MEHR WELT, WENIGER BANK – Macht und Torheit

Von Redaktion · · 2004/06

Ungewählt, unnahbar, unhaltbar: New Internationalist-Redakteur Chris Brazier porträtiert den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank.

Wenn wir in den letzten 25 Jahren etwas hatten, was am ehesten einer Weltregierung gleich kam, dann nicht die USA – obwohl sie dazu neigen, sich so zu verhalten. Auch nicht die UNO, die noch immer wenig erfolgreich versucht, sich Geltung zu verschaffen, während sie mit einer Entscheidungsstruktur in das 21. Jahrhundert stolpert, die auf der Machtpolitik von 1945 beruht. Es war vielmehr eine unzugängliche, nicht demokratisch legitimierte Organisation, die unter die Kontrolle von Fundamentalisten geriet – die sich damit die Möglichkeit verschafft haben, die Wirtschafts- und Sozialpolitik beinahe jedes Landes der Welt zu diktieren: der Internationale Währungsfonds (IWF) mit Sitz in der US-Hauptstadt Washington.
Sowohl seine weltweite Macht als auch seine erschreckende Bilanz des Missbrauchs dieser Macht sollte einer der größten Skandale unserer Zeit sein. Fragt man jedoch PassantInnen in irgendeinem Stadtzentrum der reichen Welt nach ihrer Meinung zum IWF, wird man wahrscheinlich auf völlige Verständnislosigkeit stoßen. Stellt man die selbe Frage Menschen in armen Ländern, wird man wahrscheinlich eine ganz andere, weit informiertere Antwort erhalten – von BäuerInnen in Ostafrika bis zu LadenbesitzerInnen in Ostasien. Und sollte man diese Befragung gar in Accra (Ghana) oder im argentinischen Buenos Aires durchführen, wäre man gut beraten, den Eindruck zu vermeiden, für diese illustre Organisation zu arbeiten.
Wie können gewöhnliche Leute in Entwicklungsländern, die sich normalerweise eher damit beschäftigen, wie sie ihr tägliches Brot verdienen und über die Runden kommen können als mit Fragen der Weltpolitik, derart ausgeprägte Ansichten von einer internationalen Finanzinstitution in Washington entwickeln? Ganz einfach: Weil ihre Möglichkeiten, satt zu werden und zu überleben, von der Politik des IWF unmittelbar beeinflusst wurden. Und weil alle verschuldeten Länder oder solche, die dringend neue Kredite brauchen, um einen Kollaps zu vermeiden (und dazu gehören fast alle, mit Ausnahme einiger weniger besonders begünstigter Länder), ihre Wirtschaftspolitik vom IWF absegnen lassen müssen. Das gilt nicht nur für die IWF-Mittel selbst. Auch die Weltbank verlangt von Regierungen den Segen des IWF, bevor sie neue Großprojekte finanziert, und Ebensolches fordern die Entwicklungshilfebehörden der reichen Länder.

Praktisch bleibt Regierungen, gleich welcher politischer Orientierung, kaum anderes übrig als sich dem „Rat“ des IWF zu unterwerfen, selbst wenn dieser allem widerspricht, woran sie glauben. Ein Beispiel ist Brasiliens Präsident Luis Inácio Lula da Silva. Sein Wahlsieg wurde als epochales Ereignis gefeiert: Endlich hatte ein echter Linker, ein ehemaliger Metallarbeiter, die Chance, das größte Land Lateinamerikas umzugestalten. Doch bereits während der Wahlkampagne versuchte Lula alles, um die großen Akteure auf den Finanzmärkten zu beruhigen: Ein Sieg der Arbeiterpartei wäre kein Grund zur Panik – Brasilien würde weiter eine mit dem IWF abgestimmte Politik verfolgen.
Dieses Versprechen hat er zweifellos gehalten, wie schon einige wenige Meldungen gegen Ende letzten Jahres zeigten: Zuerst wurde bekannt, dass das Durchschnittseinkommen in Brasilien 2003 um 15,2 Prozent gefallen war. Dann, am 12. Dezember, stimmte der brasilianische Senat der Pensionsreform Lulas zu, die das Pensionsalter hinaufsetzte und die Pensionen der öffentlich Bediensteten kürzte. Applaus aus internationalen Finanzkreisen ertönte, während lokale Gewerkschaften heftig protestierten. Am selben Tag genehmigte der IWF für Brasilien einen neuen Kreditrahmen von 14,8 Mrd. US-Dollar. Vier Tage danach beschrieb IWF-Direktor Horst Köhler das Wirtschaftsteam Lulas als „beispielgebend“ und gratulierte ihm zu seiner Wirtschaftspolitik.
Wenn Lula und andere politische EntscheidungsträgerInnen in Entwicklungsländern ihre Grundsätze auf Geheiß des IWF über Bord werfen müssen, haben wir es dann nicht bloß mit verschwenderischen, überschuldeten Ländern zu tun, die von unparteiischen internationalen ExpertInnen wieder auf den rechten Weg geführt werden? Zweifellos möchte der IWF, dass seine Tätigkeit so wahrgenommen wird – und er scheint sehr erfolgreich dabei zu sein, Regierungen und Medien reicher Länder davon zu überzeugen. Leider ist die Wirklichkeit anders – furchtbar anders.

