Menschen, keine „Exportschlager“

Von Marina Wetzlmaier · · 2024/Mar-Apr
© Lisa Ante

Aus Mangel an Fachkräften wirbt Österreich Personen aus Drittstaaten wie den Philippinen an. Willkommen fühlen sie sich hier nicht.

© Lisa Ante

Über Österreich wusste sie vor ihrer Abreise nur wenig. Nur, dass man sie als Pflegekraft hier dringend benötige, erzählt Analyn Rosales (Name von der Redaktion geändert, da sie lieber anonym bleiben will). Gemeinsam mit etwa 15 weiteren Krankenpfleger:innen von den Philippinen besucht sie in Linz einen Deutschkurs. Einige Monate zuvor sind sie in Oberösterreich angekommen, das wie das Burgenland aktiv Pflegekräfte aus dem asiatischen Inselstaat anwirbt – eine Maßnahme gegen den Personalmangel in den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen.

Rosales und ihre Kolleg:innen arbeiten 20 bis 30 Stunden in Alten- und Pflegeheimen in ganz Oberösterreich. Parallel dazu pendeln sie mehrmals in der Woche zum Deutschkurs in die Landeshauptstadt. Den weitesten Weg hat Shereen Díaz (Name ebenfalls geändert), die etwa 120 Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegt. „Schwierig wird es, wenn Schnee liegt und die Züge Verspätung haben“, erzählt sie aus Erfahrung. An solchen Tagen macht sie sich um fünf Uhr morgens auf den Weg, weshalb sie im Deutschunterricht schon einmal eingeschlafen ist. Neben der Erschöpfung plagt sie regelmäßig eine Reihe an offenen Fragen rund um ihre Situation.

Nicht informiert. Werde ich meine Familie nachholen können? Wie finde ich eine leistbare Wohnung? Wer schützt uns am Arbeitsplatz? An wen kann ich mich wenden, wenn ich Probleme habe? Aus den Erzählungen der Kursteilnehmer:innen wird schnell klar: sie haben nicht nur zu wenig Informationen über das Leben und Perspektiven in Österreich, sondern auch keine einheitlichen.

Allen gemein ist, dass sie über private Vermittlungsagenturen, die mit der oberösterreichische Landesregierung zusammenarbeiten, herkamen. Die Arbeitsmigration über Agenturen ist in den Philippinen üblich. Interessierte melden sich bei diesen Agenturen, die bei einer staatlichen Behörde registriert sind. Jährlich verlassen so rund 50.000 Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind, ihre Heimat.

Auch die Stadt Wien hat im Vorjahr mit der philippinischen Botschaft ein Abkommen für die Anwerbung in den Pflegebereich unterzeichnet. Vertreter:innen der Wirtschaftskammer und beider Regierungen haben außerdem im Oktober in der philippinischen Hauptstadt Manila vereinbart, dass Personal zudem in andere Berufe vermittelt werden soll, etwa in den Tourismus.

„Aber was jetzt?“ Die philippinischen Pflegekräfte in Oberösterreich sollen laut Plan fachspezifische Deutschkurse sowie Weiterbildungen, in deren Rahmen ihre berufliche Qualifikation anerkannt wird, absolvieren. Aus ihrer Sicht beginnen hier aber die Unklarheiten: „Warum arbeiten wir als Heimhilfen, obwohl wir vier Jahre studiert haben?“ – eine Frage, die eigentlich alle in der Gruppe im Deutschkurs beschäftigt. In den Philippinen schließen sie ein Universitätsstudium ab, um Krankenpfleger:innen zu werden. Eine Ausbildung, für die sie weltweit gefragt sind. In Österreich wird das jedoch nicht anerkannt. Dazu braucht es zunächst eine Nostrifikation mit Zusatzprüfungen.

