagement gefragt“

Von Werner Hörtner · · 2006/04

Das verheerendste Erdbeben der letzten 100 Jahre hat über drei Millionen Menschen obdachlos gemacht. Der Winter im Nordwesten Pakistans neigt sich dem Ende zu; im April beginnt ein von der UNO mit den Hilfsorganisationen ausgearbeiteter Wiederaufbauplan. Über die Katastrophe und die Hilfsmaßnahmen sprach Südwind-Redakteur Werner Hörtner mit Caritas-Mitarbeiter Thomas Preindl.

Südwind: Nach dem katastrophalen Erdbeben vom 8. Oktober hieß es, dass der Winter für die vielen Obdachlosen eine weitere Katastrophe bedeuten werde. Wie hat sich die Lage dann entwickelt?
Thomas Preindl:
Gerade heute, am 8. März, habe ich eine Meldung der Austria Presseagentur erhalten, worin die Vereinten Nationen eine positive Bilanz der Notfallhilfe ziehen. Die befürchtete zweite Todeswelle sei ausgeblieben, resümierte der Stellvertretende UN-Koordinator für Hilfseinsätze, Jamie McGoldrick, fünf Monate nach dem Erdbeben. Auch wenn es etwas gedauert hat, so ist die internationale Hilfe dann doch sehr massiv angelaufen. In Zahlen ausgedrückt: es wurden bis Ende Februar an die 520.000 Zelte verteilt, weiters etwa 3,4 Millionen Stück Wellblech zum Abdecken der Notunterkünfte und 6,4 Millionen Decken.

Es ist ja kritisiert worden, dass das pakistanische Militär bei der Katastrophenhilfe ziemlich stümperhaft vorgegangen ist. Wie haben Sie das dort erlebt?
Die Vereinten Nationen haben einen eigenen Mechanismus ausgearbeitet, die Desaster Assessment Coordination (UNDAC), mit dem Ziel, alle an der Katastrophenhilfe beteiligten Institutionen – die Regierung, das Militär, die NGOs, die Geldgeber – zusammenzubringen und die Maßnahmen zu koordinieren. Das Militär hat den Hilfsorganisationen prinzipiell logistische Unterstützung zugesagt, die wir dann bei der Verteilung der Zelte auch zum Teil in Anspruch genommen haben. Sie müssen bedenken, dass man vielfach gar keinen Zugang zu den Katastrophengebieten hatte.

War diese Kritik am Militär dann nicht berechtigt?
Logistisch hat das Militär viel geleistet, das muss man schon sagen. Das Problem war eher ein politisches: Die Regierung hatte zunächst entschieden, dass die Zelte, die es in Pakistan am Markt gibt, nur für das Militär bestimmt sind. Dieses Problem hat sich dann aber Gott sei Dank gelöst.

Wie hat sich im pakistanischen Teil von Kaschmir das Spannungsverhältnis mit Indien auf die Katastrophenhilfe ausgewirkt?
Das ist zweifellos ein sehr sensibles Thema. Positiv ist, dass die indische Regierung mehrere Grenzübergänge vom indischen in den pakistanischen Teil Kaschmirs geöffnet hat. Das zeigt, dass doch eine gewisse Entspannung eingetreten ist.
Der größte Teil der Katastrophe betraf den pakistanischen Teil des Kaschmir und die Nord West Frontier genannte Region Pakistans, die an Afghanistan grenzt. In diesem Gebiet sind schätzungsweise 600.000 Häuser zerstört worden, im indischen Katastrophengebiet an die 130.000 Häuser.

Sie sind ja schon wenige Tage nach der Katastrophe dorthin aufgebrochen. Heißt das, dass Sie sozusagen hier in Österreich auf Abruf leben?
Ja, das ist eben unsere Aufgabe in der Katastrophenhilfe-Abteilung. Wir müssen so schnell wie möglich vor Ort sein, und da muss man eben flexibel sein.

Gibt es Zahlen, wie viele Menschen in den Wochen und Monaten nach dem Erdbeben umgekommen sind?
Da gibt es zu wenig Zahlenmaterial. Was man aber generell sagen kann ist, dass eine massive Todeswelle nicht stattgefunden hat.

Wie sieht nun die mittelfristige Wiederaufbauhilfe aus?
Wir haben es im Prinzip mit drei Phasen tun: Als Soforthilfe haben wir, auch mit Mitteln aus Nachbar in Not, Zelte an tausende Familien verteilt. Danach haben wir rund 1.500 Familien nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ mit Material, Werkzeug und Know-how beim Bau von festen Notunterkünften unterstützt. Jetzt stellen wir bereits die Weichen für den Wiederaufbau.