Der IWF steht unter Kontrolle von FundamentalistInnen, die sich durch einen dogmatischen Glauben an die Fähigkeit eines ungezügelten freien Markts auszeichnen, jedes wirtschaftliche Problem zu lösen. Doch neuere Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaft zeigen, dass solche perfekten Märkte nicht existieren – am allerwenigsten in den zerrütteten Wirtschaften ärmerer Länder, über die der IWF in erster Linie das Zepter schwingt.
Dieses Bild des IWF – als einer aufgrund ihrer eigenen Zwangsvorstellungen mit Blindheit geschlagenen Institution – wurde am eloquentesten von Joseph Stiglitz gezeichnet, dem ehemaligen Chefökonom der Weltbank: „Er ist eine Institution, die sich dem Marktfundamentalismus verschrieben zu haben scheint, jedoch existiert, weil es Marktversagen gibt – ein innerer Widerspruch, mit dem man nie fertig geworden ist. Eine intellektuell inkohärente Institution, die sagt: ‚Wir glauben an Märkte‘, aber was tun sie? Sie intervenieren die ganze Zeit auf den Devisenmärkten. Helfen westlichen Gläubigern aus der Patsche.“ (Siehe Gespräch mit Stiglitz Seite 34.)
Wie konnte der IWF eine derartige Macht erlangen? Gegründet wurde er bei der Konferenz in Bretton Woods vor 60 Jahren, zu einer Zeit, als der Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg unmittelbar bevorstand. Auf dieser Konferenz war der britische Ökonom John Maynard Keynes einer der BefürworterInnen eines neuen internationalen Finanzsystems unter Einschluss eines Fonds, der Ländern mit Krediten über Zahlungsbilanzprobleme hinweghelfen sollte. Ebenso vertrat er aber die Ansicht, dass die Welt ein ausgeglichenes Handelssystem und strikte Kontrollen des internationalen Kapitalverkehrs brauche – er glaubte, dass der von der US-Delegation vertretene freie Handel und freie Kapitalverkehr zu Instabilität und Ungleichheit führen würde. Leider setzte sich die US-Position durch, und der IWF und die Weltbank wurden in der Folge gegründet.

In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückten die beiden Institutionen jedoch erst um 1980, einem Jahr, in dem es zu einer Konjunktion aller Sterne des Finanzhimmels kam: Margaret Thatcher und Ronald Reagan waren an die Macht gekommen. Die ökonomische Variante ihrer Vision hieß „Monetarismus“, womit aber letztlich nur eine darwinistische Marktwirtschaft unter einem anderen Namen Wiedergeburt feierte. Im Namen des Monetarismus wurde in Großbritannien und in den USA großer Schaden angerichtet, wenn auch die WählerInnen diese Regierungen wieder los werden konnten.
Der Rest der Welt war allerdings mit einem dauerhafteren Erbe in Gestalt eines IWF und einer Weltbank konfrontiert, die in den 1980er Jahren mit neuer Entschlossenheit ans Werk gingen – ohne jede demokratische Kontrolle: Beide Institutionen werden von den mächtigsten Ländern der Welt beherrscht (siehe Kasten links). In einer Art Kreuzzug sollte die ganze Welt nach dem Vorbild eines freien Markts umgestaltet werden. Hoch verschuldete Länder, die ihre Hilfe benötigten, wurden gezwungen, sich Programmen zur „strukturellen Anpassung“ zu unterwerfen. Regierungsausgaben wurden linear gekürzt, Nahrungsmittelsubventionen gestrichen (sie „verzerrten“ den Markt, indem sie es den Armen ermöglichten, sich zu ernähren) und Gesundheits- und Erziehungsausgaben drastisch reduziert.
Das Ausmaß des Elends, das von diesen Maßnahmen bewirkt wurde, und die Proteste dagegen brachten UN-Organisationen dazu, Kampagnen für eine „Anpassung mit menschlichem Antlitz“ zu führen. Tragisch war, dass diese Programme nicht einmal das selbst gesteckte Ziel erreichten und genau jenes wirtschaftliche Wachstum verhinderten, in dessen Namen die Armen drangsaliert wurden. Es gibt keine überzeugendere Anklage als die Grafik auf Seite 30, die zeigt, dass die Zunahme der Strukturanpassungskredite über Jahrzehnte von einem sinkenden Wirtschaftswachstum begleitet war. Die Weltbank selbst stellte in einer Studie im Jahr 2000 fest: „Das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens in einem typischen Entwicklungsland in den 1980er und 1990er Jahren war Null.“ Und in Afrika südlich der Sahara kann „Null“ zweifellos als gewaltige Übertreibung betrachtet werden.
Für das Malawi Economic Justice Network besteht kein Zweifel, dass diese Programme in erster Linie dem Westen zum Vorteil gereichen: „Während der Kolonialherrschaft beherrschten sie uns direkt. Heute geben sie vor, uns zu beraten. Der Unterschied ist, angesichts der jüngsten Erfahrung in Malawi, rein semantischer Natur. Sie herrschen immer noch mit eiserner Faust.“