Viele der Anwesenden stellen aufenthaltsrechtliche Fragen. Ihnen ist zudem nicht klar, wie oder ob sie eine Weiterbildung machen müssen, oder was passiert, wenn sie eine Prüfung nicht auf Anhieb bestehen. Sie wissen nicht, wo sie ihre Anliegen sonst vorbringen sollen, außer in diesem Deutschkurs. Eine Orientierungsveranstaltung gab es nicht. Einer der Teilnehmenden fasst die Lage so zusammen: „Österreich wollte uns so schnell wie möglich ins Land holen und wir sind hergekommen. Aber was jetzt?“

Kein System. Lisa Pangan denkt bei solchen Erzählungen an die Geschichte ihrer Mutter. Diese war eine der ersten philippinischen Krankenschwestern, die im Jahr 1973 nach Wien geholt wurden. Schon vor fünfzig Jahren war der Personalmangel in den österreichischen Krankenhäusern ein Problem. Abhilfe versprach man sich durch Fachkräfte aus dem Ausland. Viele sind geblieben und die philippinische Community in Österreich ist mittlerweile auf etwa 30.000 Personen angewachsen. Die Frauen waren weder auf das kalte Wetter, noch auf die Sprache und den Kulturschock vorbereitet, erzählt Pangan, die selbst Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin ist.

Sie waren auf hilfsbereite Menschen in ihrem Arbeitsumfeld angewiesen, die sie in die österreichische Kultur und in Arbeitsprozesse eingewiesen haben. Darin sieht Pangan eine Parallele zu heute: „Es gibt auf den Stationen und in den philippinischen Communities engagierte Menschen, die Neuankommende unterstützen. Aber es sollte nicht von Einzelpersonen abhängen. Es braucht ein System dahinter“, fordert sie.

Damals wie heute ist Arbeitsmigration für die Betroffenen mit sozialen Kosten und persönlichen Opfern verbunden. Gesundheitspersonal wird zwar auch in den Philippinen dringend benötigt. Die schlechten Arbeitsbedingungen und mangelnde Perspektiven führen allerdings dazu, dass viele ihr berufliches Glück im Ausland suchen. Einen Teil des Gehalts schicken sie zurück ins Herkunftsland, um ihre Eltern finanziell zu unterstützen, das Schulgeld ihrer Kinder zu bezahlen oder medizinische Kosten für andere Angehörige zu übernehmen.

Chance durch Migration. Arbeitsmigration könne für Menschen, die neue Perspektiven suchen, durchaus eine Chance sein, sagt Daniel Garces. Er ist hier geboren und aufgewachsen und arbeitete sich im Bereich Altenpflege die Karriereleiter hoch: vom Abteilungshelfer und Pflegeassistenten bis zum Leiter von zwei Pflegeheimen in Wien.

Garces ergänzt: „Aber sie muss durchdacht sein. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.“

Mit „wir“ spricht er von der politischen Verantwortung und von einer Willkommenskultur, die er in Österreich vermisst. Man könne nicht nur von den Migrant:innen verlangen sich anzupassen. Es müssten alle Beteiligten vorbereitet werden: „Die bestehenden Teams müssen für die Ankunft neuer Kolleg:innen sensibilisiert und geschult werden. Dazu benötigt es vor allem politische Unterstützung und Förderungen“, sagt er. Garces gehört, so wie Pangan, der zweiten philippinischen Generation in Österreich an.

Er will seinen beruflichen Aufstieg nutzen, damit ein Zeichen setzen: „Menschen aus den Philippinen sind im Gesundheitswesen etabliert. Mir ist es wichtig, dass das wertgeschätzt wird und sie dafür Anerkennung bekommen.“

Wertschätzung und Respekt beginnt mit der Sprache, sagt Pflegerin Pangan. Hierzulande ist jedoch vom „Exportschlager“ Arbeitskraft aus den Philippinen zu lesen anstelle von Menschen. Pangan und weitere Mitglieder der zweiten Generation schmerzt dieser Begriff. „Menschen sind keine Exportware“, lautet daher ein offener Brief, den sie an österreichische Medien richten, die diese Begriffe immer wieder verwenden.

Nicht willkommen. Garces sieht auch einige problematische Seiten bei der gezielten Anwerbung von Pflegefachkräften aus dem Ausland, vor allem wie sie derzeit passiert: „Das Gesundheitssystem ist ausgebrannt. Das bestehende Personal steht unter Druck, ist unterbesetzt. Natürlich ist es deprimierend in so einer Situation noch jemand Neuen einzuschulen, der oder die noch nicht gut Deutsch kann.“ Auf der anderen Seite fühlen sich dann die angekommenen Mitarbeiter:innen nicht willkommen.