Sind die Unterkünfte als Provisorium gedacht?
Sie sind ausbaufähig. Die Leute werden sie nicht niederreißen, sondern daran weiterbauen, sie verbessern, wenn sie mehr Material bekommen. Zur Zeit ist es noch zu früh, da noch Winter ist, aber sobald der Frühling einsetzt, beginnen wir mit dem Wiederaufbau. Im Moment sind wir sowohl hier in der Zentrale in Wien als auch vor Ort mit den strategischen Überlegungen beschäftigt, wie dieser Wiederaufbau genau ablaufen wird.

Worin besteht diese dritte Phase genau?
Für uns als Caritas bedeutet Wiederaufbau mehr als den Bau von Häusern. Es gehört ebenso dazu, für die Menschen wieder eine Existenzgrundlage zu schaffen – etwa durch die Instandsetzung der Landwirtschaft und die Verteilung von Saatgut und Ziegen.

Diesen UN-Mechanismus zur Koordinierung von Hilfsmaßnahmen finde ich interessant.
Das ist auch ziemlich neu. Aus der Erfahrung hat man gelernt, dass man die ganzen „Players“ bei der Katastrophenhilfe – staatliche Institutionen, Militär, Hilfsorganisationen usw. – zusammenbringen muss. Das hat jetzt in Pakistan eigentlich sehr gut geklappt. Zusätzlich gibt es dann noch so genannte „Cluster- Meetings“, das sind Treffen, wo sich Fachleute eines Bereichs, etwa Wassertechniker, Mediziner oder auch Wiederaufbauexperten zusammensetzen und die Maßnahmen koordinieren. Bei einer so großen Katastrophe, wo dann auch so viele Hilfsorganisationen vor Ort sind, braucht man unbedingt eine straffe Koordination.

Bei der Katastrophe in Pakistan waren die Geberländer schon ziemlich knausrig, nicht wahr?
Es wäre schon mehr, und vor allem raschere Hilfe seitens der internationalen Staatengemeinschaft nötig gewesen. Aber man muss da vorsichtig sein. Man muss mit bedenken, dass 2005 ein echtes Katastrophenjahr war. Aber letztendlich hat die UNO doch so viele Mittel bekommen, dass sie zumindest in der Lage war, die akute Nothilfe-Phase einigermaßen abzudecken.
Beim Wiederaufbau ist ein langfristiges Engagement gefragt. Da wird man erst sehen, wie viele Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden.

Wie lange wird die Caritas bei den Wiederaufbau-Maßnahmen in Pakistan noch präsent sein?
Wir wollen uns auf alle Fälle längerfristig in Pakistan engagieren, das heißt zumindest für die nächsten zwei, drei Jahre. Denn die Menschen brauchen eine längerfristige Perspektive, um hoffnungsvoll in die Zukunft blicken zu können.


Das Erdbeben vom 8. Oktober hatte eine Stärke von 7,6 auf der Richterskala – damit war es bei weitem nicht das stärkste, doch das verlustreichste Beben der letzten 100 Jahre: Über 80.000 Menschen kamen in Kaschmir und der North West Frontier Province ums Leben, über 3 Millionen Menschen verloren ihre Unterkünfte. Das Epizentrum des Bebens lag etwa 100 km nordöstlich der pakistanischen Hauptstadt Islamabad; es breitete sich auf einem Gebiet von etwa 30.000 Quadratkilometern aus.
Im März endete die Nothilfe-Phase. Für April 2006 bis April 2007 hat die UNO einen Plan für den Wiederaufbau der Region ausgearbeitet. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass im Gefolge des Bebens zahlreiche Erdrutsche 40 Prozent des bebaubaren Landes zerstörten und ein Drittel des Tierbestandes ums Leben kam.


Der Tiroler Thomas Preindl (Jahrgang 1967) ist seit sieben Jahren für die Caritas Österreich als Katastrophenhelfer und Wiederaufbauexperte im Einsatz. Der Absolvent der Universität für Bodenkultur in Wien arbeitete jeweils zwei Jahre beim Wiederaufbau im Kosovo und in Afghanistan. Schon drei Tage nach dem Erdbeben in Pakistan brach der Caritas-Mitarbeiter ins Katastrophengebiet auf.

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