„Pausenlos politisch“

Von Redaktion · · 2009/05

Alfred Pfabigan, Professor für Philosophie an der Universität Wien, sprach mit Südwind-Redakteurin Irmgard Kirchner über Globalisierungskritik und Zivilgesellschaft aus der Perspektive der politischen Philosophie.

Südwind: Was verbinden Sie mit dem Begriff Globalisierungskritik?
Alfred Pfabigan:
Etwas völlig Unbestimmtes. Globalisierung läuft. Wie will man diesen Prozess kritisieren? Das ist, wie wenn man das Wetter kritisiert. Kritisieren kann man allerdings, wie die Globalisierung läuft. Die bloße Dämonisierung eines Prozesses, der den Menschen auch viel gebracht hat, ist unsinnig. Man sollte langsam ein besseres Wort finden, das Branding ist schlecht.

Wer kümmert sich in der globalisierten Welt um Bereiche wie Gerechtigkeit, Frieden oder Menschenwürde? Sind heute die sozialen Bewegungen die wahren politischen Subjekte?
Da muss ich entschieden widersprechen. Politische Subjekte sind wir alle. Wir haben uns selbst erzogen in der Idee, dass das Private politisch ist. Wenn wir den zivilgesellschaftlichen Ansatz ernst nehmen, sind wir pausenlos politische Subjekte.
Die zweite Frage dabei ist: Wie weit reicht das Feld, in dem ich Gerechtigkeit herstellen kann? Kann es nicht sogar Hybris sein, sich vorzustellen, irgendwo anders etwas machen zu können? Mittlerweile wissen wir, dass unser Aktionsraum limitiert ist. Die Vorstellung, ich bin der Gerechte, ich bin der bessere Mensch, ist oft einfach nur narzisstisch. Subjektstatus außerhalb der Sphäre, die man selbst steuern kann, bedingt eine ungeheure Kompetenz, sonst ist er angemaßt.

Inwieweit ist es möglich, hier etwas zu gestalten, das globale Wirkungen hat?
In seiner merkwürdigen Formulierung, dass der Gradmesser der Gleichberechtigung des schönen Geschlechts ein Gradmesser des Fortschrittes ist, hat Engels recht.
Das ist ein Beispiel dafür, wie wir von hier aus etwas verändern können. Indem wir einfach ein ganz anderes Leitbild schaffen, das ausstrahlt.
Klassische Bücher zur Theorie der Gerechtigkeit bleiben immer im nationalstaatlichen Raum. Die Forderung nach gleichen Chancen ist mit der Frage verbunden, in welchem Rahmen diese Chancen gedacht werden. Es ist sehr schwer, total andere Verhältnisse in der Ferne abzuändern. Da kommt man dann in Komplexitäten hinein, wo unter Umständen das Gegenteil von dem entsteht, was man beabsichtigt hat.
Vielleicht ist die Quintessenz nach einer dreißigjährigen Erfahrung des Sich-für-alles-zuständig-fühlens eine stoische Haltung: Ich entscheide mich, worauf ich mich konzentriere, und den Rest nehme ich mit Bedauern zur Kenntnis.

Haben die heutigen zivilgesellschaftlichen Bewegungen historische Vorläufer?
Bis weit ins 19. Jahrhundert ging es immer um das nationale Subjekt. Die französische Revolution hat zwar die Deklaration der universellen Menschenrechte erlassen, aber die Sklaven in Haiti haben sich geirrt, als sie geglaubt haben, sie werden jetzt frei. Die ersten universellen Ideen in Europa waren die philantropischen, etwa Henri Dunant und das Rote Kreuz. Und dann natürlich die Ideen, dass es ein homogenes Subjekt gibt, nämlich die Arbeiterklasse, das sich vereinigen kann und das international wirksam ist. Doch alles, was hinter dem Etikett „Weltrevolution“ gelaufen ist, ist eigentlich auf der Ebene der Schlagworte geblieben und hat kein Konzept gehabt, nicht einmal für ein vereinigtes Europa.
Das ist alles seltsam unausgeführt.

Wenn man auf die vergangenen 30 Jahre zurückblickt – wird unsere Welt wirklich immer schnelllebiger?
Man muss in Generationen denken. Eine Generation hat ein Differenzerlebnis, für die nächste ist es schon selbstverständlich. Das Gefühl von Schnelllebigkeit und Unübersichtlichkeit haben zunächst einmal die, die es noch langsamer erlebt haben. Die Adaptionsfähigkeit der Menschen darf man nicht unterschätzen. Und nicht auf dem eigenen Differenzerlebnis beharren.

30 Jahre entsprechen einer Generation. Was sind die Herausforderungen, die sich von einer Generation zur anderen stellen?
Die regierende Generation ist die Kerngeneration der 68er Bewegung. Die hat mitunter mit seltsamen Experimenten ihre Zeit verbracht, hat aber auch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus geführt, das halte ich für das große moralische Ereignis der zweiten Republik.
Die Generation der heute 40-Jährigen ist mit einem Umbau beschäftigt. Unsere Sozialsysteme werden umgebaut, bestimmte Fragen sind nicht mehr tabu, etwa Altersarbeit. Unser Bedürfnissystem ist ganz offensichtlich irgendwo ins Kraut geschossen. Ulrich Beck spricht von einer „Gesellschaft des Weniger“. Müssen wir auf diese Weise produzieren, müssen wir überproduzieren? Muss Design eine derartige Rolle spielen? Derartige Fragen werden auch Fragen der Gerechtigkeit neu stellen.

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