Menschen, die bewegen: Ulrike Lunacek

Von Christina Schröder · ·
Porträt von Ulrike Lunacek
Ulrike Lunacek zu Gast in der Redaktion des Südwind-Magazins © Christina Schröder

Sie haben sich Zeit Ihres Lebens für gesellschaftspolitische Themen eingesetzt. Was erscheint Ihnen derzeit als besonders wichtig?
Frauen und Demokratie. Zu meinen feministischen Anfängen vor knapp 50 Jahren habe ich gedacht, dass wir im Begriff seien Hunger, Armut und die Diskriminierung von Frauen zu überwinden. Heute würde ich mich nicht einmal für eine Neuauflage der Weltfrauenkonferenz von 1995 aussprechen, denn etwas Besseres kommt nicht nach, und außerdem ist noch lange nicht alles umgesetzt, was damals in Beijing vereinbart wurde! Und: Ich bin überzeugt, dass nicht alles gut, aber vieles besser wäre, wenn Frauen mehrheitlich an entscheidenden Machtpositionen vertreten wären. Aber im Moment geht es in die andere Richtung.

Was braucht es denn, um gegenzusteuern?
Die zunehmenden autokratischen Tendenzen gefährden uns alle massiv. Umso wichtiger ist da die Demokratie. Voraussetzung ist, zu lernen, konstruktiv Kritik zu üben, im Kleinen, also in Familie und Freundeskreis, sowie im Großen, in Politik, Wirtschaft usw. – und auch auszuhalten ohne verbal verletzend oder hasserfüllt zu werden! Das ist das Salz der Demokratie.

Was muss passieren, damit Solidarität und der Einsatz für Frieden wieder an Fahrt gewinnen?
Diejenigen, die sich dafür einsetzen, sollten damit weitermachen, rausgehen auf die Straße und auch aus ihren Bubbles in den sozialen Medien. Dort gilt ja weitgehend: Du bist entweder für mich oder gegen mich. Wir müssen friedlich auf die Zusammenhänge hinweisen, die uns global und lokal verbinden, und auf die Tatsache, dass wir auf diesem Planeten zusammenleben und uns deswegen solidarisch anderen gegenüber verhalten sollten – denn einen zweiten gibt es nicht.

Und wie überzeugt man Andersdenkende davon?
Ich denke, nicht bei allen, aber bei vielen kann man ein Nachdenken und eventuell Überdenken der eigenen (Vor-)Urteile über persönliche Bezüge, mit Begegnungen und mit einem offenen Gespräch erreichen. Zum Beispiel, bei jenen, die Ängste vor Immigration haben, können auch Medien mit positiven Geschichten über Menschen aus dem Globalen Süden eine wichtige Rolle spielen. Und natürlich sollten alle Politiker:innen ein sichtbares Interesse daran haben, mehr Chancen und Erfolge aufzuzeigen, anstatt nur Ängste zu schüren.

Gibt es einen Gedanken, der Ihnen immer ein Lächeln beschert und wenn ja, welcher?
Derzeit sind es die Gedanken an die Enkel:innen meines Bruders in Fürstenfeld und in den USA, und die Zeit, die ich mit ihnen verbringen kann, sowie meine Lieblingsfrauenorganisationen in Kolumbien und im Kosovo. Ich beobachte ihren fortwährenden Einsatz und ihr Engagement aus der Ferne und unterstütze sie, wo ich kann.

Was macht für Sie einen Tag zu einem guten Tag?
Wenn die Sonne scheint und, wenn ich viel zum Lachen und Lächeln habe, und positive Begegnungen. Das hilft dabei, die schlimmen Dinge zu verkraften.

Sie sind unter anderem auch Buchautorin. Welche literarischen oder filmischen Werke haben Sie geprägt und würden Sie Schüler:innen empfehlen?
Das Buch „Sadako will leben“ von Karl Bruckner. Es erschien Anfang der 1960er und ist die Geschichte einer Vierjährigen, die den Atombombenabwurf über Hiroshima überlebt. Es ist ein Plädoyer gegen Krieg und für Frieden. Ebenso unvergesslich für mich ist der Film „Whale Rider“, basierend auf einem Roman von Witi Ihimaera, über ein Māori-Mädchen, das sich gegen die patriarchale Tradition ihres Volkes stellt, um ihrer Bestimmung zu folgen.

Eine positive Erinnerung aus Ihrer Zeit als Redakteurin im Österreichischen Informationsdienst für Entwicklungspolitik?
Viele! Es war eine Zeit voller Begegnungen mit spannenden Menschen und Gesprächen, die mich geprägt haben.

Welche gute Tat kann jede/jeder heute noch für sich und andere tun?
Den Mund aufmachen, wenn sich jemand sexistisch, rassistisch oder sonst wie diskriminierend äußert.

Und eine Tat, die für Sie persönlich besonders wichtig war?
2014 war Papst Franziskus eingeladen, eine Rede vor dem Plenum des Europaparlaments zu halten. Als eine der Vizepräsident:innen war ich bei der Begrüßung dabei – und wollte ihm nicht nur einfach die Hand geben, wie die anderen – schließlich war ich ja mit 20 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. Also habe ich ihm eine Regenbogenfahne aus Ecuador überreicht und ihm auf Spanisch – in seiner Muttersprache – gesagt, dass diese Fahne für drei Dinge steht: für die indigenen Völker in den Anden, für Frieden und für LGBTIQ+-Rechte – und dass ich hoffe, er würde sich für alle drei einsetzen.

Ulrike Lunacek wurde 1957 in Krems geboren. Sie studierte in Innsbruck Dolmetsch für Englisch und Spanisch, war 1981 eine der Gründerinnen des Tiroler Frauenhauses und arbeitete ein Jahr dort. Nach ihrer Rückkehr nach Wien war sie zuerst als Referentin und bis heute als (stv.) Obfrau im Verein Frauen*solidarität aktiv. 1989 wurde Lunacek Redakteurin der Entwicklungspolitischen Nachrichten EPN (heute Südwind-Magazin), ab 1993 war sie als Pressereferentin des Österreichischen Informationsdienstes für Entwicklungspolitik ÖIE (heute Südwind) tätig. In jenen Jahren dolmetschte sie oft für Besucher:innen aus dem Globalen Süden. Drei Jahre später wurde sie Bundesgeschäftsführerin der Grünen, 1999 als erste offen lesbische Politikerin Österreichs in den Nationalrat gewählt und Außenpolitiksprecherin der Grünen. Nach acht Jahren im Europäischen Parlament (inkl. als EP-Vizepräsidentin) wurde Lunacek Grüne Spitzenkandidatin für die Nationalratswahl 2017 – ein aus mehreren Gründen glückloses Unterfangen.
Sie zog sich aus der Politik zurück; bis 2020, als sie als Staatssekretärin für Kunst und Kultur zurückgeholt wurde. Dann kam Covid-19, Gelder für Künstler:innen ließen zu lange auf sich warten – und sie legte nach wenigen Monaten ihr Amt zurück.
Lunacek lebt heute als freiberufliche Autorin und Moderatorin in Wien. Sie ist u.a. Kuratoriumsmitglied im Wiener Forum Demokratie und Menschenrechte, sowie stellvertretende Vorsitzende im Bürger:innenforum Europa. Am 23. Oktober 2025 wird ihr die Südwind-Auszeichnung „Die Seglerin“ für ihr entwicklungspolitisches Engagement verliehen.

Handshake mit Fahne: 2014 überreichte Ulrike Lunacek im Europaparlament beim Besuch von Papst Franziskus im Europaparlament eine Regenbogenfahne © Europaparlament
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