Die Deutschkurs-Teilnehmer:innen in Linz berichten von Herabwürdigungen und Rassismus am Arbeitsplatz. Von Missverständnissen und psychischem Druck. Durchhalten, lautet der Rat, den man von der älteren philippinischen Generation hört. Sie hätten es damals vor fünfzig Jahren auch geschafft, haben sich schlussendlich zur Wehr gesetzt und behauptet. Es brauche nur Zeit.

So lange wollen oder können die philippinischen Arbeitsmigrant:innen von heute nicht warten. Einige haben Österreich wieder verlassen, sind zu ihren Familien zurückgekehrt oder suchen ihr Glück anderswo. Viele bevorzugen englischsprachige Länder, wie Großbritannien und die USA, da dort die sprachliche Barriere nicht so groß ist. Englisch ist in den Philippinen die zweite Amts- sowie Unterrichtssprache.

Auch Tony Cruz (Name von der Redaktion geändert) spielt mit dem Gedanken wieder abzureisen. Er ist mit der Vorstellung nach Österreich gekommen, seine Frau und seine Kinder nachzuholen, ihnen hier ein gutes Leben zu ermöglichen. Nach einem Jahr im Land rückt diese Perspektive in weitere Ferne. Er habe nicht mit den hohen Lebenserhaltungskosten gerechnet. Mit dem Gehalt, das er derzeit verdient, könne er sich weder eine passende Wohnung noch die bürokratischen Kosten der Familienzusammenführung leisten.

© Lisa Ante

Betreuung sehr unterschiedlich. Laut Garces ließen sich solche Enttäuschungen vermeiden, wenn die Menschen schon vor ihrer Abreise über die „nüchterne Realität“ Bescheid wüssten. Bereits bei der Anwerbung bräuchte es eine umfassende Information. Doch die Qualität der Beratung durch die Agenturen ist sehr unterschiedlich. Zum Teil werben sie mit Bildern von Alpenkitsch, österreichischer Tradition und mit hohen Verdienstmöglichkeiten.

Die Einen kümmern sich rein um die Arbeitsvermittlung und Organisation der Reisedokumente. Andere geben an, auch danach bei Alltagsfragen zu unterstützen, etwa bei der Wohnungssuche, der Eröffnung eines Bankkontos, dem Abschluss von Handyverträgen oder bei arbeitsrechtlichen Belangen. Auch hier, wie im neuen Arbeitsumfeld, ist es ein Glücksfall, ob man gut beraten und betreut wird.

Teile der philippinischen Community möchten sich nun aktiver einbringen. Sie haben einen neuen Verein gegründet, den Bund philippinischer Gesundheitskräfte in Österreich. Ziel ist es, jene, die im Gesundheitswesen arbeiten, von der Heimhilfe bis zur Ärztin, zu vernetzen. Es geht um einen Erfahrungsaustausch und eine Stärkung jener Fachkräfte, die schon im Land sind, auf der anderen Seite um Unterstützung für neu ankommendes Gesundheitspersonal.

Brücken schlagen. Eine zentrale Anlaufstelle fehlt bisher, sagt Pflegerin Pangan und sieht dabei die philippinische Botschaft genauso in der Verantwortung. „Die Schwierigkeit liegt darin die Brücke zu schlagen zwischen denen, die schon hier sind, und den Neuen“, sagt sie.

Die philippinische Gemeinschaft ist in viele Gruppen aufgeteilt, zu denen gerade jüngere Menschen nicht so leicht Anschluss finden. Abgesehen davon wüsste man oft nicht voneinander.

Garces sieht eine mögliche Brücke durch die Arbeitgeber:innen. In seinen Betrieben sollen ebenfalls bald neue philippinische Kolleg:innen eingesetzt werden, denn die Anwerbung steht erst am Beginn.

Abgesehen von den Anwerbestrategien der Bundesländer sollen über das Abkommen zwischen Bund, Wirtschaftskammer und philippinischer Regierung bis 2027 jährlich 400 Fachkräfte aus verschiedenen Branchen nach Österreich kommen, so der Plan. Aufgehen kann er aber nur, wenn die Menschen auch bleiben wollen.

Marina Wetzlmaier hat philippinische Wurzeln und lebt als freie Journalistin in Wels/Oberösterreich.

Die Bilder stammen von der im Text zitierten Lisa Pangan aka Lisa Ante.
anteartsvienna.at

Netzwerk der zweiten philippinischen Generation im deutschsprachigen Raum:
halo-halo.de

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen