Notizen einer Kanalfahrt

Von Andreas Boueke · · 1999/12

Seit seiner Einweihung im Jahr 1914 hat der Kanal seine Bedeutung für den internationalen Schiffsverkehr nicht verloren. Zum Beispiel spart die Durchfahrt einem Bananenfrachter, der von Ecuador nach Europa fährt, rund 8000 Kilometer.

Wie schwimmende Hochhäuser bewegen sich riesige Schiffe langsam über das ruhige Wasser des Panamakanals. In der feuchten Hitze des Dschungels kann die Besatzung an Deck die tropische Fauna und Flora der Umgebung betrachten. Reichbehangene Bananenstauden und großmäulige Krokodile säumen das grüne Ufer. „Was wir hier sehen, ist eine völlig natürliche Umgebung“, sagt Hidrio Valdia, einer der Lotsen, die bei der Einfahrt in den Kanal an Bord der Schiffe kommen. „Das Ökosystem muß geschützt werden, damit es ausreichend regnet, denn das Wasser ist der Lebenssaft des Kanals.“

Die 38 Schiffe, die im Durchschnitt täglich den Kanal durchqueren, werden in fünf Schleusen zuerst 26 Meter hoch gehoben und nach sechs Stunden Fahrt auf dieser Höhe wieder bis zum Niveau des Meeresspiegels gesenkt. Das riesige Ingenieurswerk funktioniert so präzise, daß der Betrieb nur einmal wegen technischer Probleme einen Tag lang unterbrochen werden mußte.

Für die Dauer der Durchfahrt übernimmt einer der 250 Lotsen der Kanalverwaltung das Kommando des Schiffs, so daß sich der eigentliche Kapitän zeitweise in der Rolle eines Assistenten wiederfindet. Die für die größten Schiffe qualifizierten Lotsen können auf mindestens zehn Jahre Erfahrung zurückblicken. Sie gehören zu den bestbezahlten Angestellten in dem Entwicklungsland Panama.

Hidrio Valdia vergleicht die rund 50.000 Dollar netto, die er im Jahr verdient, nicht mit dem niedrigen Einkommen seiner panamaischen Landsleute, sondern mit dem Wert seiner Arbeit für die Besitzer der Reedereien: „Sie wollen sicher sein, daß ihre Schiffe mitsamt Mannschaft und Ladung in besten Händen sind. Dafür bezahlen sie.“

Der Preis einer Kanaldurchfahrt ergibt sich aus dem Gewicht des Schiffs und der Ladung. Den bisher geringsten Preis von 36 Cents zahlte im Jahr 1928 der Schwimmer Richard Halliburton für sein Körpergewicht. Die Besitzer der größten Schiffe der Kategorie Panamax, die in den 35,5 Meter breiten Schleusen gerade noch 1,5 Meter Abstand zwischen Schiffs- und Schleusenwand halten, müssen für die Durchfahrt rund 100.000 Dollar aufbringen. Diese Kosten rentieren sich, denn die Nutzung des Kanals spart auch den schnellsten Schiffen auf einer Reise von der Westküste der USA nach Europa rund 25 Tage.

Das erste Schiff durchquerte den Kanal im Jahr 1914. Arbeiter aus 97 Ländern der Welt waren nach Panama gekommen, um am Kanal mitzubauen. Carlos Arellano Lennox, Professor am panamaischen Institut für Kanalforschung, meint, damals sei die Grundlage für das heutige kulturelle Mosaik der panamaischen Gesellschaft gelegt worden: „Anfangs waren es Franzosen, Spanier und Italiener. Später kamen die Nordamerikaner. Sie heuerten viele Asiaten und Araber an, aber vor allem Schwarze aus der Karibik. Diese Menschen haben unsere Identität als Panamaer geprägt.“

Die Präsidenten Jimmy Carter und Omar Torrijos unterzeichneten 1977 einen Vertrag, der die Übergabe der Kontrolle über der Hoheitsrechte an die panamaische Regierung einleitete. Ohne die Amtszeit Jimmy Carters wäre es wohl bis heute nicht zu einem solchen Vertrag gekommen. Selbst sein Nachfolger Ronald Reagan wetterte noch: „Wir haben ihn gebaut. Wir haben für ihn bezahlt. Wir werden ihn behalten.“

Siebzig Prozent der Schiffe, die durch den Kanal fahren, kommen aus den USA oder sind auf dem Weg dorthin. Deshalb war der Widerstand gegen die Übergabe in den USA so groß, daß es darüber im Senat zur längsten Debatte seit der Änderung der Sklavereigesetze kam.

Wenn die Schiffe in die engen Schleusen einfahren, blicken die Matrosen anfangs wie aus einer Schlucht hinauf ins ferne Sonnenlicht, bis plötzlich Wasser aus unterirdischen Kanälen in die Schleusen hineinblubbert. Es scheint, als ob die eben noch seichte Oberfläche zu kochen beginnt. Zentimeter für Zentimeter steigt das Wasser an den moosbedeckten Wänden empor, bis das Schiff die Höhe der Kanalarbeiter erreicht hat, die vor zehn Minuten noch von weit oben herabgeblickt haben.

Die Lebensader der Schleusen, der Fluß Chagres, wurde im Jahr 1910 zu dem seinerzeit größten künstlichen See der Welt gestaut. Die Flutung des Gatún-Sees dauerte fünfzehn Jahre. Der Antrophologe Stanley Heckadon vom Smithonian Institut in Panama-Stadt bezeichnet den See als ein riesiges, archäologisches Unterwassermuseum: „Sechzig Dörfer und die Ansiedlungen der Eisenbahnarbeiter wurden überschwemmt. Unter dem Wasser befindet sich die fortgeschrittenste Technologie des neunzehnten Jahrhunderts.“

Plötzlich bricht ein tropischer Regenguß los. Es scheint, als würde das ganze Wasser des Kanals die Erde überschwemmen. Doch die Fahrt der Schiffe geht ruhig weiter. Die Kanallotsen kennen die Schleusen und schiffbaren Wege genau. Sie brauchen keine klare Sicht, um mit den schwimmenden Kolossen ihre Zentimeterarbeit zu leisten. Nach neun Stunden und 81,6 Kilometer ist das Ende der Durchfahrt erreicht. Die Lotsen gehen von Bord und der Kapitän übernimmt wieder das Kommando.

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