Läuse knacken

Von Calixthe Beyala · · 2002/10

Mit vierzehn konnte ich kochen. Ich spaltete das Holz für das Feuer, das ich dann schürte, bis die Flammen aufloderten. „Niemand kann das Feuer so gut schüren wie Saida“, sagten die Frauen, wenn sie sahen, wie ich mir auf allen Vieren die Lungen aus dem Leib blies.

Ich hörte aus der Ferne die Rufe der gleichaltrigen Jungen, die Bälle hin- und herschlugen, und Gejohle, wenn sie daneben trafen. Ich ließ mir keine Zeit, über diese Dinge nachzudenken, denn ich ahnte, dass es für mein inneres Gleichgewicht gefährlich sein konnte. Ich war mir bewusst, dass ich in eine Sackgasse geraten könnte, wenn ich mich zu weit vorwagte. Ich stürzte mich voll und ganz in die häuslichen Verrichtungen. Ich überwachte die Suppe auf dem Feuer. Ich rührte mit einem großen Holzlöffel darin, damit sie nicht auf dem Topfboden anbrannte. Mama war sehr zufrieden mit meiner Arbeit. „Du bist eine richtige Frau“, lobte sie mich. Und ich war glücklich und vergaß darüber das Geschrei der Jungen, die sich erlauben konnten, an nichts anderes als an das Spielen zu denken.
Papa zeigte seine Genugtuung auf ganz besondere Art. Er setzte sich in seinen verkrüppelten Sessel und aß die Suppe, in der Fleischstücke schwammen, mit den Fingern. Er leckte seinen Teller aus, rülpste, lehnte sich in seinem Sessel zurück, und seine Knollennase zog geräuschvoll die Luft ein. „Ich bin Mohammeds Jünger!“ rief er laut. Dann spuckte er dreimal in hohem Bogen auf den Fußboden. „Die höchste Sittlichkeit ist mein Bestreben.“ Wenn ich meinen Vater so glücklich sah, fühlte ich mich nützlich.

Ich war mir meines Andersseins nicht bewusst und konnte daher nicht den Anspruch erheben, mehr zu verlangen, als die Natur mir zu gewähren schien. Ich hatte keinen Verlobten, auch wenn um mich herum Mädchen meines Alters bereits heirateten. Ich wusste einiges über die Liebe: wie man sich hastig in der Dunkelheit liebt zum Beispiel. Aber ich wusste auch, dass das schlecht war. Ich wusste dank der dicken Apothekerin, dass Liebe ein wunderbares Gefühl ist. Aber ich wusste auch, dass der Mechanismus der Liebe aus den Fugen geraten und zum Selbstmord führen kann. Dieser Gedanke sollte mir viele Jahre helfen, nicht zu viel Mitleid mit mir selbst zu haben und die Frustrationen zu unterdrücken.
Zu der Tageszeit, in der die Hunde auf mildere Temperaturen warten, um sich zu paaren, saß ich manchmal unter einem Mangobaum, während Amila de Pontifuis Läuse jagte. „Haare wie du hat niemand“, sagte sie. Sie fing eine Laus und knackte sie zwischen den Zähnen tot. „Haare wie du hat niemand sonst. Ich möchte sie am liebsten ständig kämmen.“ Sie flocht mir zwei dicke schwarze Zöpfe. „Du bist wie eine Schwester für mich; wir werden uns nie trennen, nicht wahr?“. Ich lauschte auf das Pochen meines Herzens. In Amila de Pontifuis’ Gesten lag etwas Aufwühlendes. Wir erzählten einander flüsternd unsere kleinen, kindlichen Geheimnisse, bis es Zeit war, in unsere jeweiligen Küchen zurückzukehren. Während ich Zwiebeln schnitt, mit der Gabel Tomaten für die Soße zerdrückte, überhäufte mich Mama, die kraftlos auf einer Matte lag, mit Ratschlägen: „Man darf auf der Straße die Männer nicht anblicken, das gehört sich nicht.“ Ich legte den Fisch ins brutzelnde Öl. „Es ist ratsam, auf die Heirat zu warten, um sich gewissen Vergnügen hinzugeben.“ Ich setzte Wasser für den Kuskus auf. „Gott hat für jede Frau einen Gatten bestimmt, und eines Tages wird es geschehen, wie Gott es bestimmt hat.“ Ich rührte im Kuskus. „Jungfräulichkeit und Treue sind die schönsten Geschenke, die eine Frau ihrem Gatten in die Ehe bringen kann.“ Manchmal hörte ich ihr aufmerksam zu und stellte kluge Fragen. Andere Male wiederum hörte ich ihr überhaupt nicht zu, dann schloss sie unweigerlich: „Frau sein ist eine schwere Bürde, mein Kind.“

