Nach Hause, den Kampf weiterführen

Von Jürgen Weber · · 2001/10

Auf dem NGO-Forum parallel zur offiziellen UN-Konferenz gegen Rassimus (WCAR) wurde über die vielen Gestalten des Rassismus diskutiert.

You’re not a Racist … Right?“ unter diesem Slogan versammelte sich das Forum der Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Rund 6000 Delegierte kamen in der letzten Augustwoche nach Durban und diskutierten in 250 Workshops, bei Informationsveranstaltungen und in mehr als 40 Interessensgruppen das vielgestaltige Gesicht rassistischer Diskriminierung.

In unzähligen Diskussionsrunden wurde um Sprachregelungen für ein Abschlussdokument gestritten, immer wieder neue Vorschläge eingebracht, überarbeitet, neu diskutiert.

Die NGOs kamen mit spezifischen Interessen – die Verurteilung des Kastensystems in Südasien, der Kampf der Roma um den Zugang ihrer Kinder zu öffentlichen Schulen, der Protest der Indigenen Völker gegen ihren Ausschluss aus den UN-Dokumenten, der Zusammenhang von AIDS/HIV und Rassismus, Rassimus und Sexismus, Gentechnologie und rassische Muster u.v.a. Einige Gruppen erlangten mit viel Aufwand nicht nur die Aufmerksamkeit der anderen NGOs, sondern auch die der internationalen Medien.

„Dalit Rights are Human Rights!“, hallt es immer wieder den NGO- und RegierungsvertreterInnen entgegen. „What we want? We want Para 73!“ Die Sprechchöre begleiten den zweitägigen Hungerstreik indischer Dalits, eine von vielen Aktionen der „Unberührbaren“. Auf der letzten Vorbereitungskonferenz in Genf hatten die Dalit-VertrerInnen einen großen Erfolg errungen, als in letzter Minute der „Work and Descent Paragraph“(73) in den Entwurf des Aktionsprogramms aufgenommen wurde. Dieser verurteilt Diskriminierung aufgrund von „Herkunft“ und „Arbeit“, und bezieht sich insbesondere auf den Kontext der sozialen Ausdifferenzierung nach Kasten in Südasien, auf die Burakumin in Japan, die Ozu in Nigeria und andere ähnlich diskriminierte Gruppen im Senegal und im südlichen Mauretanien.

Es geht dabei um Arbeit, die innerhalb der Kastenordnung als minderwertig und verunreinigend betrachtet wird. Für Dalits bedeutet dies die Unmöglichkeit sozialer Mobilität, denn die Arbeiten, die sie verrichten dürfen, sind durch ihre Geburt festgelegt.

Vorherrschende Themen während der gesamten Konferenztage: die israelische Besatzungspolitik, die Forderung nach Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus sowie die Entschädigungsforderungen für die Leiden und den ökonomischen Verlust durch den transatlantischen Sklavenhandel und die Diaspora der afrikanischen Länder. Sie bestimmten weitgehend das mediale Bild und die Verhandlungsdynamiken. Und während die Regierungen noch über die Entsendung nach Durban berieten, spielten sich auf dem NGO-Forum schon immergleiche Rituale ab: Pro-israelische DemonstrantInnen versuchten, die palästinensischen Organisationen als faschistoid zu denunzieren, während pro-palästinensische DemonstrantInnen antisemitische Pamphlete verteilten und mit Sprechchören wie „Kill all the Jews“ entgegenhielten.

Das schließlich von den NGOs verabschiedete Abschlussdokument wurde von der Hochkommissarin für Menschenrechte Mary Robinson wegen einiger „wenig hilfreicher Punkte“ (gemeint sind die Passagen über Palästina; Anm.) nicht unterstützt.

Wie das South Asia Human Rights Documentation Centre (SAHRDC) mit Sitz in Neu-Delhi bemerkt, sollte die Erklärung jedoch vielmehr die Stimmen der Opfer denn ein standardisiertes Konferenzdokument repräsentieren. Der Text sei aber dort „überraschend“, so das SAHRDC, wo er internationales Recht berühre. So werde zum Beispiel einerseits ein Recht der Roma erklärt, durch die Vereinten Nationen und durch die Staaten als nicht-territoriale Nation anerkannt zu werden, während an anderer Stelle (Paragraph 21) Roma in der gleichen Gruppe mit denjenigen Völkern klassifiziert werden, die ihre Selbstbestimmung und territoriale und politische Unabhängigkeit fordern, wie zum Beispiel die Kurden, Tibeter u.a. (Paragraph 177).

