Paukenschlag zum Abschied

Von Patricio Luna · · 2006/07

Ecuadors Übergangsregierung unter Alfredo Palacio enttäuschte zwar viele Hoffnungen, doch zum Ende seiner Amtszeit setzte der Präsident eine mutige Maßnahme: Er warf die „Oxy“, einen der größten US-Ölkonzerne, frist- und entschädigungslos aus dem Land.

Es begann so hoffnungsvoll, als vor etwas mehr als einem Jahr die „Neugründung der Nation“ ausgerufen wurde (s. SWM 6/05). Am historischen 20. April 2005 sollte eine neue Zeitrechnung im Land beginnen, alles endlich anders werden. Kaum ein Ereignis hat so tiefe Spuren bei den 1,8 Millionen BewohnerInnen Quitos, der Hauptstadt Ecuadors, hinterlassen wie die Rebellion vom April letzten Jahres.
Ende April 2006 sitzt eine Gruppe junger Frauen in der Altstadt. Es ist Mittag. Sie plaudern, keine ist älter als Mitte 20, Jungakademikerinnen offenbar. Alejandra González, eine der drei, erzählt: „Wie Tausende andere marschierte auch ich damals regelmäßig nach Arbeitsende in Bürokleidung mit, manchmal sogar mit Stöckelschuhen. Keiner hielt Gutiérrez eine Sekunde länger aus.“
Spontaneität, die Mobilisierung der BürgerInnen für gemeinsame demokratische Forderungen, die Gutiérrez’ Regierung untergraben hatte, machten ein Phänomen wie jene Protestbewegung möglich. Die „Demokratie der Straße“ schaffte es in wenigen Tagen, den Präsidenten nach siebzehn Monaten aus dem Amt zu jagen.
Zum Jahrestag wurde der bunten, breiten, jedoch auch diffusen April-Bewegung auf Podien und in Diskussionsrunden in Quito gedacht. Expertinnen und Sozialwissenschaftler zogen Bilanz. Und diese fiel ernüchternd aus. Eine Kollegin der jungen Alejandra González, Paula Aarus: „Diese Rebellion vermochte die Ideale, die ihre Entstehung ermöglichten, nicht zu erfüllen. Palacio, die traditionelle Politik und der Parteienapparat haben die Bewegung geschwächt, gespalten und verraten. Viele sind heute enttäuscht und resigniert, kehren der Politik den Rücken.“

Am denkwürdigen Jahrestag ließ sich Interims-Präsident Alfredo Palacio nicht in der Öffentlichkeit blicken. Ständiges Auf und Ab in seinen vierzehn Regierungsmonaten, zahlreiche Kabinettsumbildungen (drei Regierungssprecher, drei Bildungsminister, zwei Wirtschaftsminister), die chronische Instabilität seiner Regierungsmannschaft und seiner Berater mögen Gründe dafür sein. Insgesamt hatte er es nicht einfach: Ende März hatten erneut DemonstrantInnen die Straßen blockiert und mit Barrikaden, Steinen, brennenden Autoreifen in den Indígena-Domänen Latacunga südlich von Quito und Imbabura im nördlichen Landesteil den Verkehr fast vollständig zum Erliegen gebracht. Der Indígena-Dachverband CONAIE hat dem Freihandelsabkommen mit den USA (TLC) einen erbitterten Kampf angesagt. Ecuadors Regierung saß zu diesem Zeitpunkt, genauso wie Kolumbien und Peru, mit den US-Amerikanern am Verhandlungstisch. Im Norden gab es keinen Treibstoff mehr, Handel, Verkehr und Versorgung waren tagelang lahmgelegt.
„Der anfängliche Enthusiasmus ist der Skepsis gewichen. Ecuadors Problem ist, dass es ständig in einem instabilen Gleichgewicht lebt“, analysiert Eduardo Kingman, Historiker und Dozent an der angesehenen Flacso-Universität in Quito. Der bekennende April-Demonstrant vom Vorjahr ist gegenüber Palacios Regierung nachsichtig: „Es war der einzige mögliche verfassungsmäßige Ausweg. Etwas Anderes, Fortschrittlicheres war nicht möglich. Es war auch klar, dass ein Nachfolger von Gutiérrez sehr engen Spielraum haben würde.“

