Der Inselstaat Sri Lanka schlägt mit Anura Kumara Dissanayake als neuem Präsidenten einen linken Weg ein.
In Colombo, der Hauptstadt Sri Lankas, erinnert kaum noch etwas an die heftigen Bürger:innenproteste vor zwei Jahren. Damals besetzten Protestierende die prächtige Uferpromenade Galle Face sowie Regierungsgebäude. Sie waren wütend auf die politische Führung und deren wirtschaftliches Missmanagement. Sie buhten die damaligen Machthaber:innen aus und riefen zu ihrem Rücktritt auf. Das Land befand sich zu dieser Zeit in einer tiefen Krise.
Es war offensichtlich, dass sich viele nach einem Neuanfang sehnten – doch sie mussten bis zum September 2024 ausharren, um an der Wahlurne für eine neue Ausrichtung des Inselstaates stimmen zu können. Es war der einstige politische Außenseiter Anura Kumara Dissanayake vom linken Bündnis NPP/JVP, der sich bei den Präsidentschaftswahlen mit über 40 Prozent der Stimmen durchsetzte. Sein Erfolg hatte sich bereits in Umfragen abgezeichnet.
Links abbiegen. Und auch aus den von Dissanayake vorgezogenen Parlamentswahlen im November ging die National People’s Power (NPP), deren Symbol ein Kompass ist, als stärkste Kraft hervor. Damit haben die Wählenden den neue Kurs Sri Lankas, der nun ohne eine Führungsspitze aus der alten Elite auskommt, eindrucksvoll bestätigt. Auf Singhalesisch, Tamilisch und Englisch bedankte sich der 56-jährige Präsident bei allen, die für eine „Renaissance“ Sri Lankas gestimmt haben.
Mit Dissanayake, auch AKD genannt, hat Sri Lanka nun erstmals ein stark linksgerichtetes Staatsoberhaupt. An seiner Seite hat er die Parteikollegin, Harini Amarasuriya, eine Soziologin, als Premierministerin. Im neuen Parlament verfügt die NPP mit 159 von 225 Abgeordneten über eine Zweidrittelmehrheit. Viele der gewählten NPP-Abgeordneten werden zum ersten Mal im Parlament sitzen, eine Reihe altgedienter Politiker:innen wurde abgesetzt. Mit insgesamt 21 Parlamentarierinnen, davon 19 von der NPP, sind zudem erstmals so viele Frauen wie noch nie zuvor vertreten.
Geschwächter Ex. Das Oppositionsbündnis Vereinte Volksmacht (SJB), angeführt von Sajith Premadasa, dem Sohn des ehemaligen Präsidenten Ranasinghe Premadasa, erhielt 40 Sitze. Die tamilische Partei ITAK errang acht Sitze, die SLPP von Ex-Präsident Gotabaya Rajapaksa nur drei. Doch die NPP wird beweisen müssen, wie sie Sri Lanka aus der Misere führen kann, die durch die Anschläge zu Ostern 2019, die Pandemie und Fehlinvestitionen ihrer Vorgänger:innen verursacht wurde.
Dissanayake und die NPP haben ein „klares Mandat für den Wandel“ bekommen, bestätigt die politische Beobachterin Bhavani Fonseka: „Man kann nur hoffen, dass Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden und dass es einen politischen Willen, eine politische Führung für progressive Reformen und einen Systemwechsel gibt.“
Bei den Parlamentswahlen 2019 war Dissanayake mit der Partei Volksbefreiungsfront Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) nur auf drei Prozent gekommen. Fünf Jahre später sind es mit dem Bündnis NPP über 60 geworden. „Dissanayake ist der erste Präsident Sri Lankas, der ein Mann des Volkes ist“, sagt Paikiasothy Saravanamuttu, Direktor des Centre for Policy Alternatives in Colombo. Er beschreibt ihn als beliebten Präsidenten, der ein absoluter Pragmatiker sei, aber kein Marxist, auch wenn sich die JVP als marxistische Partei bezeichnet.
