Last und Lust an den Dingen

Von Irmgard Kirchner · · 2005/12

Man kann nicht nicht konsumieren. Nie im Jahr wird das so deutlich wie zu Weihnachten.

Etwa ein Drittel seiner Jahresumsätze macht der Einzelhandel zu Weihnachten. Wir sind gestresst vom Einkaufen. Ein paar Wochen oder Tage später stresst uns die Frage, wohin mit den erhaltenen Geschenken. Unsere vorweihnachtlichen Einkaufstouren werden flankiert von den Plakaten der Müllabfuhr gegen Abfall- und Verpackungsexzesse.
Manche Schenker probieren alternative Strategien, wie Zeit oder Gutscheine zu verschenken. Oder man trifft die Entscheidung, fortan nur mehr Nützliches, echt Alltagstaugliches auf den Gabentisch zu legen. Kritische KonsumentInnen schenken ausschließlich unter fairen Arbeitsbedingungen und ökologisch nachhaltig Produziertes. Doch nur die wenigsten verzichten überhaupt darauf, etwas zu schenken.
Das Geschenk ist, so sagt es das Wörterbuch, eine Gabe, für die man keine Gegenleistung verlangt. In archaischen Gemeinschaften, die nicht für den Markt wirtschafteten, war es ein wesentliches Element für den Zusammenhalt. Das Geschenk verpflichtet den Beschenkten zu zukünftiger Unterstützung. Deshalb kann es unhöflich sein, ein Geschenk sofort zu erwidern. Man sagt damit gewissermaßen: Ich will dir nicht verpflichtet sein, ich will nichts mit dir zu tun haben. Längst sind diese Formen menschlichen Zusammenlebens in die Geschichtsbücher entschwunden. Doch das Geschenk lebt weiter.

Weihnachten ohne Geschenke ist genauso undenkbar wie eine Wirtschaft ohne Wachstum. Und jedes Jahr werden sie mehr. Und immer noch gibt es eine geheime psycho-alchemistische Formel, wie materielle Gaben in soziale Werte umgewandelt werden. Jede Werbung zielt längst nicht mehr auf die handgreiflichen Vorteile eines Produktes, sondern auf meist immaterielle Bedürfnisse, auf ein Lebensgefühl. Weil das wirklich Gute im Leben unbezahlbar und meist gratis ist, jubelt man das, was seinen Wert ausmacht, mit viel Werbeaufwand gewöhnlicher industrieller Massenware unter. Da passt es ganz gut, dass der rot gewandete Weihnachtsmann in seiner heutigen Erscheinungsform eine Erfindung der Coca-Cola-Werbung der 1930er Jahre ist.
Manchmal werden wir auch krank an den vielen Dingen, die uns umgeben. Menschen, die am sogenannten „Messie“-Syndrom leiden, vermüllen ihre Wohnung mit wertlosen, unbrauchbar gewordenen Gegenständen, bis diese selbst unbrauchbar wird. Kaufsucht unterscheidet sich wenig von anderen Suchtkrankheiten.

Ich bekomme gerne Geschenke und kann mich aufrichtig an schönen oder praktischen, originellen und persönlichen Dingen freuen. Zur Last werden mir die Geschenke angesichts des Gedankens, dass es scheinbar keine Alternative zum stetig wachsenden Konsum gibt. Unser weihnachtlicher Gütertausch ist Teil des Wachstumskalküls der Wirtschaft. Echt beunruhigend ist, dass eine Wirtschaft ohne Wachstum anscheinend nicht einmal denkbar ist – wo auch immer auf der Welt dieses Wachstum stattfindet. Es gibt keine Wirtschaftstheorie, die nicht von Wachstum – und damit auch dem Wachstum des persönlichen Konsums – ausgeht. Irgendwo muss irgendwer immer mehr konsumieren. Von den Grenzen, an die wir dabei stoßen werden, ist erst die ökologische bekannt. Und diese Grenzen sind sicher nicht gepolstert.

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