„Männer sind die Norm“

Von Redaktion · · 2011/03

Die Pakistanerin Mossarat Qadeem sensibilisiert die Bevölkerung konservativer Stammesgebiete in Pakistan für die Wichtigkeit reproduktiver Gesundheit von Frauen. Konservative Extremisten davon zu überzeugen ist dabei nicht die schwierigste Aufgabe, erklärte sie Michaela Krimmer.

Südwind Magazin: Wie schaut ihre Arbeit zu reproduktiver Gesundheit in Pakistan aus?
Massarat Qadeem:
Das ist ein sehr schwieriges und sensibles Thema, vor allem in den Regionen, in denen wir arbeiten, der FATA-Region, den Federally Administered Tribal Areas, den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung. Diese sind sehr konservativ, sehr abgelegen und sehr zurückgeblieben. Das ist kein Vergleich zu der Lebensrealität der Bewohnerinnen und Bewohnern von Städten wie Islamabad oder Lahore, in denen die Menschen ein vergleichsweise liberales und weltoffenes Leben führen. Reproduktive Gesundheit ist in diesen Regionen kein Thema, das eine besondere Beachtung verdient hätte. Mütter- und Kindersterblichkeit ist dort alltägliche Realität.

Welche Rolle spielen die Taliban in den Stammesgebieten?
Von dieser Gegend berichteten die Medien erst, als Extremisten dort, vor allem im Swat-Tal, die Kontrolle übernahmen. Als Erstes vertrieben sie alle Ärztinnen aus ihrem Amt, brannten die Mädchen-Schulen nieder und verboten den Frauen, ohne männliche Begleitung aus dem Haus zu gehen. Das war eine Katastrophe für den Gesundheitszustand von Frauen. Deswegen ist unser erster Schritt, die Geistlichen vor Ort zu sensibilisieren, denn auf sie hören auch die Extremisten. Dabei reden wir nie von Frauengesundheit oder Frauenrechten. Wir reden immer von den Anliegen deiner Tochter, deiner Mutter, deiner Schwester, deiner Ehefrau. Es geht um die Gesundheit der Ehefrau des Mannes, und dass sie gesunde Kinder gebären kann und selbst gesund bleibt. Dafür gibt es Verständnis.

Doch das größte Hindernis sind manchmal gar nicht die Männer. Die Schlüsselfiguren für die Gesundheit der Frauen sind die Schwiegermütter. Sie sind die Chefinnen im Haus. Sie lassen ihre Schwiegertöchter oft nicht aus dem Haus, damit sie zum Arzt gehen können, schikanieren sie, etc. Wenn wir die Schwiegermütter von der Wichtigkeit der reproduktiven Gesundheit überzeugen können, wird vieles besser. Aber das ist harte Arbeit.

Wie steht der pakistanische Staat der reproduktiven Gesundheit gegenüber?
Sehr positiv und es gibt auch Geld dafür, an den Maßstäben eines armen Landes gemessen. Wichtig ist es jedoch, auch Frauen auf der Entscheidungsebene zu inkludieren. Die mentale und psychologische Gesundheit von Frauen ist eng mit ihrer reproduktiven Gesundheit verbunden. Und genau dieser Aspekt wird von der Mehrheit der Gesundheitsinitiativen nicht bedacht, vor allem in den Krisenregionen Pakistans. Ein Beispiel: Während der Übernahme des Swat-Tals durch Extremisten flohen zigtausende Menschen. Unter den Flüchtlingsfrauen schätzte man die Zahl der schwangeren Frauen auf 70.000. Stellen Sie sich das vor! Diese Frauen haben spezielle Bedürfnisse, wenn sie in einem Flüchtlingslager sind. Doch daran denkt niemand. Alles ist nur auf „normale“ männliche Bedürfnisse abgestimmt. Männer sind die Norm. Und Tatsache ist: In Pakistan gibt es immer irgendeine Katastrophe, wie die Flutkatastrophe vor Kurzem. Deswegen muss bei der humanitären Hilfe der Aspekt der reproduktiven Gesundheit von Frauen von vornherein immer mitbedacht werden.

Was wären solche speziellen Bedürfnisse?
Das beginnt bei ganz simplen Sachen. Als ich die Leitung eines Flüchtlingscamps während der Invasion des Swat-Tals beraten habe, habe ich dem Leiter des Katastrophenteams gesagt, dass wir unbedingt Binden für an die 15.000 Frauen im Lager bräuchten, sonst ständen wir bald vor einem großen hygienischen Problem. Das stieß auf Unverständnis. Etwas später verstand mich das Team und bestellte von sich aus 200.000 Binden für das Lager. Das heißt, es müssen schon auf der planenden Ebene und auf der Ebene, auf der Entscheidungen getroffen werden, Frauen einbezogen werden, um das Thema der reproduktiven Gesundheit zu inkludieren.

Was kann die internationale Gemeinschaft tun?
Da gibt es viel. Finanzielle Unterstützung ist immer willkommen. Doch auch ein realistischeres Bild unseres Landes ist uns wichtig. Politisch gemäßigte Menschen sind die große Mehrheit in Pakistan und wir haben eine starke, aktive Zivilgesellschaft, doch unser Land wird nur noch als Hochburg der Extremisten gesehen. Das Image von Pakistan ist katastrophal. Das ganze Land leidet. Das Schlimmste ist die Angst. Wir sind nicht ständig Gewalt ausgesetzt. Aber die ständige Unsicherheit, dass etwas passieren könnte, zermürbt die Psyche jedes Einzelnen. Man meidet gewisse Plätze, geht so wenig wie möglich außer Haus, denn es könnte eine Bombe explodieren oder sonst etwas geschehen. Die Unsicherheit lastet schwer auf uns.

Mossarat Qadeem war auf Einladung der Österreichischen Stiftung für Weltbevölkerung im Jänner in Wien.

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