Leitstern der Hoffnung

Von Shuaib Rahim · · 2000/11

Südafrika war das erste Land der Welt, das die Diskriminierung von Homosexuellen mit einem Verfassungsverbot belegte. Sechs Jahre danach versucht New-Internationalist-Autor Shuaib Rahim eine Bewertung: Was hat sich in der Region verändert?

Als ich aufwuchs, war mir klar: Als Moffie (abfällige Bezeichnung für Homosexuelle, Anm. d. Red.) würde ich in die Hölle kommen. Seither hat sich einiges verändert; einiges aber auch nicht.

In Südafrika, wo ich auf die Welt kam, war Sex zwischen Männern ein Verbrechen. Dann, als ich das erste Jahr an der Universität studierte, veränderte sich meine Welt total. Am 27. April 1994 gelang in Südafrika ein relativ friedlicher Wechsel von einem autoritären Regime zur Demokratie. Plötzlich saßen unsere Unterdrücker und unsere Befreier im selben Parlament. Plötzlich hatten wir alle Rechte – auch die Moffies. Die Verfassung von 1994 ergänzte die staatsbürgerlichen Grundrechte um einen Artikel, der Freiheit von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung garantierte.

Doch die schlechten Gesetze waren allesamt noch in Kraft. Wir durften nicht lieben, wen wir wollten. Wir durften nicht sein, wer wir waren. Wir hatten immer noch unsere Schimpfnamen. Und was vielleicht das Schlimmste war, wir galten als un-afrikanisch. Ich begann, unsere Geschichte zu studieren, und stieß auf viele interessante Fakten.

Simon Nkoli war ein großer Held des Befreiungskampfs. Nach seiner Verurteilung im Hochverratsprozess von Delmas 1984 verbrachte Nkoli vier Jahre auf Robben Island, im selben Gefängnis wie Nelson Mandela. Seinen Mithäftlingen gegenüber stand er zu seiner Homosexualität und wurde akzeptiert. Nach seiner Freilassung trug der Kampf für die Rechte von Lesben und Schwulen in Südafrika sein Gesicht. Soll mir nur ja keiner sagen, Simon Nkoli sei nicht in jeder Hinsicht ein Afrikaner.

Was unsere Schwestern angeht, so sind sie ebenfalls eine rein afrikanische Variante. Die berühmte Regenkönigin der Nordprovinzen Südafrikas hält sich einen Harem mit mehr als 20 Frauen, und die bringen ihr nicht bloß Tee! In Kenia ist es anerkannte Praxis, dass zwei verwitwete Frauen sich heiraten, und erst unlängst wurden zwei solche Frauen gesetzlich geschieden.

Ein anderes Argument der VertreterInnen des „Un-Afrikanischen“ lautet, Homosexualität wäre von den europäischen Imperialisten nach Afrika gebracht worden. Eine glatte Lüge: Was die europäischen Imperialisten tatsächlich einführten, war die homophobe Tradition des britischen Rechts. In jedem Winkel des afrikanischen Kontinents gibt es homosexuelle Praktiken, die auf eine Zeit lang vor dem Kolonialismus zurückgehen, etwa dass junge Männer miteinander Beziehungen haben, bevor sie heiraten.

Mit der Kolonisierung wurden den AfrikanerInnen einseitig europäische Moralvorstellungen und Gesetze aufgezwungen. Die meisten einheimischen kulturellen Praktiken wurden als verdorben, unzivilisiert oder teuflisch verurteilt. Dass afrikanische Sitten, die im europäischen Kontext als „homosexuell“ gelten würden, als rechtswidrig und unmoralisch gesehen wurden, war eine natürliche Folge des Kolonialismus.

Offenbar begriffen viele südafrikanische PolitikerInnen, dass diese These des „Un-afrikanischen“ ein Unsinn war, und schon bald nach 1994 kam es zu drastischen Gesetzesänderungen. Zumeist waren sie von der National Coalition for Gay and Lesbian Equality vorangetrieben worden, einer 1994 gegründeten Organisation. Die Coalition ging zweimal bis zum Verfassungsgerichtshof und setzte durch, dass gleichgeschlechtliche Sexualität 1997 entkriminalisiert und gleichgeschlechtliche PartnerInnen von SüdafrikanerInnen das Recht auf eine permanente Aufenthaltsgenehmigung erhielten. Zu den weiteren bemerkenswerten Erfolgen der Coalition gehören das Recht auf Hinterbliebenenpensionen, auf Krankenversicherung, auf den Dienst in den Streitkräften in jeder Position, Freiheit von Diskriminierung am Arbeitsplatz und Schutz vor häuslicher Gewalt.

Südafrika ist zu einem Leitstern der Hoffnung für Schwule und Lesben in Afrika geworden. In unserer unmittelbaren Nachbarschaft haben wir homophobe Regime, etwa in Simbabwe unter dem Tyrannen Robert Mugabe, unter Sam Nujoma in Namibia und Yoweri Museveni in Uganda. Aber die Reformen in Südafrika haben Gay-AktivistInnen in afrikanischen Ländern mehr gebracht als nur Hoffnung.

Gesetzliche Entwicklungen in Südafrika können sich in der ganzen Region auswirken, insbesondere über die Entwicklungsgemeinschaft Südliches Afrika (SADC), eine regionale Organisation etwa nach dem Muster der Europäischen Union. Über gewerkschaftliche Kooperation kam es etwa dazu, dass der Schutz von Lesben und Schwulen am Arbeitsplatz überraschend auch ins namibische Recht aufgenommen wurde, obwohl männliche Homosexualität in Namibia dem Papier nach weiter verboten ist.

Zurück zu Südafrika. Wie gesagt hat sich vieles verändert, aber vieles ist auch gleich geblieben. Die meisten SüdafrikanerInnen sind arm. Viele haben keine feste Unterkunft oder keine Arbeit. Viele lesbischen und schwulen SüdafrikanerInnen leben in Elendsvierteln. Dort herrscht hohe Kriminalität, und von Rechten von Lesben und Gays sowie von Menschenrechten im allgemeinen kann nur geträumt werden. Jeden Tag werden Lesben in diesen Townships vergewaltigt. Schwule werden von Gangstern als „weiche Ziele“ attackiert.

Das Gay and Lesbian Legal Advice Centre (GLLAC) befasst sich alljährlich mit 600 Einzelfällen, und die Palette der Probleme reicht von arbeitsrechtlichen Fragen bis zu häuslicher Gewalt. Aber Organisationen wie das GLLAC stehen gewaltig unter Druck. Als einzige Organisation dieser Art in Afrika leidet sie unter MitarbeiterInnenmangel und extremen finanziellen Problemen. Im Post-Apartheid-Südafrika haben viele Sponsoren ihre Finanzierung eingestellt und unterstützen die Regierung direkt. Gleichzeitig ist die Regierung nicht bereit, Organisationen wie dem GLLAC Geldmittel zur Verfügung zu stellen.

Die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen ist ein Meilenstein in der Geschichte jedes Landes, wo dies gelingt. Aber es ist immer nur ein Anfang und kein Ende. Verfassungsmäßige Gleichheit löste einige Probleme, aber nicht alle. Viele müssen sich immer noch fragen: „Wo werde ich heute schlafen? Werde ich morgen etwas zu essen haben? Werde ich auf dem Heimweg vergewaltigt werden?“. Und ich weiß noch immer nicht, ob ich in die Hölle muss.

copyright New Internationalist

Der Menschenrechtsaktivist und Schriftsteller Shuaib Rahim ist Koordinator des Africa Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender Network von Amnesty International. Er lebt in Port Elizabeth.

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