Die Bilanz der Versuche des IWF, Länder in finanzieller Hinsicht wieder auf die Beine zu stellen, ist derart miserabel, dass er längst in Konkurs gegangen wäre, wenn er sich als privates Beratungsunternehmen am Markt hätte behaupten müssen. Jedem Finanzministerium wird das selbe Rezept verschrieben, ungeachtet der lokalen Umstände: Regierungsausgaben kürzen, öffentliche Institutionen privatisieren, sämtliche Subventionen abschaffen, Öffnung der Wirtschaft für internationale Kapitalflüsse und transnationale Konzerne. Abgesehen von der moralischen oder politischen Problematik eines solchen Programms war es schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil es ohne wissenschaftliche Abstützung, ohne Berücksichtigung lokalen Wissens oder lokaler Umstände umgesetzt wurde.
An spektakulären Misserfolgen herrscht kein Mangel. In der früheren Sowjetunion bestanden IWF und Weltbank aus ideologischen Gründen darauf, dass sich die Länder Hals über Kopf in eine Art Kapitalismus stürzten, dessen Brutalität NordamerikanerInnen oder EuropäerInnen völlig fremd erschienen und von ihnen schon gar nicht toleriert worden wäre. Das Resultat war niederschmetternd. In Ostasien mündete die dogmatische IWF-Forderung einer Liberalisierung der Kapitalmärkte in eine Katastrophe, während Argentinien, ein ehemals reiches Land, das den IWF-Rezepten bis auf den Buchstaben gefolgt war, auf den Tauschhandel zurückgeworfen und ins Elend gestürzt wurde.

Inwiefern, könnte man fragen, passt hier die Weltbank ins Bild? Die Weltbank ist eine weit größere und vielschichtigere Institution. Während der IWF gegenüber Kritik unempfänglich ist und keinen Anlass sieht, sich zu rechtfertigen, wurde die Weltbank theoretisch dazu gegründet, die Armut zu bekämpfen und muss ihren Ruf verteidigen. Sie vermeidet etwa nun den mittlerweile etwas anrüchig gewordenen Begriff der „strukturellen Anpassung“ und spricht stattdessen von Poverty Reduction Strategy Papers (PRSPs), Strategien zur Armutsbekämpfung, die jedes Land vorlegen muss, um für eine Schuldenreduzierung oder neue Kredite in Frage zu kommen. Die Umbenennung war offenbar ein schlauer PR-Trick, denn weder Regierungen noch Hilfsagenturen scheinen zu begreifen, dass sich die PRSPs durch die selben alten Eigenschaften auszeichnen: Privatisierung, offene Türen für ausländische Unternehmen, Benutzergebühren für grundlegende Dienste wie Wasser- und Gesundheitsversorgung.
Ebenso fühlt sich die Weltbank auch gezwungen, zumindest vorgeblich einen Dialog mit ihren KritikerInnen zu führen. In den 1990er Jahren beteiligte sie sich gemeinsam mit wichtigen Basisorganisationen aus der ganzen Welt an einer Überprüfung der Auswirkungen der strukturellen Anpassung, zog sich aber aus dem Prozess zurück, als die Überprüfung unter anderem zu folgendem Schluss kam: „Anpassungsprogramme haben zu einer weiteren Verarmung und Marginalisierung lokaler Bevölkerungsgruppen beigetragen und gleichzeitig die wirtschaftliche Ungleichheit erhöht.“
In gewisser Hinsicht scheint das eine Grenze für Versuche eines konstruktiven Dialogs mit der Weltbank aufzuzeigen, die 1995 mit der Ernennung des scheinbar reformwilligen James Wolfensohn zum Weltbankpräsidenten begonnen hatten. Seit dem Jahrtausendwechsel ist jedoch allenfalls eine neuerliche Bekräftigung des „Washington Consensus“ (zusammen mit dem IWF und dem US-Finanzministerium)* zu erkennen, der sich bereits angesichts weltweiten Widerstands und offensichtlichen Scheiterns aufzulösen schien. Und die Weltbank hat es nie an Unterstützung für die herausragende Rolle des IWF fehlen lassen, weltweit für „wirtschaftliche Disziplin“ zu sorgen.
Unter diesen Umständen gibt es kaum eine Alternative zum Widerstand. Die meisten Menschen in den reichen Ländern wissen vielleicht nicht, welchen Schaden IWF und Weltbank anrichten, aber in allen anderen Teilen der Welt nehmen die Proteste zu.

Copyright New Internationalist


*)Unter dem „Washington Consensus“ versteht man jenen (wirtschafts)politischen Konsens, der sich in den 1990er Jahren nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus durchsetzte: Angestrebt werden u.a. Steuerdisziplin, Senkung der Grenzsteuersätze, Liberalisierung der Finanzmärkte, Handelsliberalisierung, Privatisierung, Deregulierung und die Sicherung von Eigentumsrechten.

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