Mama spielte ihre Rolle. Von Treue zu sprechen war natürlich reiner Wahnsinn; Männer wie Frauen kannten diese Gebote bestens, die sie aber nicht im geringsten daran hinderten, fremdzugehen. Und was die Bürde anging, so dachte ich, dass es keine Last gebe, derer man sich nicht entledigen konnte. Ich irrte mich.
Die Zeit verging, und Amila de Pontifuis veränderte sich. Es war in dem Jahr, als wir beide fünfzehn wurden. Zwei Wochen lang kam sie nicht zur Schule. Ich ging vergeblich an ihrem Haus vorbei. Bei ihr gingen ständig Leute ein und aus. (…) Ich traute mich nicht zu nahe ans Haus. Ich fürchtete mich ein wenig vor ihrer Tante, denn offenbar verbrachte diese Frau – laut Papa – die meiste Zeit des Tages eher mit Beinebreitmachen als mit Weinverkaufen. Und weil ich meine Freundin nirgends entdeckte, kehrte ich mit zentnerschwerem Herzen nach Hause zurück.
Eines Nachmittags hatte ich mehr Glück. Die Sonne schien zwischen dem Laubwerk. Die Geräusche des Tages erstarben. Ein mir unbekanntes Mädchen kauerte vor Amila de Pontifuis’ Haus und stopfte ein belegtes Brot in sich hinein. Es war Amila, aber sie sah ganz anders aus. Sie hatte zugenommen. Ihre mit Cremes vitaminisierte Haut war viel glatter, glänzender und auch heller. Sie hatte keine Läuse mehr, und ihr pomadiges und sorgfältig gekämmtes Haar sah nicht mehr aus wie ein verfilzter Wust. Ich sehe heute noch den mit einem Hortensiensträußchen geschmückten gelben Hut auf ihren Knien, ihre weißen Söckchen und ihr rosa gestreiftes Baumwollkleid. (…)
„Was ist mit dir los?“ fragte ich angesichts dieser plötzlichen Veränderung.
„Das Leben kann Spaß machen“, antwortete sie mir.

Ich fragte mich, was ihr wohl solchen Spaß machte. Gab es vielleicht etwas Genüsslicheres als die Ekstase, eine Laus zu erwischen und sie zwischen den Zähnen zu zerknacken?
„Ich hab dir ja immer gesagt, dass ich eines Tages französische Speisen essen würde. Erinnerst du dich? Der Moment naht.“
„Du machst mir Sorgen“, sagte ich. „Deine Tante sollte …“
„Meine Tante glaubt, dass für mich der Moment gekommen ist, mit eigenen Flügeln zu fliegen.“ Sie lachte, breitete die Arme aus, als ob sie davonfliegen wollte.
Ich hatte keine Lust, mich auf solchen Quatsch einzulassen, sondern vielmehr, sie zu fragen, woher sie das viele Geld hatte, um sich solche Kleider zu kaufen. Sie kam mir zuvor:
„Man muss sich zu helfen wissen.“
Es war ein seltsames Gefühl, sie so reden zu hören. Aber da war noch eine Veränderung, eine schreckliche, die mir erst später bewusst wurde und mir geradezu den Atem nahm: Amila de Pontifuis sprach nur noch Französisch!
Als wir uns voneinander verabschiedeten, verging ich vor Hitze, vor Eifersucht und Beschämung. Ich irrte betäubt durch die Gassen. Die Blechdächer breiteten sich wie eine goldflirrende Luftstickerei vor mir aus. Die Menschen und die Dinge waren bloß Rauch. Zwischendurch lüftete ich den Kragen meines Kleides, blies mir etwas Kühle in den Ausschnitt.

Der Abend war mit seiner typischen Brutalität hereingebrochen. Ich hörte die Stimmen der Männer, die von der Arbeit nach Hause kamen. Ich erkannte sie an ihren brennenden Laternen. Es waren Eisenbahner. Einer sagte: „Ein Mann ist noch viel anfälliger als eine Frau in den Wechseljahren.“ Dann sah ich sie zu Madame Kimoto gehen. Die ersten abendlichen Straßenverkäufer packten ihre Plunderklamotten aus. (…) Mütter riefen ihre Kinder. Insekten sirrten. Leuchtkäfer mit gelbem Auge zappelten im Laub. Aus den Küchen drang der Geruch von kwem, von Huhn mit Erdnusssoße oder frittiertem Fisch.
Mir war übel: Ich war mir bewusst, dass das Leben immer weiterschritt und ich eine Außenseiterin blieb. Ich hielt vor unserem Haus an, raufte mich zusammen, bevor ich hineinging, um nicht wie ein von Ängsten gequältes Geschöpf dreinzuschauen.
Beim Abendessen fragte Papa, was ich den Tag über gemacht hatte. Mama sagte, ich sei den ganzen Tag bis Sonnenuntergang zu Hause geblieben. „Sehr gut“, sagte er bloß. Ich widersprach selbstverständlich nicht.

Diese Geschichte ist dem Buch „Perlen Afrikas. Das neue Afrikanissimo-Lesebuch“, Hrsg.: Ruth Kumpmann und Peter Ripken, Serie Piper, München 2000, 173 Seiten, EUR 8,20, entnommen.
Sie ist ein Ausschnitt aus dem Roman „Jenseits von Duala“ von Calixthe Beyala, Schriftstellerin aus Kamerun, der im Verlag Scherz/Fretz & Wasmuth, Bern 1998, erschienen ist.

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