Bemüht um Zusammenhalt im Inneren und um ein gutes Verhältnis mit den Verbündeten in der Region, holte der Staatschef Mitte Mai zu einem waghalsigen Coup aus. Auch in Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen im kommenden Oktober: Er kündigte – frist- und entschädigungslos – dem kalifornischen Ölkonzern Occidental Petroleum die Konzession für dessen Förderblock im Amazonasgebiet. „Oxy“ ist einer der größten Investoren im Lande. Die US-Seite legte daraufhin die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen, die Kolumbien und Peru bereits abgeschlossen haben, auf Eis.
„Der letzte und einzige Präsident Lateinamerikas, der einer US-Firma entschädigungslos eine Konzession entzog, war – Salvador Allende“, kritisierte ein Teil der Öffentlichkeit Palacios Entscheidung. Doch umso größer war der Beifall bei Erdölgewerkschaftern, Intellektuellen und der Linken. „Wir werden erst eine souveräne und würdige Nation sein, wenn wir unser eigenes Öl verarbeiten, wenn wir aus eigener Kraft in die Erdölausbeutung investieren und wenn wir Probleme wie Gesundheit, Bildung und öffentliche Sicherheit gelöst haben“, war der Tenor auf dieser Seite.

Palacios Maßnahme kam nicht von ungefähr: Kaum eine Woche später traf Venezuelas Staatschef Chávez zu einem Blitzbesuch in Quito ein und lobte „den würdevollen Entschluss meines Freundes Alfredo“. Beide Regierungen unterzeichneten ein Abkommen, wonach Venezuela das bisher von „Oxy“ geförderte Öl zu Benzin und weiteren Produkten verarbeitet. Ecuador verfügt über keine entsprechende Technologie und musste die verarbeiteten Ölprodukte bisher importieren. Palacios Entscheidung hat ihm auch Sympathien gebracht. An der Küste wie im Hochland, wo er bisher bei Umfragen auf höchstens 42 Prozent kam, schoss seine Popularität in eine Höhe wie zu Beginn seiner Amtszeit.
Der interimistische Staatschef geht zwar nicht selbst ins Rennen, doch der Kampf um die Präsidentschaft verspricht, interessant zu werden. Der 64-jährige Anwalt León Roldós, Bruder des jung verstorbenen Präsidenten Ecuadors Jaime Roldós (1979-1981), gilt als aussichtsreicher Kandidat. „Um eine zweite Runde wird man kaum herumkommen“, prognostiziert Eduardo Kingman. „Und dann werden die Stimmen der globalisierungskritischen Linkskandidaten wie Luis Macas von Pachakutik oder Ex-Wirtschaftsminister Rafael Correa für Roldós sicher wichtig sein.“
Im Rennen sind weiterhin der Bananenbaron Àlvaro Noboa und ein halbes Dutzend anderer Kandidaten. Bezüglich Lucio Gutiérrez gab es ein verwirrendes Hin und Her. Im Mai wurden ihm vom Obersten Wahlgericht die politischen Rechte entzogen, so dass er an keinen Wahlen teilnehmen kann. Ein Richter hob diese Entscheidung später auf, doch der Oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil und stellt nun Ermittlungen gegen diesen Richter an. Auf jeden Fall darf Gutiérrez, der verdächtig oft auf privaten TV-Sendern erscheint, derzeit nicht kandidieren.

Der Autor ist Chilene und lebte lange Jahre in Deutschland. Seit mehreren Jahren arbeitet er in Ecuador und berichtet von dort aus für das Südwind-Magazin.

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