Erfolg bei Jungen. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Sohn eines Arbeiters schaffte den Sprung an die Universität und engagierte sich in der Hochschulpolitik. Während des Bürgerkriegs (1983-2009) schloss er sich der kommunistischen Volksbefreiungsfront (JVP) an. Diese begann 1971 und 1987 Guerillakriege gegen den sri-lankischen Staat, die zehntausende Todesopfer forderten. Das ist in der älteren Bevölkerung zwar nicht vergessen, konnte aber den Sieg von Dissanayake und der NPP nicht verhindern. Dafür hat er sich in der Vergangenheit auch entschuldigt.
Sri Lanka
Hauptstadt: Colombo
Fläche: 65.610 km2 (gut 3/4 der Fläche Österreichs)
Einwohner:innen: ca. 23 Millionen, davon sind fast 75 Prozent (buddhistische)Singhales:innen, ansonsten (hinduistische) Tamil:innen, (muslimische) Moors und Malai:innen, (christliche) Burgher:innen, indigene Veddas
Human Development Index (HDI): Rang 78 von 193 (Österreich 22)
BIP pro Kopf: 3.827,9 US-Dollar (2023, Österreich: 56.506 US-Dollar)
Regierungssystem: Republik mit Präsidialsystem
Was ihm noch gelungen ist: Er hat in der muslimischen sowie der tamilischen Minderheit als Singhalese zahlreiche Befürworter:innen gefunden. Der 62-jährige Gunavijayah Cassim, der aus dem Süden Sri Lankas kommt, hat Dissanayake zwar nicht gewählt, sagt aber über ihn: „AKD hat betont, dass seine Partei keine Religionsgemeinschaft bevorzugt“. Dass er verspricht, Politik nicht nur für die Singhales:inneen im Süden, sondern auch für die tamilische Bevölkerung im Norden zu machen, zeigte Wirkung.
Diese Aussage ist vor allem vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Regierung Rajapaksa (SLPP), die zuvor die Wahlen gewonnen hatte, bis sie 2022 durch Massenproteste aus den Ämtern des Premiers und des Präsidenten gejagt wurde (siehe SWM 6/2022), besonders auf buddhistischen Nationalismus gesetzt hatte. Jetzt wurde die Wahl „vor allem durch das Narrativ der Korruptionsbekämpfung und wirtschaftliche Fragen entschieden“, meint der sri-lankische politische Beobachter Rohan Samarajiva. AKDs Anti-Korruptionsbotschaften kamen insbesondere bei den jungen Wähler:innen gut an.
Weg von Autokratie. „Viele wollten, dass eine andere politische Partei als die SLPP gewinnt. Eine, die für eine gerechte und faire Gesellschaft steht”, sagt Chanika Jayakaduwa, die sich damals aktiv an den Protesten beteiligte. Sie war entsetzt über den Luxus, den Präsident Rajapaksa und seine Familie genossen: „Die teure Kleidung, der Schmuck, den wir im Präsidentenpalast vorfanden, machte uns fassungslos. Die Armen können sich nicht einmal drei Mahlzeiten am Tag leisten”, sagt sie.
Die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, hatte sich infolge der Corona-Pandemie und Wirtschaftskrise verdoppelt. Allerdings erholt sich das Land zunehmend. Das liegt wohl auch an dem Deal, den Übergangspräsident Ranil Wickremesinghe mit dem Internationalen Währungsfonds IWF zur Tilgung der Auslandsschulden ausgehandelt hatte.
Mit diesen Wahlen hat Sri Lanka, das sich noch vor wenigen Jahren auf dem Weg in die Autokratie befand, einen massiven Wandel vollzogen. Die buddhistisch-nationalistische SLPP, die über 145 Sitze verfügte, hat viele davon an die NPP verloren. „Das ist ein starkes Symbol der Hoffnung, des Vertrauens und der Einheit in unserem Land“, kommentiert der ehemalige Außen- und davor Finanzminister Ali Sabry den Sieg. Er wertet die Wahl als „einen Aufruf zur Solidarität“ zwischen den verschiedenen Ethnien und Religionsgemeinschaften im Land.
Jetzt muss der neue Präsident noch die Wirtschaft überzeugen, dass sein Kurs nicht zu radikal wird. Einer Fortführung des harten Sparkurses des IWF hat seine Regierung bereits zugestimmt.
Natalie Mayroth teilt ihre Zeit als Journalistin zwischen Südasien und Europa. Sie berichtete aus Sri Lanka über die Osteranschläge 2019, die Massenproteste 2022 sowie die Präsidentschaftswahlen 2019 und 2024.
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