Machtkampf in Brasilien

Von Redaktion · · 2016/05

Ein Intrigenspiel statt politischer Auseinandersetzung findet derzeit im größten Land Lateinamerikas statt, analysiert Andreas Behn.

Brasilien, das einstige Boomland, das noch vor fünf Jahren weltweit als Vorbild für Stabilität und nachholende Entwicklung galt, scheint plötzlich in zwei Lager gespalten, die einander erbittert bekämpfen und eine schwere politische Krise ausgelöst haben. Die konservative Opposition, zahlreiche abtrünnige Koalitionspartner und Millionen auf den Straßen machen Präsidentin Dilma Rousseff für alles Unheil im Land verantwortlich: Wirtschaftskrise, Korruption, Führungslosigkeit. Deswegen soll sie 18 Monate nach ihrer Wiederwahl aus dem Amt gedrängt werden, egal wie. Die regierende Arbeiterpartei PT und ihre treueste Basis, die Gewerkschaften, halten dagegen. Die Regierung wirft ihren Gegnern mittlerweile vor, einen Staatsstreich zu betreiben.

Demokratie versus Amtsenthebungsverfahren. Diese Kritik kommt von immer mehr sozialen Bewegungen, KünstlerInnen und Intellektuellen bis hin zu linken Oppositionsparteien. Viele davon sind zwar nach wie vor gegen Rousseffs eher liberalen Wirtschaftskurs, aber sehen sich im Konsens vereint, dass der Rechtsstaat und die Demokratie unter allen Umständen gegen den Umsturzversuch verteidigt werden müssen.

Das Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin ist derzeit der gangbarste Weg für die Opposition, um die Machtposition zu besetzen, die ihr die WählerInnen im Oktober 2014 nicht anvertrauten. Nachdem mehr als zwei Drittel der Abgeordneten Mitte April für das Verfahren stimmten, wird es wahrscheinlich gelingen, Rousseff unter fragwürdigen Vorwürfen aus dem Amt zu drängen. Das wird keine Probleme lösen, aber die Polarisierung, die schon bei der letzten Wahl richtig feindselige Züge annahm, vertiefen.

Andreas Behn, Journalist und Soziologe, lebt seit über zehn Jahren in Rio de Janeiro und berichtet seit 2012 für verschiedene Medien aus der Region.

Neue Methode. Doch was macht die beiden Lager aus? Ist es wirklich eine neue Spaltung, das Aufeinandertreffen von Positionen, die so vorher in Brasilien nicht bestanden? Bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass das Neue vor allem im Vorgehen, in der Methode der politischen Auseinandersetzung liegt, aber kaum in den Positionen und politischen Inhalten.

Auf der einen Seite steht eine schwache Regierung, die von ihrer eigenen Basis kaum noch unterstützt wird, die zahlreiche Fehler gemacht, widersprüchliche Entscheidungen getroffen und es versäumt hat, mit der Gesellschaft und ihren Institutionen einen Dialog zu führen. Das ist zwar tragisch, aber nichts wirklich Neues – ein Zustand, der bei der nächsten Wahl problemlos korrigiert werden könnte.

Auf der anderen Seite steht eine rechtskonservative Offensive, die offenbar genau dies vermeiden und die Macht an sich reißen will. Ihre Kampagne verzichtet fast durchgängig auf eigene Inhalte und zitiert stattdessen immer nur die vermeintlichen Fehler der Regierung und der PT. Wenn Positionen bezogen werden, dann altbekannte je nach Parteibuch, die von neoliberalen Wirtschaftsprogrammen bis zum Appell für ein Eingreifen des Militärs reichen. Die angebliche Kritik an Korruption, die die Medien der Kampagne andichten, ist geradezu ein Hohn: Zig Abgeordnete, unter ihnen der Scharfmacher und Parlamentspräsident Eduardo Cunha, stehen wegen Korruptionsverbrechen vor Gericht und dürfen über eine Präsidentin richten, gegen die kein einziges Strafverfahren läuft.

Medien ergreifen Partei. Es sind die alten Eliten, die jetzt die Schwäche der Regierung nutzen wollen, um endlich, nach über zwölf Jahren PT, wieder an die Macht zu gelangen. Wichtigste Helfer dabei sind nicht politische Institutionen, sondern die völlig einseitige Presse und Teile der Justiz, die erklärtermaßen auf politische Unabhängigkeit verzichten. Vorbehalte gegen die PT von oben, aber auch in anderen, wertkonservativen Schichten gab es immer. Der Unterschied ist, dass diese Kritik kontinuierlich aufgebauscht und medial angeheizt wird. Es ist nicht die öffentliche Meinung, sondern die veröffentlichte. Und mittlerweile ist diese Stimmung in Hass umgeschlagen.

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