„Militärs sind ein starker Wirtschaftsfaktor“

Von Redaktion · · 2016/10

In Venezuela stecken Wirtschaft und Politik in der Krise. Welcher Bereich gerade welche Rolle spielt, erklärt die Lateinamerika-Expertin Ursula Prutsch.

Im Februar dieses Jahres (siehe SWM 03/2016) haben Sie gesagt, dass Sie sich kaum vorstellen können, dass Venezuelas Präsident Nicolás Maduro seine Amtszeit, die bis Jänner 2019 läuft, zu Ende führen wird. Wie sehen Sie das heute?

Ähnlich. Auch wenn schon 2014 viele meinten, dass seine Tage gezählt wären – jetzt könnte es tatsächlich so weit kommen. Wird er durch das von der Opposition angestrebte Abberufungsreferendum abgesetzt, könnten ihm der Vizepräsident oder auch der bisherige Parlamentspräsident – beide wie er von der Chavistischen Partei – nachfolgen. Diese könnten sich mit dem moderaten Flügel der Opposition zusammentun, die eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hat und versuchen, eine andere Wirtschaftspolitik durchzusetzen.

Als Grund für die wirtschaftliche Krise gilt der Verfall des Ölpreises. Was sind die politischen und sozialen Faktoren?

Die Sozialpolitik von Hugo Chávez, Umverteilung und Armutsreduktion, basierte vor allem auf den Einnahmen aus dem Erdölexport. Das hat funktioniert, solange der Erdölpreis hoch war. Leider verabsäumte es Chávez in den 14 Jahren seiner Regierung, die Wirtschaft zu diversifizieren. Politisch hat der Chavismus auf der lokalen Ebene eine partizipative Demokratie durchgesetzt. Auf der nationalen Ebene hat er die Gewaltenteilung radikal eingeschränkt. Auch das Parlament hat er verändert. Es hat nur mehr eine Kammer. Die Justiz ist schon lange nicht mehr unabhängig. Der Oberste Gerichtshof hat nie ein Urteil gegen Chávez gefällt. Es würde sich wohl nur dann etwas wirklich verändern können, wenn die Opposition an die Macht käme. Diese ist aber extrem gespalten: Es sind über 20 Gruppierungen und Parteien, angefangen bei neoliberalen und rechtskonservativen bis hin zu sozialdemokratischen …

Gespalten sind auch die, die jetzt an der Macht sind – wie ist das Verhältnis zwischen Militärs und dem Präsidenten?

Chávez war General, Maduro ist Zivilist und im Hintergrund wohl einem starken Druck der Militärs ausgesetzt. Zuletzt hat er dem Militär stärkere Kompetenzen etwa bei der Verteilung von Arzneimitteln und Lebensmitteln übertragen und General Vladimir Padrino, den Verteidigungsminister, quasi zum Premierminister gemacht. Ich glaube zwar nicht, dass es zu einer Militärdiktatur kommen wird, denke aber, dass die Militärs möglicherweise mehr Macht übernehmen werden als bisher. Die Frage ist, ob sie sich den USA annähern würden. Die Militärs sind ein starker Wirtschaftsfaktor, sie besitzen zum Beispiel eine Versicherung, TV-Sender, eine Bank und Tourismus-Unternehmen. Jetzt haben sie sogar ein privates Gas- und Erdölunternehmen erhalten, während die Regierung jahrelang Unternehmen verstaatlichte.

Trotz der Krise hatte Maduro in Umfragen zuletzt immer noch einen relativ starken Rückhalt – zwischen 20 und 30 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung. Woran liegt das?

Der Chávismus hatte 14 Jahre Zeit, um sich zu institutionalisieren. Es gibt noch eine große Gruppe, die davon bedient wird bzw. profitiert. Das sind zum Teil Militärs, aber auch Staatsbeamte. Solange man ihnen noch Gehälter zahlen kann, werden sie die Regierung unterstützen. Ich würde diese Zahlen aber auch anzweifeln, weil es ja keine Meinungsfreiheit und sogar eine Politik der Einschüchterung gibt – wohl auch, weil die Regierung vom Militär mitgetragen ist.

Ursula Prutsch © Privat

Welche Wege gäbe es aus der Krise?

Momentan steht Venezuela schon ziemlich isoliert da: Die EU ist vorsichtig, die Union Südamerikanischer Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten geben sich distanziert, der Mercosur will Venezuela nicht den Vorsitz übergeben. Die Inflation ist dramatisch, sie gehört eingedämmt. Man müsste versuchen, die Wirtschaft anzukurbeln und Regelungen verändern, zum Beispiel, dass private Unternehmen wieder mehr als 30 Prozent Gewinne machen können. Es gibt zurzeit aber kaum mehr nationale Unternehmen, die Gewinne machen. Man müsste die Preiskontrollen und die festen Wechselkurse aufheben. Im Moment können selbst die großen privaten Unternehmen in keiner Weise mehr gewinnbringend produzieren. Man muss eine andere Art von Wirtschaftspolitik und Politik überhaupt machen.

Interview: Christina Schröder

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