Mafia-Krieg

Von Dominic Johnson · · 1999/07

Der Krieg im Kongo ist kaum noch politisch zu verstehen und wird auch immer weniger politisch begründet. Die ausgeplünderte Bevölkerung ist unter Kontrolle der Rebellen

„Zuerst wurde die Diözese von den Regierungstruppen verwüstet, dann von den Rebellen. Der Bischofssitz und die Büros sind völlig zerstört. In zahlreichen Gemeinden ist es genauso. Wir müssen alles wiederaufbauen.

Aber wir haben weder die Mittel noch das Geld dazu. Die Straßen sind unpassierbar; wir müßten Ziegelsteine und Mörtel mit dem Flugzeug hereinholen, aber das ist schrecklich teuer. Wir müssen warten, bis der Krieg vorbei ist.“

Die Schilderung von Paul Mambe Mukanga, Bischof der ostkongolesischen Stadt Kindu, ist typisch für die Lage in der Demokratischen Republik Kongo nach nahezu einem Jahr Krieg. Ob auf Seiten der Regierung von Laurent Kabila oder auf Seiten der Rebellenbewegungen RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) und MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung) – überall ist das wirtschaftliche Leben zum Erliegen gekommen. Produziert wird so gut wie nichts mehr. Die Infrastruktur des Landes – die schon zu Zeiten des Diktators Mobutu, als das Land noch Zaire hieß, katastrophal verfallen war – ist so gut wie verschwunden.

Eine gigantische Kluft hat sich aufgetan zwischen einer schmalen Gruppe von Mächtigen und dem großen Rest der Bevölkerung. Die Elite hat Zugang zu Flugzeugen und Satellitentelefonen; sie kann Kontakte im Ausland pflegen und Handel treiben. Ausschließlich unter ihren Mitgliedern toben die immer unübersichtlicheren Rivalitäten und Hahnenkämpfe, die nach außen als Kampf zwischen den politischen Gruppen des Kongo dargestellt werden.

Die große Masse der Bevölkerung muß zur Subsistenzwirtschaft und zum Tauschhandel zurückkehren und erkennt sich zunehmend in keiner der zahlreichen politischen Strömungen des Landes mehr wieder.

Kongos Krieg ist im Grunde ein Mafiakrieg, in dem jeder Boss sich im Ausland seine Freunde kauft und langfristig der überlebt, der Rivalen und Verbündete am besten übers Ohr haut. Die Regierung Kabila hat ihre Hilfe aus Angola, Simbabwe, Namibia und Tschad teuer bezahlt, indem sie simbabwischen Geschäftsleuten die Führung des größten Bergbaukonzerns Gecamines übergab. Um aber die reichen Bergwerke der Gecamines wieder zum Laufen zu bringen, wären Milliardeninvestitionen nötig.

Uganda und Ruanda, die rivalisierende Rebellengruppen gegen Kabila unterstützen, bedienen sich freimütig an Edelhölzern und Mineralien – und untergraben damit die Legitimation der Rebellen, die von der Bevölkerung zunehmend als Gehilfen der Ausplünderung kritisiert werden.

Selbst in der Hauptstadt Kinshasa, noch immer am besten versorgt, werden Güter des täglichen Bedarfs immer rarer und teurer, weil der Handel zwischen verschiedenen Provinzen zum Erliegen gekommen ist.

Mitte Juni fiel sogar die Trinkwasserversorgung aus: Das Chlor zur Desinfizierung des Wassers war ausgegangen, und die Behörden hatten große Mühen damit, Flugzeuge zu finden, um Reserven aus anderen Landesteilen heranzuschaffen.

So wird Kongo zum Flickenteppich, eine größere und explosivere Version Somalias, wo es ja schon seit acht Jahren keinen richtigen Zentralstaat mehr gibt. Vor allem weitab der Kriegsfront, wo die Milizen der diversen Lager herrschen, ist der Zerfall staatlicher Autorität weit fortgeschritten. Allein in Kisangani, der größten Stadt unter Rebellenkontrolle, gibt es vier verschiedene bewaffnete Formationen, die die Metropole in Einflußzonen aufgeteilt haben und sich gegenseitig bekriegen. Auf dem Land üben Warlords die Kontrolle aus.

Für die Bevölkerung ist dieser Zustand mit seinen alltäglichen Brutalitäten und Massakern viel schlimmer als der reguläre Krieg zwischen RCD-Rebellen und Kabila-Truppen, der ja in Wahrheit zumeist rein zwischen Fremden ausgetragen wird – zum Beispiel zwischen den Armeen Ruandas und Simbabwes.

Einrichtungen des Bildungs- und Gesundheitswesens liegen darnieder. Die völlige Abwesenheit gesellschaftlicher Strukturen in weiten Gebieten begünstigt die Ausbreitung tropischer Krankheiten wie des Marburg-Virus, der dem berüchtigten Ebola-Virus ähnelt und erst kürzlich unter Wanderarbeitern in den Bergwerken des Nordost-Kongos wütete.

„Die Bevölkerung lebt in einem Klima der Angst und weiß nicht mehr, welcher Autorität sie sich unterwerfen soll“, berichtet eine Nichtregierungsorganisation aus der Küstenregion am ostkongolesischen Tanganyikasee.

In einer gemeinsamen Erklärung gesellschaftlicher Gruppen der ostkongolesischen Kivu-Provinzen wird die Lage so beschrieben: „Die Bewohner des Kivu, ausgelaugt, frustriert und am Ende ihrer Kräfte, haben den bitteren Eindruck, daß die politischen Verantwortlichen der beiden Kriegsparteien sich nicht um die Zivilbevölkerung kümmern. Sie finden sich zwischen Hammer und Amboß wieder, eingezwängt zwischen zwei feindlichen Kräften. Der Krieg im Kongo ist ein schmutziger Krieg. Er wird von keinem Ideal getragen und respektiert kein moralisches Prinzip.“

Sich bei irgendjemandem als bewaffneter Kämpfer zu verdingen ist in dieser Situation für einfache Bauern oft der einzige Weg, überhaupt Zugang zu den Machtstrukturen zu erhalten. Die Ausbreitung von Milizen geht quer durch die Kriegsfronten. Selbst tief im Rebellengebiet sind sogenannte „Mai-Mai“-Milizen aktiv, die von Kabila als eigene Streitkräfte unter dem Namen „Volksselbstverteidigungstruppen“ reklamiert werden.

Es handelt sich um ehemalige traditionelle Stammesmilizen, die ursprünglich in den Bergregionen des östlichen Kongo als Widerstandsgruppen gegen ruandische EinwandererInnen entstanden und Jugendliche mit Initiationsriten und Unverwundbarkeitsritualen rekrutierten.

Inzwischen sind sie zu tribalen Milizen herangewachsen, die zum Teil eine reguläre Schulung erhalten haben und von Politikern der Elite mit Waffen versorgt werden.

Die Armeen Ruandas und Ugandas rekrutieren ihrerseits kongolesische Jugendliche, denen sie in Schnellkursen einige militärische Fähigkeiten beibringen. Die Regierung Kabila griff bereits zu Beginn des Krieges zu diesem Mittel, als sie ihre mangelnde Unterstützung in der Bevölkerung dadurch kompensierte, daß sie zum „Volkskrieg“ gegen die „ugandischen und ruandischen Besatzer“ aufrief.

Zu Tausenden sind seitdem halbausgebildete Jugendliche an die Fronten geschickt und in die Armee aufgenommen worden.

Jetzt erst, ein knappes Jahr später, verkündete die Regierung den Stopp der Anwerbung von Kindersoldaten. Aber dennoch wächst im Kongo mit seinen 40 Millionen EinwohnerInnen eine Generation heran, die politische Stabilität und gesellschaftliche Ordnung nie erfahren hat und sie aufgrund der chaotischen Vergangenheit des Landes auch oft nicht einmal vom Hörensagen kennt.

Der Autor ist Afrika-Redakteur der Berliner Tageszeitung „taz“.

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