Die Schwierigkeiten in den Diskussionen reflektierten oftmals die unterschiedlichen Auslegungen von Konzepten des „Rassismus“ oder „Rasse“ und deren Repräsentation. Für Shahan Mouliert von der Women‘s International League for Peace and Freedom aus den USA ist zum Beispiel die Aufschrift eines Buttons „One Race – Human Race“ kein Schritt zur Verständigung, sondern Ideologie: „Die Verleugnung der Existenz verschiedener Rassen („races“) dient nur dazu, viele Staaten von ihrer Verantwortung für Sklaverei und deren Konsequenzen freizusprechen. Viele Leute denken, dass Rassismus nur ein individueller Zwischenfall ist und nicht ein systematisches Phänomen.“

Wie schwierig es sei, Rassismus zu definieren, obwohl er in den ökonomischen, kulturellen und historischen Aspekten unseres täglichen Lebens existiert, daran erinnerte die Frauenrechtlerin Angela Davis in einer Diskussion.

Über diesen Aspekt im Gegensatz zu einem individualistischen Ansatz stritten auch die Frauen und Männer des Workshops „Sex Trafficking and Prostitution“.

„Es ist ein alter Streitpunkt zwischen den Frauen aus Europa und den USA und unseren Initiativen“, erzählt die von allen nur Sister Sol genannte Mary Soledad Perpińan vom Third World Movement Against the Exploitation of Women. „Seit 20 Jahren stellen wir zum Beispiel die Forderung, dass Migration und der Frauen- und Mädchenhandel für die Sex-Industrie getrennt behandelt werden.“ Die Legalisierung von Prostitution lehnt sie ab: „Wir sind gegen eine Legalisierung von Prostitution, denn das würde die Sex-Industrie und die Händlerringe überall auf der Welt ermutigen, noch skrupelloser zu agieren.“

Die Forderung der Women of Color an die Anti-Rassismuskonferenz: Eine starke Tendenz zur Prävention und die Abschaffung von Sex-Handel und Prostitution, die zu Rassismus und rassischer Diskriminierung führen.

Dass die offizielle UN-Konferenz von den Themen Palästina und Reparation bestimmt war, ist für viele NGOs nicht das Problem. So sehen es VertreterInnen von Behindertenorganisationen als Erfolg, dass ihre Situation als Kriterium von Diskriminierung mitaufgenommen wurde. „Auch wenn unsere Regierung sich erstmal damit schwer tun wird, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, bedeutet es für uns einen Schritt vorwärts“, zeigte sich eine kanadische Sozialarbeiterin optimistisch. Und Martin Macwan, einer der Initiatoren der Dalit-Kampagne resümiert: „Die indische Regierung hat es durch die Ausübung massiven Drucks zwar erreicht, eine Diskussion über den Paragraphen 73 zu verhindern. Gleichwohl ist die Konferenz ein großartiger Erfolg für uns. Wir sind zuversichtlich, dass die Frage der Dalits von heute an nicht mehr von den Tagesordnungen bei internationalen Konferenzen genommen werden kann.“

Der Diskussionsbedarf innerhalb der NGO-Szene über Rassimus ist groß. Aus den Regierungslagern kommen wenig Signale, an der Ausrichtung einer nur auf die „Marktkräfte“ setzenden Politik etwas verändern zu wollen. Doch in Anbetracht des Zustands der Gesellschaften ist das keine Überraschung. Zu Konferenzende sagte die Präsidentin der WCAR, die südafrikanische Außenministerin Nkosazana Dlamini, Durban stelle einen Neubeginn dar und weise den Weg für die Bekämpfung von Rassismus. Oder wie es Rigoberta Menchú während der Abschlusszeremonie des NGO-Forums am 1. September im überfüllten Cricket Stadion an die NGO-Delegierten gerichtet ausdrückte: „Jetzt geht nach Hause und führt den Kampf dort weiter!“

Jürgen Weber ist freier Journalist und lebt in Frankfurt am Main.

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