Lesen in Zeiten von Corona

Von Rudi Lindorfer · · 2020/Mai-Jun

Auch in der „neuen Normalität“ der nächsten Monate im Zuge der Corona-Pandemie bleibt wohl mehr Zeit für Lektüre. Eine Empfehlungsliste mit reichhaltiger geistiger Nahrung.

Von Rudi Lindorfer

Der Maler Henri Matisse (1869-1954) formulierte es einst so: „Es gibt überall Blumen für den, der sie sehen will“. Sonja Schiff, akademische Gerontologin, also Altersforscherin, aus Salzburg hat unter diesem Motto ein Buch für die Corona-Zeit zusammengestellt: in Corona – Nichts wird mehr sein wie es war. 17 Geschichten, die jetzt Mut machen (story.one publishing, Wien 2020, 79 Seiten, € 14) erzählen Menschen von Begegnungen und Überlegungen, die Hoffnung machen. Die ProtagonistInnen heben die Solidaritätswelle in dieser Krise hervor. Und sie reflektieren sich selbst, bemerken, wie sehr sie mit Vorurteilen behaftet sind und wie wenig sie vor Corona auf die kleinen Freuden des Lebens geachtet haben.

Bedrohende Krankheit. Hellseherische Fähigkeiten könnte man dem ehemaligen Börsenhändler Uwe Laub zuschreiben, wäre die in seinem Roman Leben (Heyne, München 2020, 383 Seiten, € 15,50) Tiere und Menschen hinwegraffende Krankheit nicht von einem Pilz ausgelöst worden. Seine Intention ist es, auf das reale, oft ignorierte Artensterben aufmerksam zu machen.

Unangetastetes Vogelfutter in seinem Garten führten den Autor zu Recherchen über Biodiversität. Er kam zum Schluss, dass wir die Ersten in der Geschichte der Menschheit sind, die Zeugen eines Massenaussterbens werden. Denn laut Weltbiodiversitätsrat sind eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Seine Recherchen verarbeitete Laub zu einem Thriller, der mehr als spannende Unterhaltung zu bieten hat.

Wer diese Tage mit grenzenlosem Lesevergnügen verbringen will, greife zu Die Jakobsbücher (Untertitel: Eine große Reise über sieben Grenzen, durch fünf Sprachen und drei große Religionen, die kleinen nicht mitgerechnet; Kampa Verlag, Zürich 2019, 1.184 Seiten, € 43,20) der polnischen Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk: Ein Roman mit historischem Hintergrund, der Bezüge zur Gegenwart herstellt und zu Vielfalt und Toleranz aufruft, inklusive turbulenter Handlung, schrägen ProtagonistInnen und ans Herz gehenden wie auch humorvollen Passagen. Obwohl die Handlung in einem polnischen Städtchen angesiedelt ist, birgt er die ganze Welt in sich.

Ein Kleinod im Sinne von Qualität (und nicht der Seitenanzahl wegen) ist Christoph Ransmayrs sehr persönliches Buch Arznei gegen die Sterblichkeit. Drei Geschichten zum Dank (S. Fischer, Frankfurt am Main, 2019, 64 Seiten, €12,40).

Ransmayrs Büchlein ist ein komprimiertes, anteilnehmendes, treffendes Werk über Kolonialismus. Der oberösterreichische Schriftsteller schafft es allen Ernstes, dass wir uns in die Altsteinzeit im südafrikanischen Bergland versetzen und dann in die Gegenwart, in den Festsaal eines barocken Rathauses. Das Ergebnis dieser Reise ist verblüffend und empfehlenswert.

Fakt oder Fiktion? In Harte Jahre (Suhrkamp, Berlin 2020, 411 Seiten, € 24,70) knüpft der peruanische Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa an die Tradition der großen lateinamerikanischen Literatur an. Meisterhaft verwebt er Realität und Fiktion, um das nach Demokratie strebende Guatemala zu beschreiben. 1954 gerät das Land ins Fadenkreuz der US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen, speziell in das des mächtigen Konzerns United Fruit Company (heute Chiquita Brands International). Eine sehr geschickt eingefädelte menschenverachtenden Lügenpropaganda geht auf. Der Romanhandlung setzt der Nobelpreisträger ein Vorwort mit Fakten vor. Zum Glück: Ansonsten wäre man versucht, die Handlung für Fantasie oder eine Verschwörungstheorie zu halten.

Gioconda Bellis Ich bin wie ein weites Land (Peter Hammer, Wuppertal 2020, 144 Seiten, € 20,60) ist eine Sammlung von Schriftstücken aus zwei Jahrzehnten. Interviews stehen neben Texten zu Politik und Erotik, zu Feminismus und selbstverständlich zu Nicaragua, dem Heimatland der Autorin. Es seien „Erinnerungen, die ich bisher für mich behalten habe“, so Belli. „Das Unmögliche zu wollen, ist nie falsch. Es ist eine Art und Weise, die triste Wirklichkeit herauszufordern, die uns so oft mutlos zu machen droht.“ In diesem Sinne, interessante Lektüre und gute Gesundheit.

Rudi Lindorfer von der Südwind Buchwelt ist unser Buchhändler des Vertrauens.

Diese Bücher und noch viele mehr sind erhältlich auf: www.suedwind-buchwelt.at

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